"Niemand steckt in seiner Haut oder in meiner." - Interview

Gabriele (Name geändert) ist 47 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern. Vor einem halben Jahr erkrankte ihr jüngerer Sohn an Knochenkrebs.

Wie es nicht nur ihm, sondern vor allem ihr geht, steht im Zentrum unseres Interviews, denn Angehörige stehen oft - in Fremd- und Eigenwahrnehmung - im Schatten der Geschehnisse.

(Anmerkung: Dieses über Telefon geführte Gespräch ergab sich nicht zufällig. Ich kenne Gabriele nämlich schon länger, wenn auch eher flüchtig. Wir machten einmal die gleiche Ausbildung.)

 

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Frage: Ich freue mich, dass du dieses Interview machen möchtest und auch einer Veröffentlichung im Blog zustimmst.

 

Antwort: Gern. Vor einiger Zeit hattest du bereits einmal ein Interview in deinem Blog, das fand ich recht beeindruckend. Da war auch bei uns noch alles relativ frisch, und Jürgen (Name ebenfalls geändert) gerade in Therapie. Ich muss auch zugeben, ich habe deine Texte "mit Vorsicht genossen".

 

F: Wie meinst du das?

 

A: Man reagiert manchmal mit "Wegsehen". Will sich mit dem bösen Thema Krebs nur soviel "schwarz auf weiß" auseinandersetzen, wie unbedingt nötig. Ich hatte schon Angst, dass das eine oder andere triggert. Aber das ist eigentlich nicht passiert. Im Gegenteil. Vieles hat mir Zuversicht gegeben.

 

F: Danke, das ist schön zu hören. Wir wollen heute ja über deinen Sohn reden... über deine Familie... über dich vor allem. Möchtest du zusammenfassend erzählen?

 

A: Ja, also es war so, dass mein Sohn Jürgen schon längere Zeit Schmerzen im Oberschenkel hatte. Wir wunderten uns anfangs nicht darüber, denn er spielt hobbymäßig Fußball und Tennis, und da kann sich schon mal die eine oder andere Verletzung, Muskelzerrung oder ähnliches ergeben.

Aber es wurde schlimmer... schmerzte bei jedem Schritt, jedem kleinen Sprung. Der Hausarzt diagnostizierte Wachstumsschmerzen - woher auch immer er das wissen wollte. Bis wir dann endlich zu einem Röntgenbild kamen, hat das gedauert. Ich denke mir im Nachhinein, dass wir hartnäckiger hätten sein sollen. Aber ich weiß es nicht genau. Jedenfalls hat man dann was entdeckt, eine Geschwulst. Das war zu einem Zeitpunkt, als Jürgen wegen der Schmerzen nachts kaum noch schlafen konnte.

 

F: Was ging in dir vor, als dir der Arzt sagte: Da ist etwas am Knochen?

 

A: Das war unbeschreiblich eigentlich. Und das war bitte noch bevor wir die eigentliche Krebsdiagnose erhalten hatten. Aber es war dennoch da schon schlimm, denn in meinem Hirn klingelte ein Alarm los: Das ist ganz ganz schlimm. Irgendwie wusste ich das, vielleicht spürt man das als Mutter. Der Jürgen war dann - wahrscheinlich aus Selbstschutz - ganz cool: "Ach Mama, dann mach ich halt Chemo. Wegen der Haare ist es eh wurscht - sind eh kaum welche da." Er hatte zu dem Zeitpunkt einen ziemlich radikalen Haarschnitt, ganz raspelkurz.

 

F: Und dann?

 

A: Dann kam das MRT und kurz darauf die Biopsie - dann wurde unsere schlimmste Befürchtung tatsächlich wahr. Uns schwirrte der Kopf, und ich glaube ich googlte stunden- und nächtelang im Internet nach "Ewing-Sarkom". Vieles, was ich da fand, war nicht aufbauend. Aber ich brauchte das. Irgendwas tun... nur nicht zuviel nachdenken.

 

F: Googeln ist eine gefährliche Sache. Man findet ja selten etwas Beruhigendes, sondern tut sich meist neue Sorgenfelder auf...

 

A: Das kann ich bestätigen. Was, wenn er die Chemo nicht verträgt? Was, wenn der Krebs streut? Was, wenn er es nicht schafft und stirbt?

 

F: Du kannst das relativ nüchtern aussprechen-

 

A: Ja, aber frag mich mal, wie das damals war. Ich war völlig neben der Spur. Ich war in der ersten Zeit zum Vergessen, was den Alltag betraf. Ich nahm mir dann auch erst mal eine berufliche Auszeit. Ich wollte voll und ganz für Jürgen da sein.

 

F: Wie sah das aus, dieses Dasein?

 

A: Abgesehen von Fahrten von und zum Krankenhaus, kümmerte ich mich um seine Pflege und dass ich ihn so gut wie möglich in allem entlastete. Das hat ihm gar nicht so gut gefallen immer. "Mama, ich kann das eh allein." Na ja, wer lässt sich schon gern in dem Alter (Anm.: 16) bis auf's Klo begleiten. Na ja, fast bis auf's Klo. Aber mich hielt das alles gut beschäftigt. Ich brauchte das. Wie erwähnt, es lenkte mich von den Ängsten ab.

 

F: Wie ging es dem Rest der Familie? (Anm.: Gabriele ist alleinerziehend, der ältere Sohn ist 20 Jahre alt.)

 

A: Mit meinem geschiedenen Mann telefonierten wir oft, er versuchte - so gut es ging - für Jürgen da zu sein. Nicht immer so einfach, da er eine neue Familie hat und am anderen Ende von Österreich lebt. Max, mein älterer Sohn, ist auf seine Art damit umgegangen... er war nicht viel zu Hause, wollte auch nicht soviel über das Thema reden. Aber das war schon ok. Max war in der Zeit Jürgens "Auszeit" - wenn mein Ältester zu Hause war, hörte ich die beiden oft im Zimmer reden und lachen, und dabei ging es, wie immer, hauptsächlich um Fußballspieler und Videogames. Genau genommen war das für mich auch "Auszeit", dann konnte ich ein bisschen durchschnaufen.

 

F: Was war für dich am schlimmsten in der Zeit?

 

A: Hilflos zu sein. Du kannst dem Buben nur einiges erleichtern und so schön wie möglich machen, aber wirklich helfen kannst du nicht. Das war das Schlimmste für mich. Du möchtest mehr machen. Du möchtest ihm den Tumor am liebsten aus dem Körper reißen. Und nicht - bloß nicht - daran denken, dass man an Krebs sterben kann, dass nicht jeder diese Art von Krebs überlebt. Das geht doch nicht. Wer will sein eigenes Kind sterben sehen? Für mich unvorstellbar.

 

F: Wie hast du in dieser Zeit gut auf dich selbst schauen können?

 

A (überlegt lange): ... Gute Frage. Nicht so wirklich. Es ist in der Zeit viel liegengeblieben, um das ich mich eigentlich kümmern wollte, sei es um Zahnarztbesuche, Hausrenovierung etc. Das war alles unwichtig. Ich selber habe mich wohl auch schon mal in einem besseren Zustand befunden, aber ich habe Jürgen eben völlig ins Zentrum gestellt.

 

F: Ohne tadelnd sein zu wollen: Denkst du, dass das in jeder Hinsicht richtig war?

 

A: Ich weiß schon, was du sagen willst, und du hast schon recht: Kraft für jemand anderen hat man nur, wenn man auch selbst achtsam mit sich umgeht. Ich habe genug Selbsthilfebücher gelesen (lacht). Aber ich war jetzt nicht in einem desolaten Zustand. Wenn Jürgen stationär im Krankenhaus war, kam ich etwas zur Ruhe. Zehn Kilo abgenommen habe ich dennoch zu der Zeit. Was aber egal war - mein Sohn hat noch mehr Gewicht verloren, und der war vorher schon dünn.

 

F: Wie geht es Jürgen heute? Wie geht es euch?

 

A: Ich würde gerne sagen, wir haben alles hinter uns. Ja - die Therapien schon, aber für unser Gefühl können wir noch nicht sagen: Der Krebs ist weg. Da kann ich auch für Jürgen sprechen. Wir wissen's einfach nicht. Es ist einfach noch nicht lange genug her. Aber die Prognose dürfte ganz gut sein. Na ja, wir leben damit - wie das letzte halbe Jahr schon. Man gewöhnt sich an so vieles und hält sich nicht mehr mit Oberflächlichkeiten auf.

 

F: Was wünscht man sich als Angehörige - als Mutter - vom weiteren Umfeld?

 

A (wie aus der Pistole geschossen): Ernst genommen zu werden. Nachfragen und es ehrlich meinen. Keine Floskeln. Ehrliche Anteilnahme. Und ganz wichtig: Keine Hilfe, keine "Tipps & Tricks" aufdrängen.

 

F: Mit Letzterem hast du wohl schon deine Erfahrungen gemacht...

 

A: Ja, und es war das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Niemand steckt in seiner Haut oder in meiner. Auch wenn's gut gemeint sein mag: Dieses ungefilterte "Ich hab mal gelesen, dies und das hilft" ist mehr Belastung als Hilfe.

 

F: Vielen Dank für dieses Gespräch, Gabriele! Ich wünsche deinem Sohn alles, alles Gute - und auch dir.

 

A: Dankeschön! Darf ich noch was sagen?

 

F: Aber gern!

 

A: Ich wünschte, Krebs wäre bei Kindern und Jugendlichen nicht so ein Tabu. Es gibt diese "Spenden-Sie-für-das-St.Anna-Kinderhospital"-Romantik einfach nicht, wie sie uns auf Werbeplakaten suggeriert wird. Trotzdem wollen sie die Kinder - wie auch die "Alten" - oft einfach aus dem Bewusstsein der Gesellschaft "wegsperren", wenn sie so schwer krank sind. Das finde ich einfach schlimm. Ich habe ja erwähnt, ich wollte mich selbst am Anfang damit nur so viel wie unbedingt nötig befassen, aber das geht halt nur begrenzt. Wir waren, wir sind Betroffene. Man kann nicht immer nur wegsehen, auch die Gesellschaft nicht. Darum ist es gut, wenn es Vereine und Organisationen gibt, die aufklären und helfen und das Tabu-Mäntelchen wegziehen.

 

 

... So wie das auch die Krebshilfe macht.

An dieser Stelle einmal:

 

Danke dafür!

 

 

Achtung! Die Beiträge in den nächsten Wochen erscheinen "solo" - das heißt, ohne Blitzlicht am darauffolgenden Tag. Leider ist es Monika aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, die Texte zu verfassen.
Wir freuen uns, wenn du wieder da bist, liebe Monika - gute Besserung!

 

 

 

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