Zurück zur Normalität

Es ist doch eigentlich ganz einfach.

Jetzt, da ich die Lehrabschlussprüfung hinter mich gebracht habe, sind lange Wochen und Monate des Aneignens, Lernens und "Hinwartens" endlich vorbei.

Mein sehr eng gewordener Horizont, der beinahe einzig die Fokussierung auf DAS Ziel (siehe oben) zugelassen hatte, darf sich nun wieder weiiiiiiiit öffnen.

Schluss mit Strebern.

Her mit gelassener Freizeit.

 

Aber die Wahrheit liegt, wie man weiß, oft ganz woanders.

 

Linz, kurz vor 5 Uhr früh an einem Sonntag.

Ich öffne ein Auge.... dann noch eins.

Es ist ja schon hell draußen. (Das ist so im Sommer.)

Ein Blick auf den Wecker: 04:52.

 

Körper: Pöh! Ich bin müde. Weiterschlafen...

Gehirn: Haaaaaallo! WACH!!

 

Eine Viertelstunde später gebe ich auf, schlage die Bettdecke zurück und stehe seufzend auf.

Ich habe den "Lern-Biorhythmus" eben noch in mir abgespeichert und kann ihn nicht mir-nichts-dir-nichts abschalten, wie es scheint.

 

Gerade in den letzten Wochen vor der Prüfung sahen meine Nächte so aus, dass ich wegen Erschöpfung meist schon gegen 21 schlafen gegangen war, die unfreiwillige Grübelei mich dann aber noch eine Weile wachhielt.

Auch nachts schreckte ich mehrfach so "halb" wieder hoch.

 

Ich muss mir die Unterschiede bei den Tympanogrammen noch einmal anschauen.

 

Geht die Wanderwelle nun über die Scala vestibuli hoch zum Helicotrema und die Scala tympani wieder runter, oder war es umgekehrt?

 

Der dBopt gibt das maximale Sprachverstehen bei geringstem Pegel an - nicht vergessen!!

 

In den Countdown-Tagen vor der dreiteiligen Prüfung saß ich schon im Morgengrauen über das Skript gebeugt, schlürfte Kaffee und versuchte mir das Gelesene (noch einmal) einzuprägen... so lange, bis die Buchstaben vor den Augen verschwammen oder ich mich für die Arbeit (die ja ganz normal mit 38,5 Wochenstunden abzuleisten war) fertigmachen musste.

Eine Runde Mitleid!

 

Jetzt, danach, nenne ich ein Zeugnis und eine neue Berufsbezeichnung mein eigen, und mein Kopf und mein Herz wollen schier platzen vor lauter

"Was mache ich als erstes? Natur? Lesen? Musik? Videospiele? Einfach nur in die Luft starren?"

 

ABER:

Eineinhalb Wochen nach meinem großen Triumph kann ich sagen: Ich bin noch nicht im Hier und Jetzt angekommen.

Mein innerer Rhythmus hat sich, genau genommen, nicht viel geändert - außer, dass ich nicht mehr zu den Lernmappen greifen muss.

Ich werde immer noch regelmäßig um 4 oder 5 Uhr früh wach und habe Mühe wieder einzuschlafen, auch am Wochenende.

Ich kann noch nicht umschalten auf den Modus "normaler Alltag". Zwar mache ich alles so wie immer - wie auch schon an den Tagen vor und zwischen den einzelnen Prüfungstagen - aber es ist gewissermaßen so, dass sich im Kopf und im Körper der Druck noch nicht entladen hat.

Das wird noch eine Weile dauern.

 

Ich weiß, ich würde gerne die Welt aus den Angeln reißen vor lauter "Jetzt will ich gut zu mir sein und mich an schönen Dingen erfreuen", aber Körper und Geist wollen vor allem eins:

RUHE.

 

... Und so wird es noch dauern, bis ich wieder gelernt habe, normal am (Freizeit-)Leben teilzunehmen.

 

Die Parallelen zu meiner Krebserkrankung sind - wie so oft - da.

Nach den Therapien war es mitunter das Härteste, wieder ein sogenanntes "normales" Leben leben zu lernen.

Ein Leben, das nicht zumindest alle 3 Wochen ein Sicherheitsnetz in Form eines Klinikbesuches (für Chemo oder Antikörperinfusionen) für mich parat hielt.

Ein Leben, in dem ich wie mich mit vorsichtigen Schritten wieder vorwärts zu bewegen begann und mit dem Wörtchen "Vertrauen" noch eine ganze Weile zu hadern hatte (und das übrigens noch habe).

 

Das bedeutete, auch zu Hause um 6 Uhr früh automatisch wach zu werden, obwohl man eigentlich so lange schlafen konnte, wie man wollte (man war ja im Krankenstand und würde das noch eine ganze Weile sein).

Das hieß auch, dass all die großen und kleinen Beschwerden - allesamt Bestandteil und/oder Nachwirkungen der Therapien - das Bewusstsein immer noch oder mehr denn je zuvor ausfüllten und die "ganz große Normalität" nicht so einfach zulassen wollten.

Das hatte zur Folge, dass man im Kopf immer noch mit Medikamentennamen, medizinischen Fachausdrücken und dergleichen jonglierte. Oder sogar noch mehr jonglierte, weil jetzt noch mehr Zeit dazu vorhanden war als während der Therapien.

 

Als staatlich geprüfte Hörakustikerin (respektive Hörakustiker) wird von mir erwartet, dass ich jetzt - gesegnet mit umfangreichem Wissen - kompetent meiner Arbeit nachgehe, nachdem ich die "Lebensaufgabe" Prüfung hinter mir gelassen habe.

(Wobei ich jetzt nichts anderes mache als vorher - nur die Berufsbezeichnung ist anders.)

 

Als ehemals Krebskranke eignete ich mir kurz nach dem verheißungsvollen Zitat "pathologische Komplettremission" ein neues-altes Leben an, in das ich erst wieder reinwachsen musste.

 

Ich will damit sagen:

Es kann dauern. Dieses und jenes.

Ich bin eine ungeduldige Natur und vergesse nur allzu oft, dass ich nicht mit eiserner Härte einen Punkt nach dem anderen auf meiner Lebensagenda abzuhaken habe.

Ich muss jetzt immer noch lernen... aber diesmal:

 

Innezuhalten.

Zu entspannen (wann immer es möglich ist).

Nett zu mir selbst sein. (Die Haupt-Challenge.)

Aber "nett" sein bedeutet nicht nur, nach einem anstrengenden Arbeitstag bzw. Arbeitswoche einfach nur die Füße hochzulegen, Netflix glühen zu lassen und dabei die Chipstüte zu leeren.

 

Da gibt's doch sicherlich auch noch was anderes.

 

Fortsetzung folgt...

 

 

Bild: www.wikiwand.com


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Zurück in den All-Tag!

 

 

„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier!“.

Diese Aussage haben Sie sicher auch schon öfter gehört oder vielleicht sogar selber ausgesprochen.

Was sich als gut erweist, wird in den Alltag aufgenommen und wiederholt, was sich als schlecht erweist wird aussortiert.

Oder?

Jede/r hat alltägliche Abläufe was z.B. die Morgenroutine, Essensgewohnheiten, Schlafgewohnheiten, usw. betrifft.
Wir alle haben auch so etwas wie eine „innere Uhr“ und unseren ganz persönlichen Biorhythmus.

 

Wenn nichts „Außertourliches“ stattfindet, passt das sehr gut so.

Steht z.B. eine Schularbeit, eine Prüfung, ein Projekt an, entwickeln wir einen sogenannten „positiven“ Stress/ „Eustress, der unsere Leistungsfähigkeit erhöht, uns wacher und aufmerksamer macht.

Vielleicht haben Sie ja auch zu den Schüler:innen gehört, die die letzten Tage vor Schularbeiten und Prüfungen bis spät in die Nacht gelernt haben und dann schon um 4.00 Uhr aufgestanden sind, um sich den letzten fehlenden Lernstoff noch einzuprägen.

Vielleicht kennen Sie das auch jetzt aus Ihrem Berufsalltag, d.h. die Zeit vor wichtigen Terminen/Präsentationen/Sitzungen/Gespräche sind Sie hoch konzentriert, bereiten sich gründlich vor, schlafen vielleicht auch weniger, fühlen sich aber trotzdem leistungsfähig.

Die Natur hat dafür gesorgt, dass wir diese Herausforderungen bestehen und eine Zeit lang auch mit mehr Leistung, trotz weniger Ruhe gut bewältigen.

Eine Zeit lang!

Danach sollte eigentlich eine Ruhephase kommen.

Entspannung, Ruhe, die Batterien wieder aufladen, all das, worauf man sich während dieser anstrengenden Zeit schon (vor)freut.

Und dann gelingt das nicht, oder zumindest nicht gleich?

Das ist ganz normal! („Liebe Barbara! Da denk ich immer an dich!“)

Marlies beschreibt den Zustand damit, dass sich „im Kopf und im Körper der Druck noch nicht entladen hat.“

Es braucht Zeit, wir/ Körper, Geist und Psyche/ brauchen Zeit, um wieder umzustellen.

Umzustellen auf den Modus, der dann wieder aktuell ist.
Von 100 auf 0, oder von 0 auf 100 ist nicht möglich. Geben Sie sich Zeit wieder dort anzukommen, wo Sie hinmöchten.

Und das Ziel ändert sich – je nach Lebenssituation  - immer wieder.

 

Das Leben – unser Leben – verändert sich ständig.

 

Betroffene, die eine Krebsdiagnose erhalten und deren gewohnter Alltag auf den Kopf gestellt wird, entwickeln nach dem ersten Schock oft unglaubliche Kräfte.
Manche sind selbst davon überrascht, haben das in dieser Form nicht erwartet und noch nicht erlebt und gehen– trotz aller Nebenwirkungen – mit Zuversicht, Mut, Motivation, und Durchhaltevermögen durch die lange Zeit der Therapien.

Danach kommt im Idealfall eine Zeit der körperlichen und psychischen Erholung und eine onkologische Reha, für alle, die das möchten.

Und dann ist alles wie vorher, oder?

Natürlich nicht!

Die meisten Betroffenen möchten wieder „zurück in Ihren Alltag“ und freuen sich auf Normalität.

Manche Betroffene haben „aussortiert“, wer und was in ihrem Leben nach der Krankheit bleiben - und wer und was keinen Platz mehr haben soll.

Manche Betroffene möchten „nach dem Krebs“ wieder alles so machen, wie davor.

 

So oder so – meistens ist es, ist man, anders als vorher.

Weil Erlebtes unser Leben betrifft, unsere Erfahrung ergänzt, erweitert, verändert und uns wieder etwas lehrt.
Letztendlich über uns selbst und das ist gut so.
Uns wieder zeigt, was aufgenommen und was aussortiert werden soll.

Abgesehen von Leistungs – und Belastungsfähigkeit, die sich nach einer Krebserkrankung langsam wieder aufbauen müssen, können sich auch Wertigkeiten und damit verbunden Lebenseinstellungen verändert haben.

Aber auch mit der Tatsache zurechtzukommen, eine schwere Erkrankung gehabt zu haben, Ängste in den Griff zu bekommen und wieder Vertrauen in die Gesundheit zu erlangen ist eine Herausforderung, die Zeit und Geduld braucht.

Eine Herausforderung, die zu schaffen ist - wie immer auf eigene Art und Weise - und im eigenen Tempo.

Marlies schreibt: „Es kann dauern. Dieses und jenes.“
Und es darf dauern.
Weil wir das Erlebte einordnen, bewerten, übernehmen oder eben aussortieren müssen und dadurch neue Strategien entwickeln können.
Jeden Tag auf’s Neue.

So lernen wir uns selbst immer wieder neu und besser kennen.

Also, haben Sie Vertrauen in sich selbst!

 

 

 

„I kann eigentlich nur besser werd`n, weil i ständig von mir lern“
(Stefanie Werger)

 

 

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