Great Expectations *

* Songtitel von KISS

Was erwartet man sich, wenn man nach zehn Jahren zur allerletzten Nachsorge ins Krankenhaus geht?

Antwort: Dass es genauso ausgeht wie bisher auch immer, und dass die Umkleidekabine in der Radiologie mit beschwingtem Schritt und erleichtertem Gefühl verlassen wird.

 

Ist man noch genauso euphorisch wie nach den ersten Malen, bei denen man aus nachvollziehbaren Gründen noch mehr nervös ist und nicht "wie selbstverständlich" mit einem "Alles in Ordnung" rechnet?

Ist man nicht. - Ich jedenfalls nicht. Es schleicht sich - bei mir - eine niemals zuvor vorstellbare "Routine" ein, wenn man zum ca. zehntem Mal unter dem Schallkopf der Radiologin liegt und selbiger über die Brustwand mit all ihren (kleinen) Buckelpisten fährt.

 

Ja, da ist immer noch das leise Gefühl eines immer noch nicht 100%ig bewältigten Traumas (schließlich wurde das Mammakarzinom auf genau diese Weise entdeckt), aber im Gegensatz zu den ersten Nachsorge-Ultraschalluntersuchungen bin ich nicht mehr ganz so schrecklich aufgeregt.

Die quälenden Minuten, bis die Ärztin fertig war und mir sagte, was ich hören wollte, verbrachte ich bisher das eine oder andere Mal mit dem gedanklichen Aufzählen von Bandnamen von A-Z, wobei ich meist nicht mal zur Hälfte gekommen war. Oder ich zählte die Kunststofflamellen in der Deckenbeleuchtung.

Mittlerweile - bei den letzten zwei oder drei Malen - unterhielt ich mich stattdessen locker mit Frau Dr. M., die fast immer meine untersuchende Ärztin war. Und - zack! Schon fertig.

 

ALLES IN ORDNUNG.

So auch diesmal.

Ich hatte es nicht anders erwartet. Oder anders formuliert: Etwas anderes hatte in meinem Kopf, in meinem Leben gar keinen Platz.

Was es bedeuten könnte, wenn da etwas gewesen wäre, das man näher untersuchen würde, was dann auch mit Wartezeiten, Ängsten etc. verbunden sein würde - soweit kam ich gedanklich gar nicht.

Wollte ich auch gar nicht.

 

Ich hatte große Erwartungen ans Gesundsein ... und nein, ich wurde nicht enttäuscht.

Daher sagte ich auch diesen fürchterlich präpotenten Satz, den nur eine an glatt gegangene Nachsorgen gewöhnte Patientin sagen würde, zu meiner Onkologin, als ich kurz darauf vor ihrem Schreibtisch Platz nahm:

 

"Letzter Ultraschall im Krankenhaus, und ich hab' mir auch diesmal nichts zu Schulden kommen lassen."

(Wäre ich in einer Sitcom gewesen, hätte man jetzt künstliches Gelächter eingespielt.)

 

Wir führten dann noch ein letztes Gespräch mit letztem Abtasten der Lymphknoten, und es dauerte nicht allzu lang, bis ich das Krankenhaus verlassen konnte.

In mir hallte noch nach, was ich Frau Dr. M., der Radiologin gesagt hatte ("Sie begleiten mich schon von Anfang an...") und dass ich ihr für alles dankte.

Ich dachte auch an die Worte, welche ich an Frau Dr. H., meine Onkologin, gerichtet hatte ("Ich habe mich unter Ihrer Obhut immer gut aufgehoben gefühlt...").

Sie beide hatten meinen sehr positiven Verlauf noch einmal hervorgehoben und mir nur das Beste für die Zukunft gewünscht.

 

Ab jetzt ist das "Sicherheitsnetz" Krankenhaus weg.

Wenn man es denn dramatisch sehen will.

Was ich nicht tue.

Ich bin ja nicht allein auf mich gestellt. Sonographien finden weiter statt, aber dann halt beim niedergelassenen Facharzt oder im Röntgeninstitut. Ansonsten ist mein Gynäkologe zuständig.

Zudem werde ich meine letzte Antihormon-Tablette in eineinhalb Monaten nehmen, und dann ist auch diese Ära zu Ende.

Wie der Rest auch.

Hoffe ich.

 

Ich bin weit weniger in einer Stimmung, die von tiefen Gefühlen geprägt ist, als ich dachte.

Viel weniger.

Es mag an den Erwartungen liegen, die ich hatte und von denen ich keinen Millimeter abweichen wollte.

Oder an der erwähnten "Routine" und dem Gefühl von Normalität.

 

Vor allem aber dürfte der innere Abstand, den ich zu allem gewonnen habe, der Hauptgrund sein, und natürlich weiß ich, dass jemand, der immer nur gute Nachrichten bekommt, sehr viel leichter Abstand gewinnt als jemand, bei dem es nicht so ist.

Aber ich gewinne auch zu dem schlechten Gewissen, das mich anfangs immer mal wieder überkam, immer mehr Abstand.

Bin ich dankbar genug?

Demütig genug?

Wann weiß man es denn, wann es "genug" ist?

 

Die Frage ist:

Kann ich meinem Krankenhaus den Rücken kehren, ohne noch einmal zurück zu blicken?

Ich kann.

Aber ich habe dann noch einmal zurückgesehen, als ich - noch im Gebäude - das Zentrum für Tumorerkrankungen ("meine" Abteilung also) verließ. Wie um mir zu sagen:

 

Hierher komm' ich nicht mehr zurück.

 

Jetzt ist es tatsächlich genug.

 

 

 

P.S.:

Auf dem Weg zum Krankenaus passierte etwas, womit ich ganz und gar nicht gerechnet hatte (das Gegenteil von "great expectations" also) und das beschäftigte mich an diesem Tag eigentlich weit mehr als meine Nachsorge-Untersuchung.

Weil der thematische Bruch ein zu großer wäre, gibt es morgen, Mittwoch, noch einen Bonus-Beitrag.

Also schaut gerne noch einmal vorbei. ;-)

 

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