Die uralte Morla

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"Ich habe eine Allergie", sage ich zu meinem Spiegelbild und setze eine gequälte Miene auf.

Sofort fühle ich mich noch bescheidener.

 

Allergien.

Pollen.

Pollen!

Sie sind in aller Munde um diese Jahreszeit - oder viel mehr... in aller Nasen- und Rachenschleimhaut.

Sie tun mal mehr, mal weniger Unheil.

Die einen spüren eine dezent laufende Nase, die anderen haben sogar Luftnot und/oder rot verquollene Augen.

Dazwischen gibt es selbstverständlich auch noch viel.

 

Ich war immer ein sehr unallergisches Kind.

Alles, was ich wusste und worüber ich immer kichern musste, waren Schaumbäder, die bei meinem kindlichen Körper immer ein lustiges rotes Punktemuster verursachten - dort, wo meine Haut den Wasserspiegel durchbrach (also ungefähr am Bauch).

Ich badete munter weiter drauf los, denn mir verursachte das keine Beschwerden wie Jucken oder Brennen.

 

Heuschnupfen - ach bitte... kein Thema.

Die kleine Marlies stolperte mit ihren fliegenden braunen Pagenkopfhaaren unbeholfen in der Sommerwiese umher, bewunderte Schlüsselblumen, Gänseblümchen, "Hänsel und Gretel" und viel mehr.

Grashalme in allen Formen und Größen streiften meine Beine, und ich kostete den süßen Blumennektar, indem ich am Blütenstempel "zuzelte" (zumindest bildete ich mir ein, dass es wie Orangensaft schmeckte).

Es tat mir alles nix.

Die Siebziger und Achtziger waren wohl unerschüttliche Jahrzehnte - oder ich hatte Super(abwehr)kräfte.

 

Als Erwachsene machte ich einmal - ich glaube, weil es mich interessierte und nicht weil ein Verdacht bestand - einen Allergietest beim HNO-Arzt.

Heraus kam: eine Gräserallergie.

Ich war fast stolz. Endlich hatte ich auch mal "was".

Nur - ich merkte davon nicht das kleinste bisschen. Also war es mir egal.

 

Dann bekam ich mit fast 40 Jahren Krebs und die zweifelhafte Möglichkeit, mehr Allergien zu erforschen.

Beim PET-Scan gab es einen Treffer.

Ich wurde für die Untersuchung mit CT-Kontrastmittel vollgepumpt und überstand die ganze Prozedur ohne Probleme. Erst im Stationszimmer fiel mir nach einiger Zeit auf, dass sich meine Haut am Oberkörper rotfleckig verfärbte. Vor allem aber schwoll mein Gesicht etwas an und rötete sich ebenfalls. Mehr war da aber nicht. Ich japste nicht, ich bekam auch sonst keine Zustände.... ich erhielt ein Antihistaminikum und erholte mich rasch.

Tadaaa... Kontrastmittel-Allergie schrieb ich mir in den geistigen Krankheitsakt.

Sie sollte mich bis dato nicht sonderlich stören. Nur nach den Corona-Impfungen musste ich im Anschluss - "zur Sicherheit" - länger sitzen bleiben.

 

Mit den Jahren und seltsamerweise erst nach der Krebserkrankung kamen Beschwerden hinzu, und mich beschlich der leise Verdacht, dass ich mir meine eigene Schleimhaut zum größten Feind gemacht hatte.

Die Chemo hatte unbestreitbar den Darm ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, ich litt allgemein unter trockener Haut.

Weitere Allergietests zeigten einen leichten Ausschlag bei weiteren Pollenarten, bei Hausstaubmilben (wobei das eher bezweifelt wurde) und bei Hundehaaren.

 

Hätte ich mehr oder weniger gespürt, wenn ich diese Tests nicht gemacht hätte?

Das kann ich nicht beurteilen, aber unbestritten ist, dass die Probleme zunahmen - vor allem in den letzten zwei oder drei Jahren.

Es trifft immer pünktlich mit der Frühlingszeit zusammen, mit der allgemeinen Berichterstattung in den Medien und den unzähligen Bildern im Internet und in Zeitschriften, die regelrechtes Unwohlsein verursachen.

Ich muss immer den Kopf schütteln über die illustrierenden Fotos im Internet und in Zeitungen, die eine Frau (warum eigentlich immer eine Frau - sind Männer nicht allergisch?) zeigen, die inmitten einer Wiese steht und in ein Taschentuch niest.

Da muss man ja fast automatisch eine Allergie kriegen, nicht wahr?

(Und warum geht die Bedauernswerte nicht einfach RUNTER von der Wiese?)

Mich juckt's schon in der Nase...

 

Dennoch: Mir zeigt meine Nasenschleimhaut schon seit geraumer Zeit den Mittelfinger (gesetzt den Fall, sie hätte einen). Ich weiß ja - sie kleidet eine ziemlich krumme Nasenscheidewand aus, und während mir letztere in meinem Leben großteils keine Beschwerden verursachte, scheint sie irgendwie in letzter Zeit immer... na ja, krummer (?) zu werden.

Dazu pergamenttrockene Schleimhaut, und das Unheil nimmt seinen Lauf.

 

Schnupfen sind mittlerweile Staatsakte.

Oder wie eine mehrstaffelige Serie, die kein Ende zu nehmen scheint. Also kein abendfüllender Film mehr, und dann ist die Show vorbei.

Nein, meine Nase geht naturgemäß zu, und nachts kann ich mir in den ersten Tagen nur mit abschwellendem Nasenspray helfen, sonst bekäme ich kein Auge zu.

Wenn die eigentliche Erkältung vorbei ist, ist es der Schnupfen - nicht.

Der Rotz fließt weiter... wochenlang.

Wie derzeit übrigens, und mir ist klar, dass ich mir natürlich längst wieder eine Nebenhöhlenentzündung aufgezwickt habe. Bei besonderem Pech wird eine "Superinfektion" daraus... und auch die scheint mich derzeit ereilt zu haben, denn mein Husten kommt direkt aus der Hölle.

 

Ist das jetzt nur eine verdammt lange, verdammt nervige Erkältung oder etwa... mehr?

"Ich habe eine Allergie", sage ich noch einmal unglücklich und bin direkt schon überzeugt.

Der Fließschnupfen.

Der Reizhusten.

Und dann - die geröteten Augen, die tränenden Augen, die juckenden Augen. Die Lichtempfindlichkeit.

(Oder tränen meine Augen nur deswegen, weil das Selbstmitleid aufwallt wie brodelndes Kochwasser?)

Am unglücklichsten macht mich meine trockene Gesichtshaut, der ich zwar mit Cremchen zu Leibe rücken kann, aber gegen schwaches Bindegewebe und Erblasten können sie - vor allem unter den Augen - nicht viel ausrichten.

"Ich schau aus wie eine Schildkröte", beklage ich mich, weiter in den Spiegel starrend, während meine selbstbedauernde Wehleidigkeit den höchsten Pegel zu erreichen scheint.

Wie Morla aus der "Unendlichen Geschichte".

 

Also was nun? Allergie oder nicht?

Und was bringt es mir, wenn ich das weiß?

Was, wenn beim Allergietest-Roulette wieder etwas komplett anderes herauskommt?

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

 

Ich könnte mich testen lassen, Tabletten schlucken und Inhalatoren verwenden.

Ich könnte mich der Bewusstmachung und Tatsache ausliefern, dass meine Allergien womöglich (wieder) mehr geworden sind.

Oder ich könnte mir einfach denken, dass ich halt gegen so einiges, was in der Welt da draußen vor sich geht, allergisch reagiere.

Ich bräuchte bloß die Zeitung aufzuschlagen, im Internet zu surfen und aufmerksam durch die Welt zu gehen.

 

Samstag früh bin ich zum Frisör gefahren, und trotz der frühen Stunde habe ich zwei Aggressionsausbrüche mir völlig fremder Menschen mitbekommen.

Ein Mann schimpfte im Bus wahllos über "Ausländer, Huren und Dreckschweine" (und noch viel mehr), und auf der Straße legte sich ein Radfahrer verbal mit einem Wachdienst, der im Auto neben ihm fuhr, an.

Wenn man es genau nimmt, hätte ich mit roten Pusteln, Asthma und zugeschwollenen Augen reagieren müssen, bei den positiven Vibes gleich in den frühen Morgenstunden...

 

Ich bin allergisch. Punkt.

Ich weiß nur nicht gegen was.

Gegen alles, einiges oder vielleicht auch nichts.

Komplett rausfinden werde ich es wohl nicht.

Oder ich warte einfach ab... bis es sich potenziert.

Oder verschwindet.

 

Also rotzle ich noch weiter viele Taschentücher voll, blinzle mit meinen staubtrockenen Augen die paradoxerweise zuviel vorhandene Tränenflüssigkeit weg, stülpe meine Bronchien nach außen und bedaure mich.

Solange ich es halt für nötig halte.

Gottlob habe ich keine richtig gesundheitsbedrohlichen Beschwerden - mir bleibt die Luft nicht weg, denn so geht es bekanntermaßen einigen Allergikern.

 

Notfalls kann ich im Schildkröten-Style den Kopf einziehen und mich in meinem Panzer verkriechen.

Ob da auch noch diese satanischen Pollen rumschwirren, ist leider nicht überliefert...

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ulla (Montag, 03 April 2023 09:39)

    Ganz toll geschrieben;)
    https://e-bikes-testsieger.de/telefunken-e-bike-test/