Kollateralschaden

Kollateralschaden.

Markiges Wort, wenn man es auf einer Krebsblogseite verwendet, nicht wahr?

Zuerst denkt man dabei (unwissentlich) vielleicht an... Autos?

 

Was ist das überhaupt?

 

Das Oxford-Wörterbuch erklärt:

 

...bei einer militärischen Aktion entstehender [schwererer] Schaden, der nicht beabsichtigt ist und nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ziel der Aktion steht, aber dennoch in Kauf genommen wird.

 

Oh je.

Spätestens jetzt ist das der Moment, in dem sich Menschen, die mit in Krebs in Zusammenhang stehender "Kampf-Rhetorik" nichts anfangen können, mit Grauen abwenden.

Das verstehe ich.

Die wenigsten Leute würden sich gerne als "kollateral-beschädigt" bezeichnen lassen, nachdem sie etwas so Persönliches und Erschütterndes erlebt haben (oder sogar noch dabei sind) wie eine Krebserkrankung.

 

Ich sehe mich selbst als "beschädigt" an, und das macht mir nichts aus (und hier rede ich - wie gesagt - nur von mir).

Es sind eben meine Narben und Wunden, die ich davongetragen habe.

Die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich jetzt bin.

Zwar im Grundwesen nicht anders, aber der Lack ist halt doch an der einen oder anderen Stelle ab.

GUT.

Manchmal empfinde ich das durchaus als gut.

 

Ich verteidige mich und meine Befindlichkeit, wenn es denn sein muss.

Ich stehe zu meiner Vergangenheit, der Gegenwart und mache mich bereit für die noch ungewisse Zukunft.

Dass ich nicht mehr so bin und aussehe wie früher, vervollständigt mich dennoch mehr als früher, als ich noch "makellos" war. (Komischer Satz, aber vielleicht lässt er sich ja doch nachvollziehen.)

 

Einiges ließ sich zuvor nicht absehen.

Dass mein Selbstbild sich in etwas Stimmigeres, Authentischeres verwandeln könnte, zum Beispiel.

Die große Narbe, die mich in der Mitte durchzuschneiden scheint, ließ mich meine warme, weiche, runde und doch fremde Hülle abstreichen und das Harte, Kantige, Raue und - ja - Männliche - in mir erst durchscheinen und dann immer deutlichere Konturen bekommen.

Es entspricht mehr meinem Ich, wie ich mittlerweile weiß.

(Rund bin ich ja immer noch... nur an anderen Stellen *seufz*)

 

Hier von einem (Kollateral-)"Schaden" zu sprechen, stimmt eigentlich nicht - und uneigentlich heißt es für mich sogar: Danke, Krebs, dass du mir das gezeigt hast.

Vielleicht wäre mir das sonst niemals so deutlich vor Augen geführt worden.

 

Und doch gibt es sie - die gehauenen Wunden, die da und dort zwar einigermaßen verheilen, aber doch immer wieder aufbrechen. Auch, weil ich den Schorf immer wieder aufkratze. (Das hat was Autoaggressives an sich, ich weiß.)

 

Es gibt dieses Schwanken zwischen Energie-Push mit fast schon überhöhtem Selbstbewusstsein (das habe ich gerade in beruflicher Hinsicht übrigens) und dann gibt es die betäubten und doch gleichzeitig melancholisch-traurigen Durchhänger (Selbstzweifel, Einsamkeit, Angst in schöner Einträchtigkeit)... und das hatte ich "früher" in der Form nicht so.

Ich bin deswegen jetzt nicht gleich manisch-depressiv (nur, falls jemand auf diese Idee kommen sollte *räusper*), aber vielleicht könnte man auch sagen: Ich habe diese doch sehr menschlichen Befindlichkeiten früher einfach nicht so wahrgenommen, weil ich sie hübsch verdrängt habe.

 

Es gibt den antihormonellen Wahnsinn - die schmerzenden Muskeln in den Füßen und Fußgelenken, die trockene Haut (Ü-BER-ALL!), die Schlafstörungen, den Tinnitus.

Das damit verbundene Frausein, das ich eigentlich nicht haben will (und uneigentlich aber nicht grundlegend ändern kann).

Das wiederum damit verknüpfte Problem mit der Partnerinnen-Findung (Wer sucht hier eigentlich wen, my Darling?).

Das Problem mit dem Gleichgewicht in Sachen Freundschaften (Wohin werfe ich mein Ankerchen denn nur, wenn ich den sandigen Grund nicht spüre?)

Und dann das... und dann das...

 

Ja, denkt ihr nun - jetzt kommt wieder der Part mit der Dankbarkeit.

Dass ich auf der Habenseite ja die Gesundheit habe. Weil ich alles überstanden habe und sich vieles (nicht alles) in meinem Leben gut entwickelt (hat).

Wer will sich denn da beschweren?

GUT.

Ich weiß das.

Und ja: Ihr habt recht.

 

Dennoch wische ich sie nicht einfach weg:

Die dicken Krusten meiner Wunden, die manchmal bluten.

Ich fahre weiter mit den Fingern über taube und sehr lebendige Stellen meiner Narben und empfinde mich - ohne zu werten - als "gezeichnet".

Die Dinge, Zustände und Gegenheiten, die mir kleine und größere Stücke meiner Lebensqualität geraubt haben und das immer noch tun.

 

Ich kann nicht wegsehen, denn das hieße:

Drüberlackieren.

So tun, als ob.

Etwas vorgeben, was nicht ist.

 

Ich bin beschädigt.

Ich stottere und huste wie ein kaputter Motor - manchmal.

Ich kriege die Dellen, Beulen und Rostflecken aus meiner Karosserie nicht mehr (vollständig) raus.

Meine Reifen sind manchmal ganz schön platt.

Der Ölstand mehr als niedrig.

Die Zündkerzen jenseits von gut und böse.

 

Aber ein Wrack bin ich dann doch noch nicht.

Ich klemm mir einen Wagenheber drunter, begutachte mich von allen Seiten.

Schraube hier ein bisschen dann und wann, kitte da und dort ein wenig, wo's nötig ist.

Mache heile-heile ... mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Ich tanke.

Hin und wieder den falschen Stoff, aber doch oft genug und immer noch Superbenzin. (Buh! Klimasünder!)

 

Was weiß ich, was hinter der nächsten Kurve wartet?

Oder ob ich über Kopfsteinpflaster oder Schotterpisten jage?

Hauptsache, ich weiß doch immer noch, wo das Gaspedal ist.

 

 

 

WROOOOOOOOOOOOOOOOOMMMMMM!

 

 

 

(Ist das da vorn ein Schlagloch?)

 

 

 

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