Waffenbrüder

Sei dir gewiss, dass Musik immer dann zum richtigen Zeitpunkt zu dir kommt, wenn du sie brauchst.

 

Dieses Zitat stammt von keinem großen Philosophen unserer oder vergangener Zeit, sondern von ...ähm... na ja... mir.

 

Aber es stimmt ja auch, und da erzähle ich euch nichts Neues. Wer Musik liebt - so wie ich - wird mir zustimmen (außer man hört nur nebenbei Berieselungsradio beim Bügeln, versteht sich).

 

Nicht immer muss Musik mit großen Momenten verbunden sein, aber auch die gibt es.

"Schatz, sie spielen unser Lied" ....  Na, klingelt's jetzt?😉

 

Manchmal weiß man auch noch genau, was man gehört hat in diesem und jenem besonderen Moment, und genauso katapultiert einen der eine oder andere Song in Sekundenbruchteilen wieder dahin zurück, wo die geistige Verknüpfung stattfand.

Schön ist das!

 

Meine Spotify-Playlist-Zufallswiedergabe hat beispielsweise gerade "Major Tom" von Peter Schilling ausgeworfen, und ich grinse breit, denn es ist sofort wieder 1982, und ich sitze mit baumelnden Beinen auf meinem Kinderzimmersessel, blättere in der "Spatzenpost" (Schulzeitschrift) und werde im Anschluss wieder meine violette Fußballhose (Toni Polster forever!) anziehen und mit dem Ball nach unten laufen, zu meinen Freunden.

 

Ich könnte hier und heute kilometerlange Blogzeilen tippen, um massig Erinnerungen zusammenzutragen.

Nenn' mir einen Song, und ich erzähl' dir eine Geschichte dazu. I'm so excited and I just can't hide it!

 

Aber genau genommen gibt es nichts weltbewegend Neues hinzuzufügen zu dem, was ich nicht schon an anderer Stelle ausführlich breitgetreten habe, so dass selbst der letzte Hirni checkt, dass Musik eins der allerwichtigsten Dinge in meinem Leben ist.

Eine Art Nabelschnur, die mich mit Energie versorgt.

Musik ist heilend, ich bin davon überzeugt...

... und sie kommt immer im genau richtigen Augenblick, mit der Dosis, die du brauchst und in dem Kleid, das "ihr" am besten steht (weil... ICH zieh das Teil bestimmt nicht an 😁)

 

Als ich Krebs hatte, habe ich kaum ruhige oder gar traurige Musik gehört. Das mag ziemlich logisch erscheinen, denn - zumindest für mich - galt von Anfang an unbewusst das Motto: Gegensätze ziehen sich an.

Äußerlich war ich ein ziemliches "Trauerg'spü" (nicht, was meine Stimmung betraf, aber das blühende Leben sah optisch eben etwas anders aus), also ließ ich durch meine Adern nicht nur Freundin Taxotere (=Chemo) & Co. fließen, sondern auch energetisierende Musik.

Kennt jemand das In Flames-Album "The Jester Race"? Nein? - Ach egal.

Manchmal bastelte ich mir aus Rhythmen und Songtexten (oder auch Songtextfragmenten) "Kampfmusik" zusammen.

Man höre sich nur "Krieger" von den Fantastischen Vier an - und dazu kriegt ihr hier jetzt einen Link.

Wie so oft deutete ich mir meine eigene Aussage zusammen, und das dezent Schwurbelig-Poetische in so manchen Texten der Gruppe wurde erst recht zu meinem Überlebens-Sprungbrett.

Wer würde widersprechen bei Textzeilen wie

"Der Krieger erwacht, er wurde über Nacht zum Krieger gemacht"

oder

"Wir führen einen Fight, die meisten tragen ihn im Stillen aus"?

... Dazu noch der Stechschritt-Rhythmus, die Beats... es schießt mir immer noch wie Adrenalin ins Blut, wenn ich's höre.

Ich hätte die ganze Chemo lang auch durchheulen können, aber ich habe mich dann doch anders entschieden.

(Die Fanta 4 würden gegen Celine Dion wohl immer gewinnen.)

 

Da war auch noch meine geistige Kampfmelodie, die mich vor eineinhalb Jahren auf den Fahrten zur dreiteiligen Hörakustik-Lehrabschlussprüfung begleitet hat. Ich flog zwar nicht mit der F14-Tomcat, sondern fuhr im Railjet nach Wien, aber dennoch fühlte ich mich ein bisschen wie Tom Cruise beim Hören des Top Gun Anthem.

Es hat mich gepusht... aber WIE - und ich war erfolgreich.

 

Musik wirkt immer noch jeden Tag.

Sie rettet mich immer noch jeden Tag.

 

Beruflich erlebe ich gerade anstrengende Zeiten mit Doppelbelastung, viel Verantwortung und manchmal (nicht oft, aber "in Spuren" dennoch vorhandenen) Versagensängsten.

Ich weiß, ich mache meinen Job manchmal mehr als nur gut (das trau' ich mich zu behaupten), gebe alles.

Viel.

 

Manchmal ZU viel.

 

Der Engländer würd's als "suck dry" benennen.

ICH würde sagen, ich lasse immer wieder ein kleines Patzerl Energie liegen, mit jeder Anstrengung, jedem Bemühen und gleichzeitig aber auch mit jedem erfolgreichen Tun, Anfangen und Beenden.

Also stimmt es doch... es saugt mich, auf die eine oder andere Weise, ein wenig leer... alles gerade.

Ein paar Dinge bleiben auf der Strecke - ich verabsäume aber auch nicht zu erwähnen, dass aber auch viel Neues gerade am Entstehen ist.

Menschen. Freundschaften. Gemeinschaft. (Mich verstanden fühlen!)

Anderes geht. (Ebenfalls Menschen, aber andere.)

 

Gerade bin ich müde.

Oder ich war es, als ich heute nach einem langen, anstrengenden suck dry-Tag mit dem Bus nach Hause fuhr.

In meinem Magen brodelte noch etwas, das mich ärgerte, und ich zerbrach mir über eine Situation den Kopf, die ich nicht ändern konnte (oder wohl nicht so schnell).

Auf meinem Kopf meine Noise cancelling-Kopfhörer, und intuitiv wählte ich mein derzeitiges Lieblingsalbum aus Spotify aus.

 

Keine Lust auf zackige Rhythmen, Kampfrhetorik und melodiegeschwängerte Arschtritte, um meinen Hintern vom Boden hochzukriegen.

Stattdessen -

- 7 Minuten pures Glück.

 

Es beginnt mit schwelgenden Synthie-Klängen und einer geheimnisvollen Melodie, und dann setzt die Gitarre ein...

... so gefühlvoll und akzentuiert gespielt, begleitet sie eine gleichzeitig distanziert und tröstlich klingende Männerstimme.

Die beiden - Gitarre und Stimme - führen fast schon einen Dialog, und obwohl ich das Lied in den vergangenen Wochen nun schon so oft gehört habe, bin ich ergriffen und sofort wieder völlig versunken...

... und innerhalb dieser sieben Minuten beruhigen sich mein Blutdruck, mein Puls, mein Gemüt, meine aufgewühlte, gestresste Seele.

 

Es ist 1985, und mein Vater liebt dieses Album mit dem hellblauen Cover und der silbernen Gitarre sehr.

Mark Knopfler ist sein Held, und ich weiß im Nachhinein erst so richtig, wie oft die Platte bei uns lief, denn ich kenne jedes Detail. Von manchen Songs mehr als von anderen ("So Far Away" und - oh mein Gott - "Money For Nothing" beispielsweise),

aber nichts

 

NICHTS

 

geht über das Titelstück drüber.

Es ist der strahlende, abschließende Höhepunkt eines besonderen Albums.

 

Es ist "Brothers In Arms".

 

Ich sitze im Bus, drücke meine Wange gegen das kühle Fensterglas, halte die Augen geschlossen und am Ende fließt wieder Kraft durch meine Adern.

 

Ja, Musik kommt immer zum richtigen Zeitpunkt zu dir, wenn du sie brauchst.

Glaub' einem alten Philosophen.

 

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