Chemo-Heldin

Quelle: www.pngitem.com
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"Mein Körper kann nicht mehr, ich breche die Therapie ab" ...

So lautete der Titel eines Themas (=Threads) in einem Brustkrebsforum im Internet. Eine Userin hatte ihn vor einigen Jahren geschrieben, und diese Userin war nicht ich.

 

Ich war selbst einige Monate in diesem Forum aktiv, weil es - für eine Zeit lang - gut und tröstlich war, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, vor allem, weil das Kennenlernen der Leute "meiner" Krebshilfe-Gruppe damals noch in der Zukunft lag.

Mir blieb also nur das.

 

Man konnte Fragen stellen, Erfahrungen teilen, sich mal auskotzen und auch Positivismus verbreiten. Natürlich las man hin und wieder auch, dass es die eine oder andere Teilnehmerin in diesem Forum nicht geschafft hatte. Wenn man nicht aufpasste, konnte man denken, dass der Krebs sich ohnehin meist in Richtung Tod und Verderben bewegt. Tut er natürlich nicht, aber das ist die verzerrte Sicht, die einen überkommen kann. Schließlich bleiben - behaupte ich mal - hauptsächlich Menschen in solchen Foren "hängen", die eben noch weiter mit der Krankheit zu kämpfen haben. Diejenigen, die gesunden und sich gut fühlen, brauchen es irgendwann nicht mehr und richten den Blick lieber nach vorn. Also sammeln sich in einem Krebsforum hauptsächlich akut erkrankte und chronisch kranke Personen.

Keine Wertung diesbezüglich... ist ja auch gut so, dass es diesen Austausch gibt für diejenigen, die eben nicht alles mit sich alleine ausmachen und auch nicht mal eben in eine Selbsthilfegruppe gehen können oder wollen.

 

Manchmal habe ich mit einer Art morbider Faszination Threads mit sehr schlimmen Inhalten gelesen, "begleitete" die Themen-Erstellerin gewissermaßen auf ihrem Weg und glich in Sekundenbruchteilen so manche/n/s Info/Symptomatik/Gedanken/Gefühl, die ich zu lesen bekam, mit mir selbst ab.

Wie ist das bei mir? Kenn' ich das? Wie steh' ich dazu? Hilft mir das oder zieht mich das runter?

 

Bei der oben genannten Thread-Erstellerin, die vom Abbruch ihrer Chemotherapie erzählte, weil sie der Schulmedizin misstraute, reagierte ich fast mit Missfallen und Unverständnis. Simple impulsive Gefühle, auch wenn ich mit meinen damals 40 Jahren  emotional und intellektuell doch soweit gereift haette sein muessen, um zu sagen:

Jedem seine Meinung - jedem seine Entscheidung. Ich urteile nicht darüber und toleriere alle Ansichten.

 

Bullshit. Zu diesem Zeitpunkt, da ich selbst meinen eigenen Chemo-Höhenflug erlebte und beim Tasten förmlich zusehen konnte, wie der Tumor unter meinen Fingern wegschrumpfte, besaß ich dieses nötige Quentchen Empathie........nun ja...... nicht unbedingt jeden Tag.

 

Gut, ich war keine Zytostatika-Aktivistin, die mit "Chemotherapy for all"-Schildern herumfuchtelte und die Schulmedizin ohne jede Kritik glorifizierte, aber ich lebte auch in meiner eigenen Krankheitsblase, hatte den Blick streng nach innen gerichtet und wartete immer noch auf den großen Nebenwirkungs-Zusammenbruch.

Der nicht kam.

Wie konnte ich so also nachvollziehen, wie sich jemand fühlte, dem die Chemo-Substanzen den letzten Rest Energie aus den Knochen saugten? Mich hat es auch Kraft gekostet, sicher ... aber weder nahm es bei mir einen schlechten Verlauf, noch kam ich an mein persönliches Limit in körperlicher, geistiger und psychischer Hinsicht.

 

"Es war kein Spaziergang", erzähle ich, wenn ich mal mit jemandem über meine Therapien spreche. "Aber es war nicht so arg, wie ich es mir vorgestellt hatte."

 

Wie hatte ich es mir denn vorgestellt?

Gute Frage.

Und immer schwang da fast ein entschuldigender Unterton mit - so nach dem Motto: Ich kann eigentlich nicht wissen, wovon diejenigen sprechen, wenn sie meinen, dass sie "einfach nicht mehr können".

 

Ich erlebte als interessierte Foren-Leserin die Diskrepanz zwischen meinen eigenen durchwegs positiven Behandlungs-Erfahrungen und Heilungs-Verläufen und dem genauen Gegenteil bei Menschen, die mir hin und wieder im Extremfall misstrauisch, weinerlich, zornig, unlogisch vorkamen.

Manchmal mochte ich die gar nicht.

Manchmal hatte ich Angst vor ihnen - den "Metastasen-Menschen" ohne Gesicht, den Schulmedizin-Gegnern (die sicher mit Weihrauch herumfuchteln und Birkenstocksandalen tragen) und den Toten

.... ach ja, den Toten.

 

Aber ich war unschuldig.

Ich war ja nur ein glatzerter augenberingter Moppel mit rosigen Wangen und flatterndem Superhelden-Cape, und dieser Moppel schloss dann das Browserfenster und sperrte so die schlimme Welt aus, mit ihren Diagnosen-Anzweiflungen, Palliativ-Journeys und hin und wieder dem Gezanke, dem Im-Kreis-drehen und keinem anderem Thema als... diesem.

 

Dann ging ich mit besockten Füßen über den knarrenden Altbauwohnung-Parkettboden in Richtung Stereoanlage, machte ein uraltes In Flames-Album an, kuschelte mich aufs Sofa in eine Decke und entspannte mich. Meine Finger erforschten, wie so oft, die Konturen meiner hautumspannten Schädeldecke und der etwas schmerzenden wachsenden Haarstoppel, und ich dachte:

Wenn das deine einzigen Probleme gerade in diesem Augenblick, in dieser Sekunde, an diesem Tag, sind - dass dir die bereits sprießenden pigmentlosen Haare weh tun - dann kannst du eigentlich ziemlich zufrieden sein.

 

Dann lächelte ich breit und beschloss, das blöde, negative Forum jetzt länger nicht mehr zu besuchen, sondern mich nur noch mit positiven Vibes zu umgeben.

 

.......... Ob ich diese Superheldinnen-Stimmung in der kommenden Nacht, als ich - wie immer ca. um 4 Uhr früh - mit Darmkrämpfen und Durchfall auf dem Porzellanthron saß und während der folgenden Stunden eine Musikzeitschrift vom ersten bis zum letzten Buchstaben durchlas, auch noch weiter in all seiner Glorie fühlen konnte, ist - nun ja - nicht überliefert.

 

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