Holla, die Waldfee!

Bild: www.IMDb.com
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...Wie's aussieht, waren genau DAS meine Worte - Sekunden, bevor ich ins Reich der Träume hinüberglitt, im OP-Saal vor drei Wochen.

Ich schaffte noch (wie üblich) ein gemurmeltes "Ich bin immer noch da", und dann war ich das einen Augenblick später nicht mehr: DA.

 

Als ich eine Weile später wieder wach wurde, brauchte ich einen kurzen Moment, um die stattgefundenen Ereignisse geistig zusammenzuklauben:

Ich wurde gerade in den Aufwachraum gerollt, wo ich mich von meiner eben stattgefundenen kleinen gynäkologischen Operation erholen würde.

 

Aber von vorn:

Am Vorabend des ersten Mai machte ich keine spektakuläre Zeremonie aus der Einnahme meiner allerletzten Antihormontablette, und das, obwohl sie immerhin zehn Jahre lang mein täglicher Begleiter war.

Ich schluckte sie einfach, nickte zufrieden, ging auf's Klo ...

... und dann wurde alles blöd.

 

Da war nämlich Blut, wo keines sein "durfte".

Chemo und Antihormontabletten hatten Ende 2012 und im ersten Halbjahr 2013 meinem weiblichen Zyklus ein jähes Ende bereitet. Abgesehen von den Wechseljahre-Nebenwirkungen war das ein sehr gelegen kommender Segen. Ich dachte auch, dass die Sache hiermit abgehakt war - schließlich bin ich jetzt 50.

Aber: Nix da, falsch gedacht.

Vor allem ploppte in meinem Hirn sofort etwas auf, wovor man mich immer gewarnt hatte: Blutungen können unter Umständen auf Gebärmutter(körper)krebs hindeuten, denn dieser ist eine seltene Nebenwirkung der Therapie unter Tamoxifen.

Sehr schön. Innerhalb weniger Augenblicke hatte es mir also die gerade erst begonnene Urlaubswoche verhagelt.

 

Netterweise durfte ich auch noch den Ersten-Mai-Feiertag abwarten, bevor ich am nächsten Morgen bei meinem Gynäkologen auf der Matte stand.

Die Sprechstundenhilfe machte die Tür auf - und ich brach in Tränen aus.

Da hatte sich die mühsam zusammengehaltene Selbstbeherrschung dann wohl doch in ihre Bestandteile aufgelöst.

 

Irgendwie hatte ich wohl erwartet, so etwas nie-nie wieder erleben zu müssen, den dem Ganzen haftete ein dezenter Geruch von "Damals" an.

Anspannung. Hilflosigkeit. Angst.

 

Kurz nach der Untersuchung wusste ich dann:

Ja, Blut aus der Gebärmutter.

Ja, Kürretage nötig.

Und ja - ein Endometriumkarzinom lag im Bereich des Möglichen.... aber auch harmlose Ursachen.

Mit der Überweisung für den operativen Eingriff in der Hand verließ ich die Ordination.

 

Da hatte mir also wieder ein "Weibchen-Organ" ein Bein gestellt. Ohne es zu wollen, begann ich mich auf ziemlich esoterische Weise zu fragen, wer sich hier gegenüber wem ablehnend verhielt, und die Antwort konnte nur heißen:

Sich mit dem auseinanderzusetzen, was ich seit Ewigkeiten mühsam verdränge und mit Netflix, Konsum, Essen und vor allem Arbeit zu betäuben versuche, wäre ... nun ja... kein Fehler.

"Ich habe ja kein Problem damit", behauptete ich schließlich sinngemäß immer und grinste mein Spiegelbild an.

"Kein Leidensdruck da."

 

Dass es anders ist, wurde mir beim Gespräch mit Monika in ihrem Beratungsraum in der Krebshilfe klar, als ich zwar kurz über meine Gebärmutter sprach und darüber, dass ich vielleicht (wieder) Krebs haben könnte, doch ein anderes Thema brach sich völlig überraschend Bahn: Etwas, das ich manchmal fast ins Lächerliche zog, zwar grundsätzlich offen damit umging, ihm aber absolut keinen Raum im Leben gab:

Meine Transidentität und meine innere Weigerung, sie wirklich ernst zu nehmen und ihr Daseinsberechtigung zuzugestehen. - Egal, was irgendjemand darüber denkt, und egal, welche Folgen es hat.

 

Die Dinge kamen augenblicklich ins Rollen, denn der Zufall ergab, dass ich nur kurze Zeit später meinen ersten Termin für sexualtherapeutische Beratung bekam - weitere werden folgen.

Ich alter therapieerfahrener Vogel erkunde also neue Wege...

 

Die Sorge um meine Gebärmutter hatte vergleichsweise wenig Platz - sie verschob sich mehr in den Hintergrund.

Egal, was war... ich würde schon nicht dran sterben.

Dann kam der Tag der oben erwähnten tagesklinischen Operation, die wieder von Anfang bis Ende eine angenehme Erfahrung war (ich bin ein alter Narkose-Junkie, müsst ihr wissen... beziehungsweise: wisst ihr wahrscheinlich schon).

Jetzt hieß es: Warten auf den Befund.

 

Ich habe selten so entspannt gewartet. Nur gegen Ende hin wurde es etwas zäh. Die angekündigten vierzehn Tage Wartezeit auf das histologische Ergebnis waren nämlich schon überschritten, aber dann trudelte der Brief doch ein:

Tumorfrei.

Mehr gab's im Grunde nicht zu wissen.

Woher das Blut kam? - Keine Ahnung. Ich werde es wohl in Kürze mit meinem Gynäkologen besprechen, doch ich tippe mal auf eine hormonelle Unregelmäßigkeit.

 

Letzeres könnte in größerem Ausmaß auch der Grund sein, warum das Trans-Thema für mich gewissermaßen nicht stattfand. Denn egal wie - ich konnte ja sowieso nichts ausrichten. Bartwuchs, tiefe Stimme und dergleichen würden sowieso nie auf dem Plan stehen, da ich hormonell ja sowieso schon komplett verpfuscht war.

Also am besten gar nicht erst mit dem Drumherum beschäftigen, nicht wahr?

 

"Ich habe ja kein Problem damit", sagte ich also immer zu meinem Spiegelbild.

"Wer bin ich?" wollte ich eigentlich sagen, aber ich blieb stumm.

Wer will ich sein?

Wer nimmt mich ernst?

Nehme ich SELBST mich überhaupt ernst?

Es gäbe so viele Fragen...

 

Aber es ist einiges in Bewegung geraten, wie ich schon sagte.

Vielleicht kann ich mir eines Tages - nicht nur im Spiegel - die Fragen beantworten, wer ich bin.

Und wie ich glücklich sein kann.

 

Mein Leben lang war dieser Spiegel schlierig, weil ich eifrig damit beschäftigt war, das zu verwischen, was ich im Ansatz erkennen konnte.

Ich lenkte mich lieber ab, betäubte mich, würgte ab.

 

Kein Wunder, dass ich mich - bis heute - unscharf sehe.

Wenn es meine Gebärmutter und ihre Sperenzchen gebraucht hat, um die Zusammenhänge und so einige, nicht ganz schmerzlose, Erkenntnisse zuzulassen und zu begreifen, dann ist es eben so.

 

Ich schlafe ganz beschissen zur Zeit, eigentlich schon seit längerem.

Es liegt nicht daran, dass ich hätte Krebs haben können. So wenig wie diesmal hat mich Ungewissheit noch nie beschäftigt.

Das "Andere" nimmt mehr Raum ein, und ich glaube, ich bin ganz schön dankbar dafür.

Ob dabei am Ende irgendeine Form der Veränderung herauskommt, kann ich jetzt noch nicht wissen, aber ich lerne gerade zu verstehen, dass ich jeden kleinen Schritt nur ganz bewusst und mit Überzeugung setzen kann.

Der erste Therapietermin hat jedenfalls vieles an die Oberfläche geschwemmt...

 

Ich habe ein paar wenigen Menschen bisher meinen eigentlichen Namen gesagt, und es hat sich gut angefühlt.

Mehr noch: Ich beginne ihn zu denken, diesen Namen... und die Konturen des Menschen, der wirklich dahintersteckt, schärfer zu zeichnen.

Vielleicht bin ich eines Tages wirklich OUT, mit ganzem Herzen, ganzer Seele und vielleicht auch (einem Teil meines) Körper(s).

 

Für heute genügt mir dieser Text... und der Blick in den Spiegel.

 

Ganz bestimmt keine WaldFEE. (Eher Robin Hood.)

 

Holla!

 

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