Unscharf

Wo ist denn meine Brille schon wieder?

 

Das mag an einem ganz normalen Arbeitstag mein meistgedachter Satz sein.

Es kann schon mal passieren, dass ich auf der Suche bin.

 

Eigentlich habe ich sogar zwei Brillen.

Eine Lese-, Arbeits- und Computerbrille in einem, ohne die ich meine tägliche Arbeit überhaupt nicht machen könnte.

Die Bauteile eines Hörgeräts sind nämlich klein.

SEHR klein.

 

Auch starre ich ja sehr viel auf den PC-Bildschirm, und meiner kompetent wirkenden Erscheinung tut es möglicherweise doch einen ziemlichen Abbruch, wenn ich unbebrillt mit dem Kopf etwas zurückweiche und mit zusammengekniffenen Augen die einzelnen Punkte der Hörkurve zu erkennen versuche. (Das hier könnten auch Aktienkurse sein... oder? Oder?)

 

Außerdem vertrauen mir meine Kunden ihre Gehörgänge an, in denen ich herumstochern und sie mit Abformungssilikonmasse befüllen darf.

 

Ihr seht: Verantwortung!

 

Auch im Privatleben ginge es nicht ohne.

Gemütlich eine Zeitschrift oder ein Buch lesen? - Nicht ohne Brille. Ich könnte meine geliebten Musikzeitschriften nicht von einem Micky Maus-Heft unterscheiden.

Zutatenlisten auf einer Lebensmittelpackung? - Lachhaft! Diese komplizierten Buchstabenfolgen in Fliegenschissgröße muss man erst mal entziffern... da ballen sich schon die Augäpfel dioptrienmäßig Unbeschadeter.

 

Da wäre auch noch meine Gleitsichtbrille.

Geiles Wort, irgendwie.

Aber das ist nicht der Begriff, den ich mit ihr assoziere - denn ich hasse sie.

Ich kann mich einfach nicht dran gewöhnen, und während ich meinen Kunden täglich vorbete, wie wichtig es ist, Hörgeräte "von früh bis spät" zu tragen, gammelt meine Gleitsichtbrille - die mich doch schärfemäßig durch den Alltag bringen soll - im Etui vor sich hin.

 

Wahrscheinlich ist es einfach der permanente Wechsel zwischen beiden Brillen, der mich halb wahnsinnig machen würde, wenn ich ihn denn praktizieren würde.

Was ich nicht tue.

Und so renne ich halt als halbblindes Hendl herum, bis ich - eigentlich eh fast immer - meine Arbeitsbrille brauche.

 

Warum das alles?

Na ja - das Alter vermutlich.

Aber auch meine heißgeliebte Antihormontherapie, die aber mittlerweile beendet ist.

Was mir die Sehkraft jedoch auch nicht wieder zurückbringen dürfte.

 

Einiges bleibt also verschwommen.

UNSCHARF.

Ich kann mich natürlich weiter durch den Alltag hangeln, die eine Brille verrosten lassen und die andere ständig verfluchen.

 

Aber vielleicht braucht es mehr als eine Brille, um sich die Schärfe wieder zurückzuholen.

Es nützt nichts, zu leugnen, nicht wahrhaben zu wollen und alles auf die lange Bank zu schieben.

 

Wenn du eine Brille hast, nutze sie.

Wenn du sonst eine Baustelle im Leben hast, sieh sie dir an.

Mit dem schärfsten "Nah-Glas", das du auftreiben kannst.

Sonst wird alles nur noch verschwommener und undeutlicher... und das, was da ist - es lässt sich nicht mehr erkennen...

... und es wird immer undeutlicher, wohin du gehst, was du tust - und mehr.

 

Ich habe vor, meine Brille(n) häufiger aufzusetzen... in nächster Zeit werde ich sie womöglich mehr als nötig brauchen.

Beide Brillen, und wenn ich sie weiter im Wechsel auf- und absetzen muss, dann ist das halt so.

 

Sei kein Baby.

Stelle dich dem, was du nicht klar siehst.

 

Sieh hin.

 

Ich sehe hin.

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