Winterpark

Ich weiß nicht mehr genau, wie lange es her ist - vermutlich 5 oder 6 Jahre - da schrieb mir meine Schwester eine Whatsapp-Nachricht.

"Wir sind heute beim Sommerfest im Sonnenpark", so lautete in etwa der Text. "Komm doch auch hin, wenn du magst."

 

Sommerfest.

Sonnenpark.

Ohne zu wissen, worum es sich genau handelte, überwand ich meinen inneren Schweinehund, ließ mir eine Wegbeschreibung geben und fuhr los.

Praktischerweise war ich ja gerade wieder ein paar Tage bei meinen Eltern und hatte nicht weit.

Genauer gesagt ist der Sonnenpark in der Nähe der ehemaligen Wohngegend meiner Großeltern.

 

Der Sonnenpark.

Eine verheißungsvoll klingende Bezeichnung, die womöglich große Erwartungen schürt.

Aber eigentlich ist der Sonnenpark nichts weiter als ein "grüner Streifen" am Stadtrand von St. Pölten, aber doch in einem Siedlungsgebiet.

Oberflächlich betrachtet.

Doch dahinter verbirgt sich nicht nur ein Spazier- und Naherholungsgebiet für jedermann und jederfrau, sondern ist gewissermaßen Natur- und Kulturort in einem. Das ehemals brachliegende Gelände wurde von engagierten Menschen in einen künstlerisch-kreatives "Biotop" verschiedener Lebensraumtypen verwandelt.

Ich zitiere mal die Website "biorama.eu":

Hier gibt es Plätze, die Namen wie Walfischwiese oder Mammutwald tragen, einen Jazzheurigen unterm Blätterdach, ein biodiverses Gewirr von gepflegten Gemüsegärten, Lauben und Freiflächen. Beim Sonnenparkfest gibt es hier an jeder Ecke gratis Kunst, Performance, Lesung, Diskussion. Dazu Essen und Getränke bis in die Nacht.

 

Das alles wusste ich nicht, als ich das Auto an diesem wunderschönen, nicht zu heißen Sommertag parkte und etwas widerwillig meinen hip-hoppigen Fahrtsoundtrack abdrehte.

Ich steuerte einen der schmalen Fußpfade an, die in den Park hineinführten und verschwand im dichten Grün wie hinter einem samtenen Vorhang.

Weiter entfernt hörte ich leise, rhythmusbetonte Musik und ich roch ein Potpourri aus Feuer, Gewürzen, Blumen, Moos und Sonne. (Ja, Sonne kann man riechen, wenn man nur will.)

Ich bahnte mir meinen verschlungenen Weg und kam an sich unterhaltenden, essenden, lachenden Erwachsenen und Kindern vorbei... sah Bäume und Sträucher, deren Namen ich nicht kannte und auch nicht zuordnen konnte. Es gab Laternen, offene Feuer, Sitz- und Liegemöglichkeiten.

Es war "lauschig", warm, angenehm und ich fühlte mich auf Anhieb wohler, als ich mich normalerweise so spontan an einem fremden Ort unter fremden Menschen fühlen würde.

 

Ich kam näher zur Musik - denn ja, es gab Livemusik! - und damit auch zu drei oder vier heruntergekommen wirkenden, aber liebevoll renovierten und vor allem bunten (Graffiti!) Steinhäusern.

Eines, das ein klein wenig viktorianisch aussah, wurde auf einem Schild "Maison Musique" genannt, und die Roots Reggae-Band, die hier aufspielte, unterstrich das mehr als deutlich.

Es gab auch ein Container, die - wie man erfahren konnte - Forschungs- und Bildungsstation in einem war, und so rostig und "deplatziert" dieser Klotz auch wirkte... er war wie das i-Tüpfelchen in diesem Park.

 

Bald traf ich meine Schwester, ihren Mann und die Kinder, und wir unterhielten uns, holten uns Saft und Torte, und es war einerseits so, wie man ein Sommerfest eben erwarten würde, und auf der anderen Seite war es... dieser Ort... sofort zu etwas Besonderem geworden. Und etwas Besonderes heißt bei mir: Hierher kehre ich zurück. (Man weiß ja: Ich bin ein Rückkehrer.)

 

Heute war ich wieder da. Ohne Hip Hop, ohne warme Sonnenstrahlen, ohne offenes Feuer. (Aber immerhin - wie in letzter Zeit so oft - mit Reggae im Auto.)

Statt Sonne gab es Schnee und eisigen Wind, doch das schmälerte die Schönheit dieses Ortes nicht.

Die Schönheit trotz der Abgefucktheit.

Hier ist nichts gelackt, klinisch rein und makellos.

Hier ist es alt, windschief und teils kaputt... und doch steckt soviel Liebe im Detail.

Es gibt heute keinen Grillwürstl-Duft, kein Bier, keine Lampions, keine Liveband - nur mich, meinen Müsliriegel und meine weichen, langsamen Schritte im Schnee.

Ich bin hier ganz allein, wie in einem Kokon und genieße eine Stille, wie ich sie sonst in der lauten Welt da draußen nicht habe.

 

Ich begreife, dass Kraftplätze keine mächtig-erhaben-schönen Orte sein müssen, um ihre Wirkung zu entfalten.

Sie können Narben und Makel haben (ganz wie auch ich) und ihre Besonderheit erschließt sich nicht auf den ersten Blick (wie auch bei mir, haha).

... Für euch erschließt sich möglicherweise gar nichts, denn meine mickrigen paar Fotos, die ich heute gemacht habe, spiegeln das Besondere nicht ansatzweise wider, sondern können - im Gegenteil - vielleicht sogar abstoßend wirken.

 

Ich muss lächeln, als ich an dem altertümlichen Mini-Wintergarten des Haupthauses vorbeigehe, denn hier habe ich auf dem Fest ein paar alte Perry Rhodan-Hefte aus der Gratis-Buch-und-Zeitschriften-Ecke ausgegraben.

Ich schaue noch einmal bei der Maison Musique vorbei, und die Musik höre ich nur in meinem Kopf. Einen einlullenden, hypnotischen Rhythmus.

 

Als ich wieder auf die Straße hinaustrete, habe ich genug Energie gesammelt, um es wieder mit allem "da draußen" aufzunehmen.

Ich bin bereit....

... und ich komme wieder, denn ich habe mein Herz an den Sonnenpark verloren. 💚

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