"Wenn ich nur fest darauf vertraue." - Interview, Teil 1

Olivia (Name geändert), 44 Jahre alt, erkrankte vor 3 Jahren an Brustkrebs.

Wie sie es geschafft hat, ihre Erkrankung durchzustehen, und wie sie heute auf diese Phase ihres Lebens zurückblickt, erzählt sie hier im Interview.

Diese Woche lest ihr Teil 1 - nächsten Dienstag gibt es den 2. und abschließenden Teil.

 

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Frage: Zuerst einmal danke, dass du dir die Zeit nimmst. Ich habe immer großen Respekt davor, wenn jemand bereitwillig Einblicke in persönlich schwierige Lebensabschnitte gibt.

 

Antwort: Dankeschön! Du machst das ja ebenso, was ich übrigens auch ganz toll finde.

 

F: Danke dir! Möchtest du dich kurz vorstellen? Worum geht es heute?

 

A: Ja, sicher. Ich heiße Olivia, bin gerade 44 Jahre alt geworden, verheiratet und Mutter von zwei Söhnen. 2019 erkrankte ich an einer sehr aggressiven Form von Brustkrebs und ging durch eine Vielzahl von Therapien durch. Soweit es mir heute bekannt ist, habe ich die Krankheit überwunden, auch wenn es da noch eine kleine Unsicherheit gibt.

 

F: Okay, dazu später mehr, wenn du magst. Wie hat denn alles angefangen?

 

A: Beim Duschen - da habe ich den Knoten in der rechten Brust entdeckt. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade 40, fast 41. Ich hätte damals schon zur Mammografie gehen sollen - es wird ja für Frauen ab 40 dringend empfohlen. Habe ich aber nicht.

 

F: Warum nicht?

 

A: Puh, keine Ahnung. Klassische Verdrängung, fürchte ich. So etwas wie Krebs betrifft ja immer nur andere, nie einen selbst. Dabei gibt es in meiner Familie bereits Fälle - meine Großmutter hatte ebenfalls ein Mammakarzinom und ein Cousin Prostatakrebs.

 

F: War dir bekannt, dass es Sinn macht, die Brust regelmäßig abzutasten?

 

A: Ja, aber auch das habe ich nicht vorsätzlich gemacht. Als mir der Knoten auffiel, war das ganz zufällig, beim Einseifen. Ich habe mir erst nicht viel dabei gedacht, aber es hat mir dann auch keine Ruhe gelassen. Ich habe auch immer wieder hingegriffen. Schließlich bin ich dann doch zum Gynäkologen gegangen. Der hat nichts Konkretes erkennen können, mich aber zur weiteren Abklärung ins Krankenhaus geschickt, weil ihm zumindest vergrößerte Lymphknoten aufgefallen waren. Die hatte ich allerdings schon länger. Ob es da einen Zusammenhang gab, weiß ich nicht.

 

F: Wie ging es dann weiter?

 

A: Im Spital wurde noch einmal geschallt und dann ein konkreter Verdacht auf Malignität ausgesprochen. Ab da ging es schnell. Stanzbiopsie und dann das Ergebnis triple negatives Mammakarzinom mit Lymphknotenmetastasen. Zu dem Zeitpunkt war der Knoten 1,5 cm groß.

 

F: Du sagst das so locker. So war es damals doch bestimmt nicht?

 

A: Nein, natürlich nicht. Ich wollte sofort eine zweite Meinung, was rückblickend ein Blödsinn war, denn die histologische Untersuchung ließ ja keinen Zweifel zu. Es war bösartig, und das wollte erst mal überhaupt nicht in meinen Kopf. Es ist einfach etwas anderes, wenn man es aus dem Mund eines Arztes hört. Vorher macht man sich stunden-, tagelang, vielleicht sogar wochenlang Sorgen und ist eigentlich auch auf das Schlimmste gefasst, aber wenn es dann wirklich Tatsache ist, reagieren manche Menschen mit Abwehr. Ich auch.

 

F: Warst du nicht imstande, dich auf das Thema einzulassen bzw. warst du in einer Art Schockzustand?

 

A: Ich war komischerweise ganz klar, zumindest dachte ich das. Der Arzt fing an zu reden, von Chemotherapie und Heilungschancen und brusterhaltender Operation, und ich sagte erst mal: "Ich lasse gar nichts machen."

 

F: Das hast du wirklich gesagt?

 

A: Ja, das war so. Das war der erste Impuls. Vielleicht auch Trotz. Ich wollte... ich konnte mir das alles nicht antun, das konnte in meinem Leben einfach keinen Platz haben. Wir hatten gerade das Haus renoviert, mein jüngerer Sohn hat aufgrund einer Beeinträchtigung Probleme in der Schule... ich wollte mich auf ganz andere Sachen konzentrieren. Der Sommerurlaub war auch schon gebucht. Da konnte ich doch keinen Krebs haben.

 

F: "Nichts machen zu lassen" war aber nicht wirklich eine Option für dich, sondern nur dem Schock der Diagnose geschuldet, oder? (Anmerkung: Ich breche hier keine Lanze für Chemotherapie als "Allheilmittel", sondern interessierte mich nur für die Gedankengänge meiner Gesprächspartnerin.)

 

A: Mir war schon bewusst, dass der Knoten nicht von alleine verschwinden wird, und dass man etwas tun müsse. Der Arzt hatte mir ja was von hoher Teilungsrate meiner Krebszellen erzählt. Wir saßen dann noch eine Stunde zusammen, obwohl er das Wartezimmer voller Patientinnen hatte. Ich bin ihm im Nachhinein sehr dankbar, denn das hat mich dann einerseits ein wenig beruhigt, und andererseits fing ich durch dieses "Informationsammeln" langsam an, den Gedanken an eine Erkrankung zuzulassen.

 

F: Du hast dich also auch mit der "Theorie" deines Karzinoms befasst?

 

A: Nur solange es den Therapieplan betraf und bis dieser feststand. Ich bin keine, die stundenlang im Netz googelt oder Bücher liest. Ich weiß auch heute noch erstaunlich wenig über die Art meines Brustkrebses, nur dass er aggressiv war und dass keine Hormonrezeptoren vorhanden waren. Bei dir war das ja anders, oder?

 

F: Schnellteilend war meiner auch, aber er war hormonpositiv, das stimmt.

Wie ging es dann weiter? Wie hat deine Familie auf diese Nachricht reagiert?

 

A: Ich habe es erst meinem Mann gesagt und dann meinen beiden Söhnen. Das war ziemlich schwierig für mich, auch weil der Jüngste leider mit Wut und viel Angst reagiert hat...

 

F: Wut, wirklich?

 

A: Es hat mit seiner Beeinträchtigung zu tun, und er ist ja ein "Mamakind". Für ihn war es besonders schwer. Auch für die anderen, auf jeden Fall - wobei mein Mann seit jeher der Fels in meiner Brandung ist - aber für die Kinder war es eine ungleich größere Herausforderung.

 

F: Habt ihr euch psychologische Beratung geholt?

 

A: Da muss ich leider verneinen, und das hätten wir wahrscheinlich tun sollen. Aber in unserer Familie ist das ein bisschen ein Wir-kriegen-das-schon-alleine-hin-Ding, das war schon immer so ... schon nach dem Motorradunfall meines Mannes vor Jahren.

Auch für die Jungs wäre es gut gewesen, sicher. Aber immerhin, glaube ich, haben wir insofern nichts falsch gemacht, als dass wir mit ihnen immer über alles geredet haben und sie über alles im Bilde waren. Der Älteste war damals 13, der hat auch viele Fragen gestellt, und der Jüngste mit seinen damals 9 Jahren hat immer geschaut, ob meine Haare schon wachsen und ob ich gesunde Sachen esse während und nach der Chemo. Er hat mir jeden Tag einen Apfel geschält. Das sind so liebe kleine Gesten, die taten uns allen gut.

 

F: Du hast ja schon die Chemo erwähnt. Die kam also am Anfang des Behandlungplans...

 

A: Zuerst wurde noch untersucht, ob es Metastasen gibt, das sogenannte Staging also. Als da zum Glück nichts herausgekommen ist, konnte man mit der Chemotherapie beginnen. Ich habe 6 Zyklen erhalten, und da man wegen eines Infektes zwischendurch pausieren musste, wurde später der Wirkstoff verringert und auf 8 Zyklen verlängert. Zum Glück hatte die unfreiwillige Pause keine negativen Auswirkungen - im Gegenteil: Ich habe auf die Chemo sehr gut angesprochen.

 

F: Wie hast du diese Zeit erlebt?

 

A: Na ja, ich war da schon so "tief drin" in allem, dass ich das einfach alles akzeptiert habe, und nein, es war natürlich kein Spaß. Ich hatte mit extremer Schwäche zu kämpfen und mein Mund war insgesamt 2x voller Bläschen, aber da war schon der Infekt im Spiel. Mein Immunsystem hatte jedenfalls ordentlich zu kämpfen.

Alles in allem habe ich es aber dann aber ganz gut überwunden und auch keine Folgebeschwerden, soweit ich weiß.

 

F: Was war aus deiner Sicht das Belastendste während der Chemo?

 

A: Sicher die beiden Wochen, als ich wegen des Infekts in der Chemo-Mitte meine Buben nicht sehen durfte. Auch, dass ich so müde war, hat mich belastet. Und auch wenn es nur Äußerlichkeiten sind: Eine ganze Weile habe ich den Blick in den Spiegel strikt vermieden, so gut es halt ging. Nicht unbedingt wegen der Glatze - an die habe ich mich relativ schnell gewöhnt - sondern weil ich einfach krank ausgesehen habe. Die Krankheit hat wortwörtlich ein Gesicht bekommen.

 

F: Gab es auch Schönes, Bereicherndes, Aufbauendes?

 

A: Die vielen kleinen Gesten von "außerhalb". Meine Mutter hat mir ein Fotobuch geschenkt. Keine große Sache eigentlich, aber es waren gesammelte Urlaubsfotos von der Kindheit bis zu dem Zeitpunkt, und das sollte mir wohl zeigen, dass ich all das auch später würde erleben können. Wenn ich nur fest darauf vertraue.

Und sonst... ja, ich habe einfach gemerkt, dass ich ganz schön viel aushalte, wenn es darauf ankommt. Mir hat auch geholfen zu wissen, dass die Medizin in den letzten Jahren besonders in der Brustkrebsforschung enorme Fortschritte gemacht hat. Zumindest hat man mir das in der Onkologie gesagt.

 

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Fortsetzung folgt.

 

 

Achtung: Das "Blitzlicht" wird morgen noch einmal pausieren. Nächste Woche ist Monika wieder dabei.

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