Geborgenheit im Operationssaal

Kann es so etwas überhaupt geben? Fühlt man sich bei so einer Behauptung nicht gefrotzelt?
GEBORGEN? Hallo?
Geborgen fühlt man sich meist, wie man so schön sagt, im Schoße der Familie… mit dem/der Partner/in… aber jedenfalls in einer vertrauten, behaglichen Umgebung, in der man sich vertrauensvoll fallenlassen kann, sollte das nötig sein.
Aber im OP? Wo an einem Tumor, an Metastasen, an Gewebe und Organen herumgeschnitten wird? Wo man, weil man im Spital ist, mit Krankheit und Tod konfrontiert ist, vielleicht gerade erst kürzlich von der niederschmetternden Krebsdiagnose erfahren hat? Wo ALLES passieren kann und man sogar – wenn schon nicht am Krebs – an einer Narkose oder irgendetwas, was damit verbunden ist, sterben kann? Oder sich zumindest einen fiesen Krankenhauskeim einfangen kann?
Was lässt einen geborgen fühlen, wenn man durch kühle, sterile Räume geschoben wird und man nicht mal das Gesicht hinter der OP-Maske des/der Chirurg/in, Anästhesist/in etc. richtig erkennen kann?

Doch, das geht – das behaupte ich.

In Momenten, die eigentlich nur von nackter Angst begleitet sind, kann es einen völlig unvorbereitet treffen, dass eine OP-Schleuse doch nicht der Vorhof zur Hölle ist… sondern wo der „Wagerlschieber“ in beruhigendem, humorvollem Ton mit einem plaudert und man nicht das Gefühl hat, dass er das nur aus Höflichkeit macht, sondern ehrliches Interesse hegt.
Es kann einen überraschen oder auch beeindrucken, mit welcher Konzentration und Ruhe agiert wird. Jeder Handgriff sitzt und man hat dennoch nicht das Gefühl, nur eine PatientInnen-Nummer zu sein, sondern dass alle, die mit einem zu tun haben, eben nur für… mich… ja, MICH da sind.

Ja, hier bin ich, und ich bin kein tumoröses Stück Fleisch, das zufällig gerade auf dem Terminplan des Star-Chirurgen steht. Ich bin die, die spätestens am Tag vor der Operation von ebendiesem Chirurgen oder ebendieser Chirurgin beraten, ernst genommen, gehört wurde.
Ich bin die, die zitternd wie Espenlaub von der Schleuse in den Operationssaal geschoben wird – fertig mit dieser Welt… voller (Todes-)Angst – vor dem Krebs, vor der OP, vor dem Nicht-mehr-aufwachen.
Ich bin die, der die OP-Schwester, die hinter mir steht, beruhigend die Hand auf die Schulter legt und mir sagt: „Ich bin die ganze Zeit über nur für Sie da.“
Das weiß ich… aber es zu hören, mit freundlicher Stimme, mit Körperkontakt – das lässt es mich auch glauben.
Ich bin die, die die Gesichter des OP-Personals nur zur Hälfte sehen kann, wegen der Maske, aber das spielt keine Rolle, denn wenn mich all diese grün gekleideten Gestalten in ihre Augen blicken lassen (denn das tun sie), dann sehe ich Mitgefühl, Wärme, Aufmunterung und ganz, ganz viel Kompetenz. Alles auf einmal.
Und das lässt meinen piependen Herzschlag auf dem EKG-Monitor allmählich langsamer werden.
Und dann bin ich die, die sich angenommen fühlt, weil sie vertrauensvoll sagen kann:
„Ich bin aufgeregt.“
Worauf der Anästhesist, der viele Lachfältchen hat (die ich gut sehen kann) schmunzelnd sagt: „Ich auch.“
Und dann bin ich die, die TROTZ ALLEM lachen muss.
Ich bin die, die von meinem geplanten Urlaub erzählen darf, während sich um mich gekümmert wird und schließlich das Narkosemittel fast nebenbei in meine Vene gespritzt wird.
Ich bin die, die jetzt langsam das Bewusstsein verliert und keine Angst mehr hat, denn ich spüre das, was für PatientInnen in unserer Situation zu den wichtigsten Dingen gehören kann:
VERTRAUEN.
Und eben GEBORGENHEIT.

Ich weiß, dass nicht jede/r Operationen mit solch positiven Gefühlen verknüpfen kann. Jede/r von uns hat ihre/seine individuelle Geschichte.
Ich war vor meiner ersten Operation der wohl verzweifelste Mensch der Welt – zumindest fühlte ich mich so.
Ich war mit der Diagnose Hautkrebs konfrontiert und wurde wegen einer Melanom-Nachresektion in den OP geschoben – und am Tag zuvor hatte ich erfahren, dass auch in meiner Brust ein vermutlich maligner Tumor sitzt. Also auch noch wahrscheinlich Brustkrebs. Ein Zufalls(be)fund.

An der Kraft des D-Zuges, der mich überfuhr, hat eigentlich nichts etwas ändern können.
Jedoch sind es die kleinen, scheinbar fast unwesentlichen Dinge, die so viel Trost, Wärme und Hoffnung spenden können:
Die Hand der OP-Schwester auf meiner Schulter und ihre beruhigende Stimme.
Die Scherze des Anästhesisten.
Das Gefühl im Blick des/der Chirurgen/Chirurgin.
Ruhe.
Verständnis.
Besonnenheit.

Wer sagt, dass Geborgenheit nur dann greifbar wird, wenn ich vor knackenden Kaminfeuerscheiten sitze und die Arme des/der Partners/Partnerin um mich spüre?
Mein Leben ist in den Händen der Grüngewandeten. Sie sorgen dafür, dass ich wieder aufwache. Dass es mir an nichts fehlt. Dass ich wieder gesund werde. Oder zumindest eine Erleichterung meiner Situation erfahre. Dass mir geholfen wird. Ich kann vertrauen und fühle mich dadurch geborgen.
Wenn ich aufwache, ist übrigens auch jemand da, der sich um mich bemüht, mir die Befindlichkeit erleichtert und dafür sorgt, dass es mir an nichts fehlt.

Geborgenheit im Operationssaal?
Ja… ich aufgrund meiner Erfahrungen traue ich mich zu behaupten: Das kann zusammengehen.

Aber – unter uns gesagt:
Die knackenden Kaminscheite und die um mich geschlungenen Arme würde ich dann doch bevorzugen. ;-)

 

 

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