Schmutzkrusten-Detox

"Bin ich eine zartbesaitete Seele?" frage ich mich selbst, während ich durch Online-Nachrichtenmeldungen scrolle oder Zeitungen durchblättere.

Die Frage ist rein rhetorisch, denke ich eine halbe Sekunde später, und beantworte sie auch gleich:

Ja... bin ich.

 

Aber auch wenn ich ein harter Knochen wäre, steht eines fest: Die Welt hat schon mal bessere Zeiten erlebt - ich glaube, da sind wir uns einig.

 

Nein, Corona war nicht die Spitze des Eisbergs. Corona war erst der Anfang. Corona hat etwas mit der Gesellschaft gemacht: Etwas "angetaucht", was schon länger gärte und bereit zum Aufplatzen war... wie eine entzündete, schwärende Wunde.

Wir wurden aus unserem selbstverständlich-harmlos-kontrollierbaren Alltagstrott gerissen. Plötzlich fanden wir uns alle wieder, mit erschwerter Atmung (wegen der Maske) und mit sich langsam steigender Aggression: wahlweise gegen Impfbefürworter und -gegner, Demonstrierende und Gegendemonstrierende, sowie gegen konfus handelnde Politiker (und Politikerinnen... und das ewige Gendern macht streckenweise auch aggressiv, übrigens), gegen Menschen, Tiere, Orte, gegen eh alles eigentlich.

Wer seelische Not verspürt und keinen Weg findet, diese zu lindern, findet nicht selten den Weg der Wut, die sich gegen andere richtet. Andere, die "schuld" sind, dass es mir so geht, wie es mir geht.

 

Dann kam der Kriegsausbruch in der Ukraine, und auch hier scheint es Für-und-gegen-Lager zu geben. Was mich immer zu der Frage bringt: Warum muss es immer "für" oder "gegen" sein? Schon wieder der Zwang zur klaren Positionierung, zu den (von mir gehassten) Schubladen.

Vor allem entstand über unser aller Köpfe eine riesige Blase der Ungewissheit, auch wenn nur die wenigsten von uns Mitteleuropäern direkt betroffen sind: Wie soll das weitergehen? Wie wirkt sich der Krieg auf unser aller Leben aus?

 

Inzwischen wissen wir auch das: Der Ukraine-Konflikt stieß eine beispiellose Teuerungswelle an, die einerseits vorhersehbar war. Auf der anderen Seite bekam aber dann alles eine Eigendynamik, die vom Mindestpensionisten bis zum mittelständischen Geschäftsmann (und sicher auch darüber hinaus) niemanden kalt lässt und sich unmittelbar auf das eigene Leben auswirkt:

Strom! Gas! Wie alles bezahlen? Und warum überhaupt? Warum ist eigentlich alles so teuer, und wo soll das hinführen?

Werde ich frieren?

Werde ich im Dunkeln sitzen?

Kommt dann auch noch der lang prognostizierte Black out, und überrennen uns die Flüchtlinge endgültig, und verhungere ich irgendwann, und gehen dann vielleicht auch noch die Medikamente aus, und ich bekomme dann wieder Krebs und...

.... Angst...

....Angst....

....ANGST....

 

 

Stopp.

 

Zeit, die Zeitung zuzuschlagen.

Es ist übrigens auch egal, ob es sich um ein Gratis-Revolverblatt handelt, das dem wissbegierigen Bürger süffisant unter die Nase reibt, dass es unter uns Zeitgenossen gibt, die die 500 Euro Teuerungs-Einmalzahlung in einer Nacht mittels Saufen auf den Kopf hauen. Sei blunznfett, es is cool... damit schaffst du es sogar in die Boulevardmedien.

 

Zeit, die arg komprimierten Abendnachrichten im Fernsehen abzudrehen. Hier findest du nämlich garantiert nix Positives. Außer vielleicht: "Morgen erwartet uns ein sonniger Tag mit angenehmen spätsommerlichen Temperaturen." Dankeschön, Wetterfee Christa Kummer... für deinen Namen kannst du ja schließlich nichts.

 

Zeit, die sozialen Medien auf Null zu verknappen, sich die geheuchelten Alles-easy-Beiträge nicht mehr antun zu müssen und nicht permanent bei allen möglichen Themen über die inbrünstig gehassten Auslach-Smileys zu stolpern.

Die "Welt" da draußen hat eine Meinung.

Ich habe meine eigene.

 

Zeit, das Starren auf Bildschirme drastisch zurückzufahren. (Es reicht, dass ich es in der Arbeit permanent tun muss.) Die Drogenbaron-Narcos, die edlen Elben-Häuser Mittelerdes und die Dämonen-verbannenden Superkinder dürfen den Abend nicht dominieren, Herrgott fix.

Schau dir höchstens gehaltvolle Dokumentationen an... aber nur solange sie dir keine Magenschmerzen bereiten, aus genannten Gründen.

 

Medien-Detox.

Entgiften wir doch einmal alle.

 

.... Wenn es denn so einfach wäre.

Aber dann darf man sich auch nicht beschweren, nicht wahr?

 

Wir alle wissen:

Natürlich wäre es einfach super, wenn wir jetzt - ja, gerade JETZT - einen dreiwöchigen Yoga- und Innere-Einkehr-Urlaub auf Fuerteventura buchen könnten.

Wir würden uns nur zu gern mittels ayurvedischer Supermassagen drauf einlassen, die elendigen (Nachrichten-)Giftstoffe aus dem Körper AUSzuleiten, und die nährenden Bioenergien EINzuleiten.

Auf, dass wir hinterher ganz woke sein mögen.

 

In Wahrheit braucht es jedoch nicht viel, um das oben erwähnte "Stopp" zu sagen.

Zeitung, Fernseher, Handy weg.

Rein in den Wald.

Gut und gesund essen.

Nachdenken. (Nachdenken... nicht mit Kinderkram ablenken.)

 

Es sind nicht nur Menschen mit Krebs, die es besonders gut begriffen haben, wie man die Gegenbewegung zur Negativspirale einleitet.

(Na gut... viele schon, aber zum Beispiel ich schreibe mir das nicht auf die Fahne.)

Viele von uns - ob krank oder nicht, ob schlau oder nicht, ob alt oder jung, groß oder klein (...ihr wisst schon...) lernen es aber erst, wie das funktioniert. Gerade auch durch solche Krisen, wie wir sie jetzt durchmachen.

Nichts ist daher vergebens... nichts ist einfach NUR schlecht, gemein und negativ.

 

Wenn du durch die Hölle gehst, geh einfach weiter. Sagt mir eine Freundin öfters, und ich glaube, ich habe das hier sogar schon mal erwähnt.

Genauso gut könnte man sagen: Wenn dir das Wasser bis zum Hals steht, lass den Kopf nicht hängen.

Steh', geh', leb' mit erhobenem Haupt (bis dir das Genick wehtut).

 

...

 

Jetzt überleg' ich schon die ganze Zeit, mit welch schmissig-aussagekräftigem Weisheitsspruch ich den Beitrag jetzt glänzend zu Ende bringen könnte, so dass die negativen Blog-Schmutzkrusten etwas aufgeweicht werden.

Ein salopper "Wird schon alles werden"-Sager, mit virtuellem schiefem Grinsen dargeboten, würde den eh schon nur rudimentär vorhandenen Zauber endgültig brechen.

 

Was schreib' ich also?

Ich weiß es nicht.

 

In Ermangelung einer zündenden Idee poste ich jetzt einfach ein Katzenbild, weil ich weiß: Damit mache ich meiner Mama immer eine Freude.

 

Hier also für dich, Mutti.

Ich hab' dich lieb!

 

 

 

Und hier gibt's jetzt noch ein P.S.

Bereit?

Also dann...

 

P.S.:

 

Dass ich ausgerechnet diese Runterzieh-Thematiken für den heutigen Beitrag auswählte, hat den Hintergrund, dass mich ein Vorfall, den ich aus den Medien erfahren habe, sehr berührt und beschäftigt (auch aus persönlichen Gründen):

In einer deutschen Stadt wurde ein junger Transmann Opfer einer Prügelattacke, nachdem er eine Personengruppe verteidigen wollte. Leider hat er das mit dem Tod bezahlt.

Eine unfassbar grausame Tat, die sprachlos macht.

 

Ich weiß natürlich, dass dieser Vorfall nicht ungeschehen gemacht wird, wenn ich beschließen würde, keine Zeitung zu lesen oder kein Fernsehen oder Facebook anzusehen. Mein bewusstes "Aussparen" würde also nichts ändern.

Aber trotzdem setzt er (unbeabsichtigt) einen Lernprozess weiter (und wieder) in Gang, der irgendwann mal begonnen hat und der wahrscheinlich mein ganzes Leben lang nie zu Ende sein wird:

 

Sag' rechtzeitig Stopp, wenn du es nötig hast.

... Und achte gut auf dich.

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Toleranz

 

 

Ja/nein.

Dafür/dagegen.
Mag ich/mag ich nicht.

Befürworter:in/Gegner:in

Entweder/oder.

Gut/schlecht.

Richtig/falsch.

 

Da würde mir noch Vieles mehr einfallen, wenn es darum geht, einen klar eingenommenen Standpunkt auszudrücken.

 

Meinungsfreiheit, gleiches Recht für alle, Demokratie, Toleranz, Miteinander, Füreinander,…

Das klingt alles sehr gut und wir leben „eigentlich“ in einem Land, in dem diese Werte gelebt werden könnten.

Ja könnten, weil es nicht selbstverständlich ist und weil es immer noch Länder gibt, in denen das nicht möglich ist.

 

Was machen wir daraus? Wie geht es uns damit?

 

Marlies schreibt, dass sie eine “zartbesaitete Seele“ ist.
Eine, die sich zu Herzen nimmt, was rundherum passiert und nicht nur „vor der eigenen Tür kehrt“.

Für alle, denen es ähnlich geht, ist es gerade nicht leicht, war es aber eigentlich nie.

Es ist unfassbar, dass man im Jahr 2022 noch (verbal und leider auch tätlich) angegriffen wird, weil man z.B. homosexuell, oder Transmann oder -frau ist. (Der Anlass für den jetzigen Blog-
Beitrag von Marlies).

 

Ich kann für all das nicht wirklich Worte finden und ich würde mich nicht nur als zartbesaitet, sondern vielleicht auch ein bisschen blauäugig beschreiben, wenn es um Toleranz und Gerechtigkeit geht.

„Eigentlich“ könnte es so einfach sein, oder?

Wenn wir andere Meinungen, Vorlieben, Religionen, Lebenseinstellungen, andere Menschen,…so  akzeptieren wie sie sind.

Natürlich ohne, dass wir die „Anderen“ unbedingt von unserer Meinung überzeugen, oder sie vielleicht sogar mit Gewalt dazu bringen wollen.

Ebenso setze ich dabei auch voraus, dass Grundregeln, (demokratische) Gesetze, Privatsphäre,… respektiert und eingehalten werden.

Intoleranz kann uns in allen Lebensbereichen begegnen und betrifft nicht nur Politik, Überzeugungen, Werte, Religionen, sondern auch anders aussehende Menschen oder z.B. auch Kranke.

 

Wie geht es eigentlich Krebspatient:innen damit?

Also mit Vorurteilen, Meinungen, Überzeugungen, „Besserwissereien“ usw.

 

Ein Angehöriger hat mir letzte Woche – unter Tränen – berichtet, dass sich Freunde regelrecht abgewendet haben, nachdem sie von der schweren Krebserkrankung seiner Frau erfahren haben.

Sie haben sich abgewendet und einfach nicht mehr gemeldet.

Eine Patientin, die am Land in einem kleinen Dorf wohnt, in dem jeder jeden kennt, hat mir erzählt, dass sie anfangs, also nach Bekanntwerden ihrer Diagnose, nur im Nachbarort einkaufen war.
Dort hat sie gehofft, nicht nur als „die Krebskranke“ gesehen zu werden.

 

Eine Patientin hat berichtet, dass ihre Nachbarin „bitterböse Kommentare“ abgibt, weil sie jeden Tag Zeit zum Spazieren gehen hat. (Zur Info: Diese Patientin leidet seit Jahren unter einer Krebserkrankung, braucht ständig Behandlungen, wartet gerade auf die nächste OP, darf nicht mehr Autofahren, ist leider nicht mehr arbeitsfähig und geht täglich (mit Schmerzen) spazieren, um sich einigermaßen fit zu halten).

 

Eine andere hat erzählt, dass sie von einer Freundin ständig hört, was sie besser machen könnte, bzw. welche Behandlung sie unbedingt machen muss, obwohl sie sich bereits dagegen entschieden hat.

 

Dann gibt es noch die Gegner:innen der Schulmedizin, oder die Befürworter:innen von nicht anerkannten alternativen Methoden, die unbedingt wollen, dass die/der Erkrankte dies oder jenes macht.

Sie sehen, schon alleine beim Thema „Krebs“ könnte ich noch einige Beispiele nennen.

Was das jetzige Geschehen in der Welt betrifft, mit der Cyber-Aggressivität, den vielen Demonstrationen, bei der die Bereitschaft zu Aggression auch sichtbar gestiegen ist, der fehlenden Toleranz anderen gegenüber, fehlen mir wie gesagt die Worte.

 

 

Ich versuche das zu machen, was ich auch Krebspatient:innen und deren Angehörigen in Beratungsgesprächen sage: nämlich den Fokus auf das zu legen, was gut ist, und selbst so zu leben, wie es den eigenen Werten entspricht und dabei grundsätzlich respektvoll und tolerant den „ANDERSDENKENDEN“ zu begegnen.

 

Und wie immer haben die gedachten, geschriebenen und gesagten Worte eine große Bedeutung und beeinflussen uns und unser Gegenüber.

Es ist ein Unterschied ob ich sage, schreibe, denke:

„Das ist so!“, oder „Für mich ist das so!“

Und vielleicht darf es manchmal statt „entweder/oder“ auch ein „entweder und oder geben“, bzw. die Erkenntnis, dass wir uns manchmal in manchen Bereichen uneinig sein dürfen, ohne den Respekt voreinander zu verlieren.

 

 

„Was ist Toleranz? Es ist die schönste Gabe der Menschlichkeit. Wir sind alle voller Schwächen und Irrtümer; vergeben wir uns also gegenseitig unsere Torheiten.
Das ist das erste Gebot der Natur.“
(Voltaire)


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Kommentare: 2
  • #1

    Renate (Dienstag, 06 September 2022 07:55)

    Ich hab dich auch sehr lieb, Mutti!

  • #2

    Sabine (Dienstag, 06 September 2022 14:16)

    Bravo!