Hormone ohne Anti, bitte!

Zehn Jahre Antihormontherapie hatten bei mir die wichtige Funktion, das Wachstum hormonempfindlicher Tumorzellen zu verhindern.

Es handelte sich dabei also um eine endokrine Therapie - ein sogenannter Hormonentzug.

 

Vor kurzem wurde diese Therapie beendet, weil die empfohlene Maximaldauer erreicht wurde.

Keine tägliche Tablette mehr.

Gewisse Nebenwirkungen, wie vermehrtes Schwitzen und (sehr) dezenter Bartwuchs sind immer noch vorhanden.

Klar - der Körper muss sich erst wieder neu einpendeln und sozusagen seine Hormone neu justieren.

 

... Und möglicherweise wird ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen: mit Testosteron.

 

Wozu?

Das ist klar: Das männliche Geschlechtshormon soll mir helfen, ein männlicheres Äußeres zu erreichen.

Nachdem ich mir jahre-, wenn nicht jahrzehntelang, etwas vorgemacht und vieles verdrängt habe, gelang mir vor kurzem ein entfesselnder Befreiungsschlag, und seitdem ist vieles anders.

ICH bin anders.

Ich bin endlich ICH, so wie ich immer schon war.

 

Meinem "inneren" Outing folgte beinahe zeitlich das als sehr natürlich empfundene "äußere" Outing, auf das viele positive, empathische Reaktionen folgten.

Die nächsten Schritte fühlten sich sogar noch klarer und authentischer an und ergaben sich ohne jeden Zweifel und in vollkommener Überzeugung: Ich will nicht nur ein bisschen Marco "spielen" - ich BIN er. Schon jetzt. Aber da kann noch mehr kommen, und das will ich mir holen.

Mit allen möglichen Konsequenzen eben.

 

Warum ich das hier ausbreite - in einem Krebsblog - liegt auf der Hand:

Selbiger könnte mir nämlich in manchen Bereichen einen Strich durch die Transitions-Rechnung machen.

 

Als ehemals Brustkrebs-erkrankte Frau weiß ich eben nicht, ob ich jemals männliche Sexualhormone zuführen kann, ohne mir zu schaden.

 

Lange Zeit habe ich überhaupt nicht genauer darüber nachgedacht - so wie ich mich eben generell mit dem Transgender-Thema nur sehr bruchstückhaft befasst habe.

Ich war ja gar nicht trans, dachte ich, sondern irgendwie dazwischen. Außerdem: Mir ging's ja gar nicht schlecht damit. (Dachte ich... als würden alle Transpersonen sich automatisch schlecht fühlen.)

Ich wich aus, verdrängte, verleugnete... und kam doch mit dem weiblichen Ich, mit Marlies, immer schlechter zurecht. Die soziale und die sichtbare Rolle waren nichts, womit ich mich identifizieren konnte.

Ich spürte nichts Weibliches in mir... gar nichts.

Aber was da sonst war - ich sah nicht hin, wollte mich damit nicht befassen.

Gab mir selbst nicht die Möglichkeit, MICH zu sehen.

 

Bis Blutungen aus heiterem Himmel und die Möglichkeit, eventuell an Gebärmutterkrebs erkrankt zu sein, einen 180 Grad-Turn ermöglichten.

Plötzlich löste sich der erstickende Deckel, den ich so lange auf mein Sehnen nach dem "wahren" ich, krampfhaft draufgehalten hatte, mit einem PLOPP.

Ich sah hin... und alles wurde leicht - und ich frei.

 

Seitdem tut sich der Weg fast von selbst auf.

Ich, Marco, gehe einen völlig logischen Schritt nach dem anderen.

Die Termine für die psychologischen Diagnostiken sind fixiert, eine Therapie ist angelaufen, und es wird wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis ich Geschlechtseintrag und Name offiziell ändern lassen kann.

 

Aber die Hormone...

Ich habe angefangen zu recherchieren, bin damit aber nicht sehr weit gekommen, denn es gibt kaum Studien oder Fälle von ehemals Brustkrebs-Erkrankten, die danach eine hormonelle Geschlechtsangleichung folgen ließen.

Wieder mal bin ich so etwas wie ein Unikum.

 

Bald habe ich in Wien einen Termin, um in endokrinologischer Hinsicht meine Voraussetzungen, Indikationen und Kontraindikationen abklären zu lassen. Das Erstgespräch wird der Beginn dazu sein.

Auch wenn ich es selbst nicht wirklich einschätzen kann, so würde ich sagen, dass meine Chancen, eine Freigabe für Testosteron zu erhalten, nicht allzu groß sind.

 

... Denn wenn es ärztlicherseits heißen sollte, dass es kontraindiziert ist... zu gefährlich... und mir und meiner Gesundheit eher schaden würde, dann würde ich das voll und ganz akzeptieren.

So sehr ich es begrüßen würde, nach den erfolgten Wechseljahren schnurstracks in die Pubertät überzuwechseln... (vielleicht) Bart und eine tiefere Stimme zu bekommen (unter anderem) - die Gesundheit ist mir wichtiger. Meine Erfahrung hat das ganz deutlich gezeigt.

Wenn Testosteron nur ein winziges bisschen die Krebsgefahr erhöhen würde, dann: Nein danke.

 

Ich wäre nicht der Einzige.

Nicht alle Transgender-Personen gehen den "kompletten" Weg mit Hormonen und Operationen.

Was für mich gang- und machbar ist, wird sich zeigen.

Gesundheit steht an erster Stelle, und wenn ich mir ansehe, wie es mir in den letzten drei Wochen ergangen ist, kann ich jetzt schon sagen:
Ich bin ein freierer, glücklicherer Mensch... so oder so.

Noch vor kurzem hätte ich das nicht für möglich gehalten.

Alles, was jetzt noch kommt, ist ein Bonus.

 

P.S.: Was mich zudem noch trösten würde, falls es heißt "KEIN Testo": Dann behalte ich wenigstens mein eh schon nicht allzu dichtes Haupthaar. ;-)

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