Die Glocke

"Pssschhhht!"

Gereizt hielt ich den Finger aufrecht vor den Mund und brachte meine kleine Schwester - ausnahmsweise - zum Schweigen.

"Nicht, dass wir sie noch überhören", zischte ich, und mit "sie" meinte ich - die Glocke.

Die große schwere Messingglocke.

 

Meine Schwester und ich, wir saßen im Frotteepyjama und in Hüttenpatschen auf den Holzstufen im Haus und starrten förmlich ein Loch in die Wohnzimmertür, hinter deren getönten Glasscheiben... das Christkind unterwegs war.

 

Na gut, daran glaubten wir damals - ich schon im Teenageralter und meine Schwester noch nicht ganz - längst nicht mehr, aber die Anspannung und Aufregung VOR DER BESCHERUNG war nahezu dieselbe wie früher.

 

Wir hatten ganz unpädagogisch viel (Kinder-)Fernsehen gesehen mit voll superen Sendungen, die es SO das ganze Jahr über nicht gab (in Streaming-Zeiten wie heutzutage klingt das beinahe lachhaft) und auch sonst irgendwie die Zeit totgeschlagen.

 

Jetzt war es später Nachmittag/früher Abend und das Christkind sollte gefälligst schneller machen.

Aber wir hatten ja noch Glück. Wären wir bei unserer Oma gewesen, hätte es zuerst einmal Schnitzel mit Kartoffelsalat und jede Menge unwichtiges Erwachsenen-Gequatsche gegeben, bevor sich mal jemand erbarmt und uns Kinder/Jugendliche endlich vor vollende Tatsachen - und vor den Christbaum - gestellt hätte.

 

Oma, meist in weißer Küchenschürze, die den Weihnachtsbaum im "Extrazimmer" (mit der Waldtapete) auf immer gleiche Weise - mit viel Silberlametta - geschmückt hatte.

Opa im Adidas-Jogginganzug, meist schweigsam, aber immer mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Die Eltern, die sich auch eher im Hintergrund hielten und total erfreut taten, wenn sie wieder mal ein paar bemühte "Für Mama"-Kinderzeichnungen oder sonstige Basteleien überreicht bekamen.

Und wir... meine Schwester und ich, die die "weichen" Geschenkpackungen, die eh wieder nur unerwünschte Kleidung enthielten, mit Widerwillen aufmachten und uns dann auf die "harten" Päckchen stürzten.

Spielzeug, Schallplatten, Videospiele, Bücher...

 

GONG!

 

Jetzt hatte "sie" mich aus meinen Erinnerungen gerissen, die große Glocke - stilecht und genau einmal von meiner Mutter geschwungen, und wir stürzten uns wie die Kängurus die Stufen nach unten und fielen ins Wohnzimmer ein.

Da stand er wieder, der Baum - wie jedes Jahr liebevoll in einer anderen Farbe geschmückt, denn Dekorieren - das kann sie, meine Mama.

 

Das Licht war atmosphärisch gedimmt worden, und die Sternd'lwerfer taten ihre Arbeit.

Wie immer lagen da auch jede Menge Packerl.

Harte und - na gut - auch wieder weiche.

Sogar eingepacktes Katzen- und Hundefutter und -spielzeug gab's.

 

Nach allem Auspacken, Spielen, Essen und Freuen gingen wir - vor allem früher, später dann irgendwann nicht mehr - zur Christmette. Einfach, weil es Tradition war, und auch wenn mir die Mette immer viel zu lang erschien, genoss ich doch den Fußweg zur Kirche... mit knirschenden Stiefelschritten durch den Schnee und der eigentümlichen, damals wirklich noch besinnlichen Weihnachtsstimmung.

 

Weihnachten war irgendwie immer gleich... und gleich schön.

 

Bis auf einmal, vor zehn Jahren, als ich nach dem Weihnachtsessen bei meinen Eltern am Küchentisch saß und wir über Weihnachtswünsche sprachen und ich völlig überraschend (sogar für mich) kurz und heftig zu weinen anfing und sagte, dass ich eigentlich nur EINEN Weihnachtswunsch hatte.

Einen, der alles andere überstrahlte.

Einen, der alles andere unwichtig machte.

 

Wieder gesund werden.

 

Daran denke ich immer noch, wenn ich mir über völlig unnötige Dinge Gedanken mache oder mich über Nutzloses und Nicht-Kontrollierbares ärgere.

Ich eiere schon seit Wochen mit Rest-Verkühlung und jetzt auch noch mit einer Rippenblockade herum?

Okay, ärgerlich, aber - na und?

Dann noch diese Kleinigkeit.

Und jene Kleinigkeit.

Eigentlich alles egal.

 

Wichtig ist: Ich bin gesund. Soweit ich es weiß. IMMER NOCH.

Vor zehn Jahren war diese Entwicklung zwar auf meiner Wunschliste ganz oben, aber der Ausgang noch nicht abzusehen.

 

Wenn ich will, kann ich immer noch die Stufen hinabspringen, meinetwegen auch in Hüttenpatschen, weil ich die große Glocke gehört habe, und ich kann mich immer noch auf die Suche nach den "harten" Geschenkpäckchen machen - in Erinnerung an die wunderschönen Weihnachten zu Hause und auch bei den Großeltern.

 

2023 nähert sich... und ich bin immer noch hier.

DANKE!

 

Ein schönes Weihnachtsfest und viel Gesundheit euch allen! 🎄🔔

 

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Gesundheit – Brief ans Christkind

 

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?
Was schenken Sie Ihren Liebsten?

Heute, so wenige Tage vor Weihnachten, möchte ich dem Christkind „nur“ meine „bescheidenen“ Wünsche mitteilen.

Gehören Sie zu denjenigen, die gestresst durch die Geschäfte laufen und noch schnell ein passendes Geschenk für jemanden finden müssen?

Oder gehören Sie – so wie ich – zu denjenigen, die das schon längere Zeit, ganz anders angehen und nicht mehr die Geschenke – sondern die gemeinsam verbrachte, besinnliche Zeit mit Familie und Freunden und das Füreinander und Miteinander im Vordergrund stehen.

Wie Marlies in ihrem Blog beschreibt, haben Krebspatient:innen (und alle anderen kranken Menschen) vordergründig EINEN Wunsch - nämlich wieder gesund zu werden.

Ich bin mir sicher, dass einige Kinder – die noch ans Christkind glauben – und deren Eltern, Geschwister oder Großeltern an Krebs erkrankt sind, diesen Wunsch auch in den Brief an das Christkind schreiben.

 

Ich habe kürzlich einen Weihnachtsfilm gesehen (ja, ich gebe es zu – ich liebe Weihnachtsfilme), da durften Kinder auf dem Schoß des Weihnachtsmannes ihre Wünsche aussprechen.
Die Wünsche dieser Kinder waren alles andere als bescheiden, nur ein Mädchen hat sich gewünscht, dass sich ihre Eltern nicht mehr so oft streiten sollen.

Wir rührend, oder?

In Weihnachtsfilmen gibt es ja auch fast immer Magie und die Wünsche werden erfüllt.

 

Im „wirklichen“ Leben ist die Realität manchmal sehr hart.

Nichtsdestotrotz dürfen wir Wünsche aussprechen – auf welche Art auch immer.

Eine Seminarleiterin meinte in einer Fortbildung augenzwinkernd, „wir dürfen unsere Wünsche ans Universum schicken. Dort gibt es ein Arbeitsamt für arbeitslose Zufälle. Und irgendwann wird ein Zufall unseren Auftrag/Wunsch übernehmen.“
Was für ein schöner Gedanke.

 

Leider geht das bezüglich Gesundheit nicht so einfach.

Trotzdem möchte ich heute einen Brief ans Christkind schreiben.
Einen Brief, für all die betroffenen Krebspatient:innen und deren Angehörige, die gerade eine schwere Zeit durchmachen.

 

 

 

Liebes Christkind!

 

Bitte sorge dafür, dass alle Krebspatient:innen und deren Angehörige und Freund:innen in dieser schweren Zeit, nach der Diagnose, während der Therapie und der Nachsorge, niemals den Mut, die Zuversicht und die Hoffnung verlieren.
Hilf allen dabei, wieder die bestmögliche Gesundheit zu erreichen und sorge dafür, dass diejenigen, die nicht ganz gesund werden können, gut begleitet und mit guter Lebensqualität ihr Leben verbringen können.
Achte darauf, dass alle Betroffenen sich im Krankenhaus gut aufgehoben fühlen und empathische Ärztinnen und Ärzte an ihrer Seite haben.
Kümmere dich bitte für die Zeit der Krankenhausaufenthalte darum, dass genug Pflegepersonal da ist und diejenigen auch die Kraft und die Zeit für diese aufwendige, wertvolle Arbeit haben.
Sorge dafür, dass diese Arbeit dementsprechend wertgeschätzt wird.

Achte darauf, dass Freund:innen und Arbeitskolleg:innen sich nicht zurückziehen und für die Betroffenen da sind.

Hilf allen dabei, füreinander da zu sein und sich miteinander der Herausforderung zu stellen.
Denn zusammen ist man weniger allein.


Danke, deine Monika

 

„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“
(Arthur Schopenhauer)

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