Begegnungen, Teil 2

Besondere Anlässe bringen besondere Begegnungen hervor. Wenn man denn Krebs einen "besonderen Anlass" nennen will, was er streng genommen und wertungsfrei auch ist.

Vor zwei Wochen gab es schon Teil 1

... und heute präsentiere ich euch noch mehr Menschen auf meinem Weg.

Viel Spaß beim Lesen! :-)

 

Es muss wohl während der vierten oder fünften Chemo sein, als ich alte Häsin bereits ziemlich gechillt und wissend die üblichen Routinen durchschreite.

Melden zum Rapport in aller Früh, Warten, Blutabnahme, Warten, Arztgespräch, Warten auf die Chemolieferung, dann Chemoraum, Kochsalzlösung, Taxotere bzw. Epirubicin, Frühstücken, Fernsehen mit Kopfhörern, Warten, Herceptin, dazwischen 348 Blicke zu den "magischen Beuteln" auf ihren Ständern, ob das Zeug nun endlich durch ist und ich nach Hause gehen kann.

 

Zwangsläufig trifft man auch immer wieder auf "alte Bekannte", die man vom Sehen kennt, aber mit denen man doch meist kein Wort wechselt. Weil jeder irgendwo in seiner eigenen Welt ist und bleiben will und man nicht auf Knopfdruck quer durch den ganzen Raum seine Befindlichkeiten austauscht.

"Sind bei dir die Schleimhäute auch so wund?"

"Am Hinterkopf bekomme ich schon wieder einen Flaum."

"Der Kaffee schmeckt heute wieder ganz besonders scheiße... oder sind es bloß meine chemoverseuchten Geschmacksknospen?"

Also... eher nein. Obwohl es das natürlich gibt - hin und wieder.

Manchmal aber will man die ganz schlimmen Geschichten nicht hören oder trifft unvorbereitet auf sie, wie im ersten Teil, als ich von Radka und ihren Hirnmetastasen erzählte.

 

Jetzt sitzt mir Birgit gegenüber, und recht viel mehr weiß ich nicht von ihr. Außer dass sie Käsesemmeln mag, eine schönere Glatzen-Kopfform hat als ich und schüchtern wirkt. Ich habe sie schon einmal gesehen, und bisher haben wir uns zumindest gegrüßt. Sie dürfte aber noch eine "frischere" Patientin sein als ich (und das nicht nur wegen des jüngeren Alters).

Ich spreche sie an, ganz direkt, und da taut sie dann auf... nein, wir tauen beide auf, und unterhalten uns in der Folge ganz ungezwungen. Ich erfahre, dass sie erst Anfang 30 ist (der Brustkrebs macht ja auch vor diesem Alter nicht halt), frisch verheiratet und Mutter eines kleinen Buben. Eines noch sehr kleinen Buben, denn der Knoten wurde kurz nach der Geburt entdeckt.

 

Heute hat Birgit ihre zweite Chemo, und schön langsam beginnen sich Nebenwirkungen bemerkbar zu machen. Da schlägt natürlich die Stunde der alten Häsin, und nachdem ich meine Fühler ausgestreckt habe, ob meine Gesprächspartnerin ein paar Ratschläge spendiert haben (nein, nicht damit überschüttet werden) möchte, folgt Marlies' kleines 1x1 der Chemo-Kampfarena-Moves.

Für mich ist es einerseits eine zufriedenstellende, aber auch emotionale Situation, da es erst wenige Wochen her ist, als ich mich selbst verunsichert und ahnungslos in dieses "neue Abenteuer" gestürzt habe.

Nein, streicht bitte "verunsichert"... das war ich ja gar nicht. Ahnungslos vielleicht, aber das hat mich ja nicht gestört. Der Kampfanzug war schnell übergestreift, und auch wenn ich selbstverständlich nicht davon ausgegangen bin, dass jeder meine Sichtweisen und Herangehensweisen versteht und teilt, so gefällt es mir doch, von meinen Erfahrungen zu berichten, weil diese jemand anderem helfen können und dabei auch ich letztlich profitiere (und sei es nur im direkten Austausch).

Niemand... ich betone: Niemand sollte diese Krankheit alleine durchmachen müssen.

 

Ich sehe Birgit noch einige Male wieder. Bei den Chemos und bei Kontrollen danach, als sie und ich schon wieder Haare haben. Sie sieht mit jedem Mal strahlender aus, und irgendwie ist mir völlig klar, dass sie es schaffen wird. Wir verlieren uns aus den Augen... aber es ist okay. Es ist eine dieser Begegnungen, von denen man weiß, dass sie ein paar Schritte auf diesem Weg darstellen... Schritte, die man gemeinsam geht, und dann trennen sich die Wege auch wieder.

 

Aber manchmal führen Begegnungen auch zu Freundschaften. Freundschaften, die man ohne die "Gemeinsamkeit" Krebs mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht geschlossen hätte.

Meine Freundschaft mit R. ist dafür ein gutes Beispiel.

 

Wir begegnen uns einige Monate nach unseren Akuttherapien - unsere Krankheiten werden fast zeitgleich zu unseren unfreiwilligen Lebensmittelpunkten. Bei mir im September, bei R. im Dezember.

Es ist sofortige Sympathie, als wir uns beim Zusammentreffen der Krebshilfe-Gesprächsgruppe zum ersten Mal begegnen, und es dauert nicht lange, bis wir uns auch privat treffen und besser kennenlernen. Ich mag R.'s deutliche, oft ungeschönte und sehr reflektierte Art und Weise, ihre Befindlichkeiten auszudrücken und Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlsweit zu geben. Das tut sie dann auch, als sie von ihrer Erkrankung in einem Buch erzählt, das all "unsere" Erfahrungsgeschichten zum Thema "Nach dem Krebs" enthält.

Während viele AutorInnen von DEM Kick berichten, wie ihr Leben eine ausgesprochen positive Wendung erhielt und sie imstande sind, sich an vielen Dingen viel mehr zu erfreuen und sie mehr zu genießen, so bringt R. es in klaren, präzisen Worten zum Ausdruck, dass es eben NICHT immer so einfach ist. Manchmal muss man sich die Lebensqualität Stück für Stück zurückerkämpfen, stößt auf Hindernisse (wie im Berufsleben, wie mit Ängsten) und kann nur zusehen, wie das Leben anderer an Fahrt aufnimmt und man selbst mit leicht stotterndem Motor nebenher dahintuckert. Auch das ist normal - auch das ist real... und R. serviert keine Heldinnen-Geschichte, sondern eben eine mit der Message: Manchmal ist es eben auch schwierig.

 

R. und ich, wir sehen uns nicht ständig und hängen auch nicht dauernd am Telefon. Genau genommen haben wir so unsere "Phasen", wo wir mal mehr, mal weniger Kontakt haben, aber auch das finde ich völlig normal. Viel wichtiger ist, dass wir gegenseitig voneinander wissen, dass wir füreinander da sind - wenn alles super ist, aber auch wenn uns das Leben gerade so richtig anstinkt.

Der Griff zum Handy ist dann ein leichter, die Gemeinsamkeiten sind zahlreich, und auch besondere, berührende Erlebnisse haben wir zusammen geteilt.

Auch das kann aus einer simplen Begegnung entstehen.

 

Es gibt flüchtige und intensive Berührungspunkte, und mal sind die Menschen schnell wieder weg oder sie bleiben, vielleicht für immer.

Selbst wenn sie zum Teil nicht mehr da sind... ihre Geschichten, ihre Wesen, ihre Seelen ... all das hallt in mir nach, und ich nehme es mit in Erinnerung an die Reise, die wir teilweise gemeinsam angetreten haben. Diese Menschen hinterlassen Spuren, die vielleicht ein wenig verblassen, aber niemals völlig verschwinden werden.

Und mit den anderen, die noch da sind, gehe ich weiter - denn es gibt noch viel Schönes gemeinsam zu erleben.

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Kommentare: 1
  • #1

    Renate (Dienstag, 16 Februar 2021 18:42)

    Liebe Marlies, ich danke dir für diese Zeilen! Ich bin sehr berührt und ich könnte unsere Freundschaft nicht treffender beschreiben.....ich bin sehr froh dass du damals vor fast 8 Jahren in mein Leben getreten bist.....bei einem Treffen der Selbsthilfegruppe der Krebshilfe.....ich war völlig neben der Spur und unsicher....ich fühlte mich jedoch sofort gut aufgehoben und endlich konnte ich mich mit anderen betroffenen Frauen austauschen.....und du liebe Marlies hast mir sofort Unterstützung und Freundschaft angeboten......und wie sehr brauchte ich das zu diesem Zeitpunkt.....ich danke dir ! Renate