"Ich wünsche mir ein gutes Leben." - Interview, Teil 2

Olivia erzählte letzte Woche im 1. Teil unseres Interviews von ihrer Brustkrebserkrankung und wie sie Diagnose und Behandlung erlebt hat.

Im heutigen 2. und letzten Teil erfahren wir unter anderem einiges über das "Danach". Wie schon zuvor lässt uns die Wienerin an dem nicht ganz unsteinigen Weg der Erholung teilhaben.

 

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Frage: Wann hattest du zum ersten Mal das Gefühl: Ich hab' das jetzt geschafft?

 

Antwort: Hatte ich das je? Also so in aller Deutlichkeit? Ich weiß nicht. Für mich gibt es keinen Start- und Endpunkt, denn es begann ja nicht alles mit dem Zeitpunkt der Diagnosestellung. Der Krebs war ja vorher schon da.

 

F: Das verstehe ich natürlich nur allzu gut. Es lässt sich oft nicht klar abstecken. Aber ab wann konntest du dennoch anfangen, zumindest vorsichtig zurückzublicken?

 

A: Schwierig... das war schwierig. Selbst, als die Chemo vorbei war und klar war, dass sie wirkt. Ich hatte ja noch OP und Bestrahlung vor mir. Irgendwie hangelt man sich von "Meilenstein" zu "Meilenstein" und schaut nicht über den nächsten hinaus. Was heißt "man".... bei mir war es halt so.

 

F: Bei mir auch. War für dich nach der Chemo der schwierigste Teil hinter dir liegend?

 

A: Den Eindruck hatte ich schon. Der operative Eingriff war dann ja brusterhaltend, und es gab keinerlei Komplikationen. Da waren die Bestrahlungen schon belastender, weil sie meine Haut angriffen und mich sehr erschöpften. Aber ich wurde unglaublich gut betreut in der Radioonkologie, also kam ich auch da gut durch.

 

F: Wie ging es dir nach Abschluss der Therapien?

 

A (überlegt lange): Ich glaube, nicht so schlecht, körperlich gesehen. Ich hatte Pausen dazwischen und erfing mich dadurch immer wieder, wenn ich schon dachte: So, jetzt geht's gar nicht mehr. Als dann alles vorbei war, war ich zwar ausgelaugt und erschöpft, aber ich dachte schon daran, wie ich mich erholen und wieder zu Kräften kommen könnte.

 

F: Und wie hast du das dann geschafft?

 

A: Moment... ich erwähnte es ja: Körperlich ging es mir nicht so schlecht, aber psychisch knickte ich dann doch ganz schön ein. Ich war niedergedrückt und hatte auch die eine oder andere leichte Panikattacke. Alles eine Folge der Monate zuvor, ganz klar.

 

F: Hast du dir helfen lassen?

 

A: ... Ja. Nicht professionell, aber die Unterstützung meiner Familie und Freunde hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass es mir Stück für Stück besser ging. Ich legte wieder an Gewicht zu, bekam einen schönen Lockenkopf, und die Kraft kehrte auch nach und nach zurück. Ich hätte noch auf Kur fahren können, aber ich wollte nicht drei Wochen von meinen Kindern und meinem Mann getrennt sein. Es wäre natürlich besser gewesen, ja, aber... nein, es kam nicht in Frage. Ich war bis jetzt nicht, "dank" Corona.

 

F: Ich möchte noch einmal zu der Frage zurück, wann - oder ob überhaupt - du das Gefühl hattest, dass du den Krebs in irgendeiner Form hinter dir zurücklassen konntest, gedanklich und gefühlsmäßig. Ich weiß - mit dem Wort "geheilt" sind besonders die meisten (ehemals) Erkrankten sehr vorsichtig, aber hattest du etwas in dieser Form in deinem Bewusstsein?

 

A (überlegt wieder lang): Irgendwie schon. Alleine durch die Tatsache, dass die Therapien hinter mir lagen und ich mich insgesamt besser fühlte. Aber wie du schon sagst: "Geheilt" fühlte ich mich nicht. Fühlst du dich geheilt?

 

F: Jein. "Geheilt" klingt endgültig, ein wenig trügerisch. Ich habe immer gesagt, es fällt mir schwer, der Krankheit den Rücken zu kehren... übrigens auch nach zehn Jahren noch.

 

A: Das kann ich mir vorstellen, und ja, es geht mir ähnlich, und bei mir ist es ja noch gar nicht so lang her. Meine Mutter hat letztens gesagt, dass ich "wieder gesund" sei... sie sagte das ganz selbstverständlich. Sie hat zwar vermutlich recht, aber mir selber kommt ein solcher Ausdruck nicht so leicht über die Lippen. Gebranntes Kind halt.

 

F: Du hast eingangs erwähnt, dass es eine kleine "Unsicherheit" gäbe in Bezug auf deinen Remissionsstatus?

 

A: Ich habe eine Verdichtung in einem Wirbel, das hat man im Röntgenbild gesehen. Allerdings habe ich keine Schmerzen, und man vermutet eher etwas Degeneratives. Man wird das Skelett aber noch einmal genauer untersuchen. Mein Onkologe sagt, die Wahrscheinlichkeit, dass da etwas wäre, wäre sehr gering. Das glaube ich ihm jetzt erst mal. Bald weiß ich mehr. Auch, was den genetischen Status betrifft übrigens, denn das lasse ich auch noch checken.

 

F: Ich komme jetzt noch mit einer etwas ausgelutschten, aber doch berechtigten Frage: Gibt es etwas, wofür du im Nachhinein dankbar bist?

 

A: In Bezug auf den Krebs selbst?

 

F: Allgemein... das Davor, Währenddessen und Danach... beantworte die Frage ruhig, wie du möchtest.

 

A: Also abgesehen davon, dass ich alles gut bewältigt zu haben scheine, bin ich wirklich sehr, sehr froh, dass ich noch vor Corona krank wurde. Als es losging mit Masken, Lockdown und Abstandhalten, lag der Großteil schon hinter mir. Ich hätte mir einfach nicht vorstellen können, keinen Besuch im Krankenhaus haben zu dürfen und ständig wegen Covid aufpassen zu müssen. Ich habe mich bis heute nicht angesteckt... die ganze Familie nicht, aber wir sind auch extrem vorsichtig.

 

F: Hast du dir sonst noch etwas "mitgenommen", was für Änderungen, neuen Gedanken etc. gesorgt hat?

 

A: Hm.... keine Ahnung, das muss du mich in 2 oder 3 Jahren noch einmal fragen. Ich bin ziemlich pragmatisch. Versteh mich nicht falsch: Ich bin froh, dass ich den Knoten rechtzeitig entdeckt und auf die Chemo so gut angesprochen habe. Die OP ist gut verlaufen, die Strahlentherapie auch. Was will ich also mehr?

Aber ich schaue eben nicht so gerne zurück. Für mich hat Priorität, dass ich mitbekommen will, wie meine Jungs aufwachsen und wie etwas aus ihnen wird, also dass sie gute Berufe erlernen, heiraten und glücklich sind. Mit meinem Mann möchte ich natürlich auch alt werden. Ich wünsche mir ein gutes Leben.

Der Krebs war für eine Zeitlang ein Teil von mir, aber ich möchte ihn nicht so gerne mein Leben lang mit mir herumtragen... so oder so.

 

F: Verständlich! Umso erfreulicher, dass du dich dennoch zu diesem Interview bereit erklärt hast.

 

A: Sehr gerne!

 

 

Liebe Olivia, alles Gute für dich und deine Familie!

 

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Diagnose Krebs - und jetzt? Olivia erzählt.

 

In Österreich erhalten jährlich ca. 42.000 Menschen eine Krebsdiagnose.
42.000 Betroffene, die „ihre“ Geschichte erzählen könnten, auf die Frage, wie es Ihnen nach der Diagnosestellung, den Behandlungen, Nebenwirkungen und allem was damit verbunden ist, ergangen ist.

Also 42000 unterschiedliche „Geschichten“, eine davon konnten wir in den letzten beiden Blogbeiträgen in Form eines Interviews lesen.

 

Jede/jeder geht anders mit der Diagnose um. Und auch wenn man sich selbst gut kennt, sich gut einschätzen kann, so kann es doch sein, dass man ganz anders als erwartet reagiert.

Weil man es nämlich erst weiß, wenn man selbst betroffen ist und sich „wirklich“ und nicht nur gedacht in dieser Situation befindet.

 

„Ich kenn mich gar nicht mehr“!
„So habe ich noch nie gefühlt, gedacht, so habe ich mich noch nie verhalten“.
Solche und ähnliche Aussagen hören wir oft in der Beratung.
„Das muss eine Verwechslung sein!“.

„Ich möchte sofort eine Zweitmeinung!“

„Ich lasse nichts machen!“

 „Wieso muss ich noch warten? .Da halte ich nicht aus. Können Sie bitte sofort mit der Behandlung beginnen?““
„Das schaff ich nicht!“
„Natürlich schaffe ich das!“

U.v.m.

 

Eines ist sicher. Wenn man die Diagnose erhält, befindet man sich in einem emotionalen Ausnahmezustand.

Das gedankliche und emotionale Durcheinander wird meistens mit der Zeit besser und „irgendwie“ wächst man in diese neue Situation hinein und lernt damit zu leben.

Und genauso lernt man auch „danach“ mit dem was war und ist zurecht zu kommen,
mit der Gewissheit zu leben, Krebs gehabt zu haben – oder vielleicht auch noch zu haben und – „trotzdem und obwohl“ – wieder einen Alltag zu leben.

 

Das geht mal besser und mal schlechter, mal schneller und mal langsamer.

„Was bleibt mir denn sonst übrig? Ich muss mich dem ja stellen, ich muss da durch!“, hat kürzlich eine Patientin zu mir gesagt.

 

Marlies hat dazu Olivia (Name geändert) befragt, die vor 3 Jahren an Brustkrebs erkrankt war.

 

Ja genau, ich schreibe jetzt ganz bewusst „erkrankt war“, weil der Krebs operativ entfernt wurde und die Behandlung abgeschlossen ist. Oder?

Abgeschlossen?

Kann man das so sagen?

Sehr viele Betroffene würden jetzt sicher nein sagen, oder zumindest nur zum Teil zustimmen können.

Und das ist absolut verständlich.

Nach Abschluss der Therapie beginnt die Nachsorge, also die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, die auch wieder – je nach Erkrankungen – in unterschiedlichen Abständen stattfinden. (monatlich, alle 3 Monate, halbjährlich, 1x pro Jahr,….)

Und auch wenn es den Betroffenen körperlich wieder gut geht, sie sich wieder einigermaßen erholt haben und wieder „gut aussehen“, heißt das noch lange nicht, dass sie sich auch gut fühlen. (Da steckt ja schon das Gefühl drinnen…)

Das Geschehene psychisch aufzuarbeiten, dauert meistens sehr lange.

Ab wann kann man sagen, dass man wieder gesund, also geheilt ist?

Kann man das überhaupt?

Und selbst wenn die Ärztin/der Arzt sagt, dass das so ist, fühlt es sich dann auch irgendwann für die Betroffenen so an?

Marlies sagt, es fällt ihr heute noch schwer „der Krankheit den Rücken zu kehren“.

Ist das normal?

Ja, natürlich.

Olivia sagt, für sie gibt es keinen Start- und Endpunkt, weil zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Krebs ja schon länger da war und sie noch nicht weiß, ob und wann sie sagen kann, dass es für sie abgeschlossen ist.

Sie weiß aber auch, dass sie „das“ nicht ihr ganzes Leben lang mit sich herumtragen möchte.

Und das ist gut so.

 

 

Liebe Olivia!

Stellvertretend für all die Patient:innen und deren Angehörige möchte ich dir sagen, dass du dich jederzeit an die Krebshilfe wenden kannst und dir einen Termin für ein (kostenloses und anonymes) Beratungsgespräch vereinbaren kannst.

Und wenn du dich dabei wohl fühlst und merkst, dass das hilfreich ist, kannst du dich gerne eine Zeitlang begleiten lassen, um all das was war und ist aufzuarbeiten.

Auch jetzt, 3 Jahre danach.

 

 

„Ganz gleich, wie beschwerlich das Gestern war, stets kannst du im Heute von Neuem beginnen.“
(Buddha)

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