Am Anfang

Ich habe mir mal das Außenband am Sprunggelenk gerissen.

Jawoll.

Da bin ich ganz spektakulär aufgrund einer Bodenunebenheit umgeknickt, gestürzt und - ratsch! - ab war's.

Puh, waren das Schmerzen!

Und puh, das bedeutete einige Wochen Krankenstand.

 

Später habe ich Fotos von meinem dick bandagierten Knöchel und dem aufgeschlagenen Knie gemacht und auf sozialen Netzwerken geteilt.

Man will ja schließlich nicht im Stillen leiden, sondern sich entsetzte Smileys und zahlreiche Genesungswünsche abholen.

Nicht wahr? Und sei es nur, um das "Trauma" (und das war es ja irgendwie) nicht alleine durchleiden zu müssen.

 

Als ich erfuhr, dass ich an Krebs erkrankt war, habe ich nichts gesagt und geschrieben. Jedenfalls eine ganze Weile nicht.

Keine Fotos von transplantierten Melanom-OP-Wunden.

Keine Mammakarzinom-Befunde oder MRT-Bilder.

Keine Betroffenheitsfotos von mir im Krankenbett.

Gar nichts.

 

Ich wollte keine Fragen hören, ich wollte keine mitleidigen Gesichtsausdrücke.

Ich wollte niemandem zumuten, nach Worten ringen zu müssen, um irgendwie Anteilnahme (zu) zeigen (zu müssen).

Am Anfang war ich alles andere als öffentlich.

Da hätte ich mich am liebsten irgendwo vergraben.

 

Am Anfang - damit meine ich die Zeit, als alles noch in der Schwebe war... als die Diagnosen noch nicht definitiv feststanden und die Behandlungsoptionen noch nicht dargelegt waren.

Am Anfang... das war die Zeit, als es nur Dunkelheit gab und keinen Funken.

 

Bevor ich zur Hautkrebs-OP ins Krankenhaus ging, besuchte ich noch meine damaligen Arbeitskolleg*innen, um ihnen zu erzählen, wie es jetzt weiterging.

Operation und Erholung, danach eventuell eine medikamentöse Therapie und noch einmal danach würde ich wieder zurückkehren.

Dachte ich - damals, am Anfang.

 

Da wusste ich noch nichts von meinem Brusttumor.

 

Ich saß da, bedrückt und niedergeschlagen, und redete. Was, weiß ich nicht mehr genau.

Als ich einmal zu meiner Arbeitskollegin K. hinüberschaute, bemerkte ich mit Bestürzung, dass sie weinte.

Meine impulsive Reaktion war: Ich lachte. Nur kurz, aber es war eben ein Lachen. Das kam so plötzlich und unerwartet wie ein einmaliger Schluckauf.

Das "passte" natürlich nicht, aber im Nachhinein glaube ich, dass ich nicht fähig gewesen wäre, anders auf diesen emotionalen Ausbruch von K. zu reagieren.

Es war alles so surreal... und immer noch konnte ich nicht begreifen, dass es um MICH ging.

Ich war krank.

 

Mehrere Wochen vergingen, bis alles diagnostiziert war, was es zu diagnostizieren gab und bis der Behandlungsplan feststand.

Ich wusste von meinem Doppelt-gemoppelt-Krebs, und der Funken leuchtete hell.

Ich befand mich auf dem Weg zurück ins Leben... wortwörtlich.

 

Da konnte ich dann aufmachen... ICH sein.

Ich fing nicht etwa an, ein Krebs-Tagebuch auf Facebook zu veröffentlichen oder gruselige Fotos zu posten.

Es gab stattdessen indirekte Hinweise ... Bilder von mir nach der ersten Chemo, bei einem Ausflug, als ich zuversichtlich in die Kamera lächle.

Mein engstes Umfeld blieb immer auf dem Laufenden, und wer es von sich aus wissen wollte, erkundigte sich ebenfalls und war Teil auch dieses "neuen" Lebens.

 

Ich machte auch zweifelhafte, verletzende Erfahrungen.

Es gab Leute, die mir während der gesamten Therapiezeit an den Lippen hingen - nur um danach sang- und klanglos zu verschwinden. Als wäre ich auf einmal nicht mehr interessant genug.

Es gab auch Leute, die sich von vornherein zurückzogen, als wollten sie damit gar nichts zu tun haben. (Darüber habe ich schon einmal geschrieben. Es ist ein eigentlich verständliches Verhalten, aus Unsicherheit geboren, weil man zum Beispiel keine Fehler machen möchte.)

 

Mit meiner Krankheit ging ich so oder so auf authentische Art und Weise um. Anders hätte ich es mir nicht vorstellen können. Es war, wie es war. Ich wollte weder ein Geheimnis darum machen, noch wollte ich minutiös jedes Detail raushauen.

Ich spürte intuitiv, wie es für mich richtig war.

 

Heute - fast zehn Jahre später - rede ich noch immer über den Krebs, aber erheblich weniger. Wer etwas wissen will... wer etwas fragen möchte, da bin ich da.

Ansonsten gibt es den Blog. Oft schon war und ist er meine Hauptmöglichkeit, mich auszudrücken und gewisse Dinge auch zu verarbeiten. Der schriftliche Zugang ist, wie sich herausgestellt hat, mein Mittel der Wahl.

 

Krebs zu haben ist nicht dasselbe wie sich einen Bänderriss oder Knochenbruch zuzuziehen.

Beides schmerzt und traumatisiert (wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise), doch nur eines stellt das Leben komplett auf den Kopf.

Über das eine oder andere zu reden, sich mit-zu-teilen und dadurch einiges auch be-greif-barer zu machen... das kann nicht jeder Mensch (auf gleiche Weise).

Vielleicht auch nicht gleich am Anfang.

 

Aber irgendwann dann möglicherweise doch ... und dann sind die Expertinnen und Experten der Krebshilfe Österreich eine wertvolle Hilfe.

 

https://www.krebshilfe-ooe.at/

https://www.krebshilfe.net/

 

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Darüber reden

 

 

Wenn man eine Krebsdiagnose bekommt, dauert es normalerweise etwas, bis das Gesagte und Gehörte auch wirklich „ankommt“.

Es zu verstehen, oder überhaupt zu realisieren, dass man selbst betroffen ist, dauert oft noch länger.


Manche Patient:innen erzählen in den Beratungsgesprächen, dass sie nach der Diagnosestellung ganz sicher waren, dass die Befunde vertauscht wurden und es sich um einen Irrtum handelt.

Oft dauert es Tage, bis man versteht, worum es geht.

Nein, das dauert eigentlich sehr viel länger. Zuerst geht es darum überhaupt zu verstehen, dass man nun selber Krebspatient:in ist und sich dadurch sehr viel ändern wird.

Andere wieder haben es schon geahnt und wirken recht gefasst.

Viele reagieren verzweifelt, brechen in Tränen aus und befinden sich – verständlicherweise – in einem emotionalen Ausnahmezustand.

Im Idealfall ist beim Diagnosegespräch eine Bezugsperson dabei und man muss dieses neue, belastende Wissen in diesem Moment nicht „alleine tragen“.
In diesem Moment nicht alleine zu sein, ist sehr wertvoll, aber natürlich nicht immer plan- und durchführbar.

 

Wie geht es dann weiter?
Manchmal sind nun weitere Untersuchungen zur genauen diagnostischen Abklärung und Therapieplanung nötig.

Das bedeutet oft eine längere Wartezeit und eine sehr große psychische Belastung.

Dann erhält man den individuell zusammengestellten Therapieplan und es kann „endlich“ mit der Behandlung losgehen.

 

Wann rede ich mit wem darüber?

 

Wie immer ist das eine individuelle Entscheidung.
Anfangs werden oft nur die engsten Familienmitglieder und vielleicht die besten Freund:innen informiert.

Dann natürlich die Arbeitgeber, wobei man nicht sagen müsste, warum man nun im Krankenstand ist. (Wie lange der Krankenstand voraussichtlich dauern wird, kann man anfangs sowieso noch nicht sagen).

Oft haben Betroffene noch gar keine Worte dafür, bzw. können sie noch gar nicht viel sagen, außer dass sie eine bestimmte Diagnose haben.

Nach einiger Zeit ist das manchmal schon leichter. Man kann über die Diagnose aber eben auch schon über die geplanten Behandlungen und Therapien sprechen.

Eine junge Patientin hat mir vor einiger Zeit erzählt, dass sie Ihrer Familie immer erst von neuen Befunden erzählt, nachdem sie auch weiß, was medizinisch gemacht werden kann und was als nächstes „ansteht“.
So tut sie sich leichter, weil sich ihre Familie immer so sehr sorgt und sie dadurch das Gefühl hat, auch gleich etwas „Tröstendes“ sagen zu können und wenn auch nicht gleich eine „Problemlösung“, sprich Heilung versprechen zu können, kann sie aber Hoffnung machen.
„Dann hat man nicht ganz so ein schlechtes Gewissen, dass man anderen solche Sorgen bereitet“, meinte sie.

 

Darüber zu reden kann sehr guttun.
Es erleichtert, man bekommt Hilfe und Unterstützung und muss da nicht „alleine durch.“

Manche Patient:innen glauben aber, sie müssen ihre Familie und Freunde schonen.

Sie möchten nicht, dass sich diese so große Sorgen machen müssen.
Einige Patient:innen teilen die Diagnose nur mit wenigen Vertrauten, weil sie nicht bemitleidet werden wollen.

Manche sagen es nicht, weil sie nicht als „DIE oder DER mit der Krebserkrankung“ gesehen werden wollen.

 

Und ja, es kann passieren, dass sich Freund:innen zurückziehen, weil sie mit der Diagnose völlig überfordert sind, oder einfach nicht wissen, wie sie sich richtig verhalten sollen und sich dann lieber gar nicht melden.

Es kann aber auch sein, dass man großartige Unterstützung erhält, emotional, mental und auch durch Mithilfe bei Behördenwegen, Haushalt, Unternehmungen, als Begleitperson bei Gesprächen u.v.m.

„Gemeinsam statt einsam“ ist auch in dieser Situation das Motto.

 

Und selbstverständlich gibt es andere Möglichkeiten über alle Gedanken und Gefühle zu reden.

Ohne Tabu, ohne „wenn und aber“. Einfach alles so aussprechen, wie es im Moment da ist.

In jedem Krankenhaus gibt es Klinische Psycholog:innen mit Schwerpunkt Psychoonkologie. Nutzen Sie diese Möglichkeit bei Bedarf und vereinbaren Sie während Ihres Krankenhausaufenthaltes regelmäßig Termine.

Gerne können Sie auch an eine der 14 Beratungsstellen der Krebshilfe Oberösterreich wenden, sich informieren, beraten und begleiten lassen.

Das gilt für Patient:innen, aber natürlich auch für Angehörige.

 

Weil Krebs Angst macht, sprachlos machen kann, die Welt auf den Kopf stellt und all die Gefühle und Gedanken die achterbahnmäßig auftauchen Platz haben und ausgesprochen und ausgedrückt werden sollen und dürfen.

Probieren Sie es aus und vereinbaren Sie gleich einen Gesprächstermin.

 

 

„Der erste Schritt zur Lösung eines Problems ist, es mit jemandem zu besprechen.“
(Peter E. Schumacher)

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