Beschädigt

Diese Woche wollte ich eigentlich von meinem gerade absolvierten Nachsorge-Termin berichten.

So gut, so langweilig.

Oder wollt ihr minutiös mit mir durch Pandemie-Eingangsschleusen und halb leere Klinik-Flure wandern? Wollt miterleben, wie "meine" Radiologin Frau Dr. M. mir zum Ultraschallgel-Abwischen eine "Windel" statt Papier gibt, weil das vor allem auch ihre "Spezialpatienten" bekommen? Das ist schon ein Knüller, wie?

Oder ein Wie-immer-gern-Gespräch mit Onkologin Frau Dr. H., bei der ich ihr nichts Spektakuläres zu berichten habe, außer dass ich mich zuwenig bewege und die Corona-Kilos mich nach wie vor fest im Griff haben?

Und sonst: Alles in Ordnung, natürlich ein Riesengrund zu Freude und Dankbarkeit. Wie jedes halbe Jahr.

Aber wer will das wirklich lesen? Wo die Pointe schon verraten ist, weil ich sonst nicht locker-flockig vom Hocker und frisch-frei von der Leber weg erzählen würde?

 

Nein, stopp, weg damit, und her mit etwas anderem. Etwas GANZ anderem.

Und zwar Liebe, Sex und Zärtlichkeit.

Habe ich jetzt eure Aufmerksamkeit?

Gut.

 

Nein, hier folgt jetzt kein Diskurs über mein brachliegendes Liebesleben. Da hätten wir auch bei leeren, kahlen Krankenhausfluren bleiben können.

Weiters habe ich von meinen Ex-Freundinnen keine Einverständniserklärung eingeholt, dass ich berichten darf, wie wir's krachen ließen und auch wie das war... früher und nach dem Krebs.

Warum nicht?

Herrgottszeiten - diesen Blog lesen schließlich auch meine Eltern.

 

Wie gehen wir das Ganze also an? Was will man wissen von einer in der sexuellen Blüte ihres Lebens stehenden Frau, die einen kanzerösen Frontalangriff auf ihre Sexualorgane erdulden musste?

(Gebt mir ein "Ooohhh...")

Verwurstet man dieses sensible Thema nicht eigentlich auf schamlose Weise, indem man - mit der Humorkeule in der Hand - einfach reingrätscht?

Ach, ihr kennt mich. Wie üblich warten da und dort an jeder Ecke die Kalauer und Wortwitze, bis der volle Ernst des Themas völlig unvermittelt den Vorschlaghammer niedersausen lässt.

BÄM.

Und BÄM.

 

Es ist so:

Ich bin beschädigt.

Aber diese Aussage ist kein Grund, besorgt nach psychiatrischen Notfallnummern zu suchen, denn hey - es ist die Wahrheit.

Ab dem Zeitpunkt, an dem du die erste (größere) Narbe davonträgst, bist du nicht mehr heil.

Du bist nicht mehr makellos... nicht mehr "perfekt".

Gut, man könnte sagen: Das sind wir alle sowieso nicht, wenn wir nicht gerade in den Photoshop-Topf gefallen sind oder uns ein Fadenlifting die Gesichtszüge entgleisen lässt, wenn die Cellulite Wellen schlägt oder Haare an Stellen wachsen, die dafür nicht vorgesehen sind.

So soll das auch sein.

Aber ihr kennt das ja: Man meckert hier an sich rum, bemäkelt dort etwas usw. usf.

 

Was aber, wenn der Krebs für - im wahrsten Sinne des Wortes - einschneidende Veränderungen gesorgt hat?

Regelmäßige LeserInnen wissen um meinen pragmatischen Was weg muss, muss weg-Umgang.

Auch wenn meine Wade aussieht, als hätte jemand mit dem Eiskugelportionierer ein Stück rausgeschält (was ja im Grunde auch so war), und auch wenn meine Oberweite dran glauben musste und letztlich für wohltätige (Forschungs-)Zwecke gespendet wurde - ich habe das hingenommen.

Weil's sein musste, und weil ich summa summarum dafür jetzt leben darf.

Ich bin "angeschlagen", habe ein paar "Pecker" (was einige Leute vermutlich so oder so bestätigen dürften), aber ich bin am Leben.

Flach, aber am Leben.

Am Leben, aber flach.

Was gefällt euch besser?

 

Was hat das nun mit Sex und so zu tun?

Liegt das nicht auf der Hand? (Nein, tut es nicht... Brüller-Wortwitz!)

Nun, genaugenommen... ich hatte eine ganze Weile nicht "die" Gelegenheit. Und das nicht nur, weil sämtliche einleitenden Romantik-Candle light-Dinner-Gelegenheiten derzeit geschlossen haben.

Ich stand noch nicht inmitten der Situation, mir bereitwillig die Kleider vom Leib reißen zu wollen, und so musste ich mir bisher auch noch keine Gedanken machen:

 

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um IHR mitzuteilen, dass sie nicht nach den sekundären Geschlechtsmerkmalen suchen soll?

Kann ICH mich zeigen, wie ich bin? Nackt und so?

Trotz meiner ganzen klugscheißerischen Lässigkeit? Oder schlagen da letztlich doch ein paar Komplexe durch, oder wenn schon nicht Komplexe, dann zumindest Unsicherheiten.

Wie wird SIE damit umgehen?

Wie gehe ICH damit um?

Mir fehlt da ja was.

Gespaltenes Verhältnis zum Frausein hin oder her... da klafft eine Lücke.

Kann ich das zulassen?

Kann ich mich fallen lassen?

 

Keine Antwort dazu bisher.

Mangels Gelegenheit, und vielleicht auch ein natürlich nur klitzekleines bisschen aus purem Schiss.

Man kann ja auch ohne Sex leben, schließlich und endlich.

 

Aber nicht ohne Liebe.

Was mach' ich denn nun damit?

Auch hier gilt: Gelegenheit macht Diebe, aber offenbar will keiner was von mir stehlen (und wenn, dann check ich's nicht).

Doch bevor ihr jetzt anfangt, ein Spendenkonto zu errichten - lasst euch gesagt sein: Es liegt auch an mir.

 

Es ist nämlich nicht nur mein Körper angeknackst, sondern auch mein... nun ja... Herz.

(Nein, mein Name ist nicht Rosamunde Pilcher, und ich will auch keinen walisischen Versicherungsmakler, der mir auf dem Fernsehsofa die Zehen massiert, während ich ihm erzähle, wie ich Marcy, das Pferd meiner reichen Erbtante, vorm Schlachter gerettet habe.)

 

Wie ich bestimmt schon drölfzig Mal erzählt habe, lernte ich durch die Krebserkrankungen, mir selbst die absolut Nächste zu sein, meine Bedürfnisse zu wahren und mich von Negativem abzuwenden. Die Floskel-Maschine bittet mich, euch die "Ich habe einen gesunden Egoismus entwickelt"-Karte auf den Tisch zu legen. Ist hiermit erledigt.

 

Leider betrifft das auch mein Liebesleben, und damit meine ich eben in diesem Fall "that ole devil called love" und nicht den libidinösen Konditionsk(r)ampf.

Wie schön das doch wäre, jemandem viel zu bedeuten, zu einem wichtigen Teil eines anderen Lebens zu werden... geliebt zu werden und zu lieben - ach, darüber müssen wir doch nicht diskutieren... wer will das nicht? Und sei es nur, irgendwann mal in seinem Leben, wenn er/sie zur Ruhe kommt und dafür bereit ist?

 

Es können nun gerne die Bewerbungsunterlagen gezückt werden, doch ich muss es vorausschicken: Die Ruhe fehlt mir. Über die Bereitschaft muss ich noch nachdenken.

Ich bin seit Jahren unterwegs auf der immer selben Aschenbahn (poetisch, gell?), wo ich meine Runden drehe, immer mal wieder nach längeren Sprints zur Seite torkle und die Wasserstelle abfrühstücke, bevor mich der Teufel (that ole devil) wieder zu jagen beginnt.

Dann laufe ich weiter und weiter und weiter.

Da vorne ist nämlich das Ziel, und nach jeder Runde kommt das nächste Ziel, und so läuft das nun mal eben im Automodus-Supersprint-Selbstoptimierungs-Programm.

 

Vielleicht kommt dann mal jemand, der mich vom Streckenrand aus anfeuert, mir zujubelt oder aber auch mir Stolpersteine in den Weg legt. Da kann ich dann drüberspringen oder mich fett auf die Nase legen. Wobei... genau genommen streue ich mir den herumliegenden Unrat naturgemäß selbst auf die Ich-bin-ein-Sieger-Spur, und weil ich so damit beschäftigt bin, auf mich selbst zu achten, vergesse ich vielleicht auf das eigentlich Interessante und Schöne "außerhalb".

...Oder habe Angst davor.

 

Nun, vergessen wir mal für eine Weile den Metaphern-Bullshit, geben wir uns nicht prätentiöser, pseudo-verletzlicher und märtyrerhaft, als wir tatsächlich sind (ich... na gut, ich - nicht "wir").

 

Unterm Strich bleibt festzuhalten:

 

Zur Tagesordnung übergehen, das gelingt nicht einfach so.

Nicht nach einer lebensverändernden Erkrankung wie Krebs, die fast immer Körper, Geist und Seele, zumindest zu Teilen, umformt.

Wenn die Hormone ausgehungert wurden, was der Preis für (hoffentlich) Tumorfreiheit ist.

Wenn der Spruch "mit den Reizen geizen" einer gruseligen Wahrheit nahekommt.

Wenn man sich selbst nahesteht, aber nicht (mehr) jenen, die es verdienen.

Wenn man - auch ohne Corona - unter dem Alleinsein leidet, und es gleichzeitig fast verzweifelt braucht, um sich "normal" zu fühlen.

Wenn die Inga-Tür zum Lindström-Herzen einen Spalt aufgeht, nur um gleich wieder zuzuknallen - mit viel Pech sind die eigenen und auch fremde Finger dazwischen.

Wenn man einen Blog-Beitrag über Liebe zu schreiben versucht und ... tja... was eigentlich?

 

Man kann Narben, Kratzer, Pecker und Beschädigungen auch mit Stolz tragen.

Nicht jeder will eine gelackte Kardashian sein (denn dann kriegst du nur so etwas wie Kanye ab).

Die Zeiten, in denen ich mich für mein Unperfektsein entschuldigt habe, sind vorbei... falls es sie überhaupt je gegeben hat.

Angeschlagen, aber nicht angezählt, wage ich mich jeden Tag auf die Aschenbahn - bereit, unbeirrbar und mutig Runde um Runde meine Ziele und meine Träume zu erreichen.

Ich habe kein flatterndes Superheldinnen (oder meinetwegen -helden)-Cape (ich war aber mal eine Chemoheldin, ihr erinnert euch?) und ich gebe vermutlich nicht mal eine gute Figur ab (wie das eben so ist, wenn man beschädigt ist)...

 

... aber wenn du mich so meine Kreise ziehen siehst,

 

stell dich mir in den Weg, damit ich meine gefurchte Spur verlassen muss.

Mach dich bemerkbar, winke, wedle, sieh mich an, schrei mich an, stell mir ein Bein,

und glaub mir nicht, wenn ich behaupte, dass ich dich nicht brauche, dass ich dich nicht ansehen will, nicht das Unmögliche möglich machen will, leben, atmen, spüren will, wie es ist,

 

ganz tief drin, wieder heil, unversehrt, unbeschädigt und perfekt zu sein.

In deinen Augen, wie in meinen.

Nimm mir das Brett vom Kopf, zieh mir den Schleier von den Augen, hauch mir Leben ein und sag mir, was ich hören will, bevor ich selbst es überhaupt weiß.

Sag mir, dass ich nicht mehr zu laufen und wahlweise einem Traum(-ziel) nachzujagen oder vor Bedeutsamem zu flüchten brauche.

Sag mir, dass ich nach all dieser Zeit, nach all diesen Jahren, eine Pause haben, zu Atem kommen darf, dass weder äußere noch innere Hülle auseinanderbrechen, wenn ich Raum, Zeit und Luft zulasse.

Dass ich gut bin, wie ich bin.

Dass ich reiche.

Dass ich wieder klar sehe, nicht nur mich sehe ... dich sehe.

 

Oder aber komm her, wenn ich schon nicht stehen bleibe.

Komm her und lauf mit mir, wenn du kannst.

 

Auf der Rosamunde Pilcher-Gedächtnis-Aschenbahn des Lebens,

da ist nämlich Platz für uns beide.

Pic: ravelry.com

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