"Sie schafft das eh nicht."

Das wurde mal über mich gesagt... quasi hinter vorgehaltener Hand.

Es ist schon eine Weile her, und es ist seitdem ganz schön viel passiert. Schlechtes, aber auch viel Gutes.

Ich bin froh, dass ich diesen Spruch... diese Aussage nicht selbst gehört habe, denn hätte ich mich davon beeindrucken oder beeinflussen lassen?

Ich muss gestehen: JA.

Denn es ging um meinen beruflichen Werdegang und meine Abschlussprüfung.

 

Doch bereits zuvor gab es in meinem Leben - und ich bin sicher, in unser ALLER Leben - immer wieder Phasen und Momente, da pendelt der Zeiger der Waage mal auf die eine, mal auf die andere Seite.

Entweder man kriegt etwas hin oder nicht.

Mal ist es eine halbe Katastrophe (je nach Ausgang) oder nicht.

Manchmal nimmt man es selbst nicht so tragisch - und versucht es beispielsweise noch einmal - oder das eigene Selbstwertgefühl erleidet einen ordentlichen Knacks.

 

Als ich erst den einen Krebs und, mehr oder weniger gleichzeitig, den zweiten Krebs bekam, da wusste ich sehr schnell, dass es nicht genügen würde, sich wie ein Käfer auf den Rücken zu legen und alles über sich ergehen zu lassen. So sammelte ich nach einer Weile meine schockstarren Knochen und das panische Gehirn wieder zusammen und ging's an.

Ausgang vorerst ungewiss.

 

Mich hat in all der Zeit niemand gefragt (und zugegeben - die Frage erfordert Mut), ob ich mir darüber Gedanken mache, was sein würde, wenn ich es schaffe, diese Krankheit zu überleben, und was sein würde, wenn klar werden würde, dass ich sie nicht überlebe.

Ich selbst dagegen setzte mich bewusst und unbewusst ständig damit auseinander.

 

Wann kann man wissen, dass man es "geschafft" hat?

Was heißt das - "stark und mutig sein" und was macht es mit mir, zuzulassen, es mal nicht zu sein?

Was ist, wenn ich sterbe?

Was ist, wenn ich lebe?

Werde ich diesen Krebs (und ja, auch den anderen) ständig mit mir herumschleppen, wie einen Affen im Genick?

Was heißt Mut?

Was heißt Angst?

Wie verhält "MAN" sich, wenn das Leben auf einmal nicht mehr so selbstverständlich wie eine im Sonnenlicht gleißende Autobahn vor einem liegt?

Und wie, zur Hölle, verteidigt man sich gegen eine Horde von Menschen, die einem ständig unter die Nase zu reiben versucht, dass man "GANZ SICHER" gesund werde, man müsse "ES SICH NUR GANZ FEST WÜNSCHEN" und dürfe "MUT", "GLAUBEN", "GOTTVERTRAUEN" oder - Klassiker! - den "GLAUBEN AN SICH SELBST" nie verlieren.

Wie hält man all diese wohlmeinenden und motivierenden Sprüche (die ich niemandem tatsächlich vorwerfe) aus, während man sich selbst gleichzeitig wie ein ausgekotzter, glatzköpfiger Wurm fühlt, der sich vor Kraftlosigkeit nicht einmal zusammenkrümmen kann?

 

Weiß ich heute, was es heißt, nicht aufzugeben, zu kämpfen, durchzuhalten, stark zu sein?

JA.

Allerdings - und das muss ich ehrlich zugeben - hatte ich vom Beginn meiner Behandlungen weg einen linear-positiven Verlauf.

Den haben andere nicht. Ich muss nur in mein engeres Umfeld schauen.

Dennoch ist es klar und liegt für mich (und andere, die mich wahrnehmen) auf der Hand, dass mich die Krankheit gelehrt hat, daran zu glauben, dass alles gut werden kann.

Dass ich genug Kraft haben werde, sie durchzustehen... und auch das Danach, um das mindestens genauso Wesentliche nicht zu vergessen.

Dass ich nicht länger "blind" und "unbeschwert" durch das Leben gehe, was Fluch und Segen zugleich ist.

 

Noch eine wichtige Frage:

Habe ich durch die Krankheit gelernt, dass ich ALLES im Leben schaffen kann, wenn ich nur will/kann/es ganz stark versuche?

Dass ich ALLES hinkriegen kann, weil ich ja den Krebs überlebt habe, und dass all die anderen weltlich-banalen Dinge ja nie so wichtig sein können wie DAS?

Ihr wollt jetzt mein "JA" hören, aber:

 

NEIN.

 

Mein Selbstwertgefühl, meine Eigeneinschätzung, mein "Glauben" (oder wie ihr es nennen wollt) an mich selbst, haben sich durchaus irgendwie gewandelt, sind gereift, sind mal in die eine, mal in die andere Richtung gewachsen, und ich selbst habe mich natürlich verändert.... natürlich... ich bin ja nicht "stehengeblieben", sondern habe mich als Mensch ständig weiterentwickelt.

Bestimmt anders weiterentwickelt als ich das als Marlies-im-August-2012 getan hätte, aber irgendwie eben schon.

 

Aber ich bin kein Held mit Superkräften.

Ich bin kein mentaler Wunderwuzzi.

Da haben andere mehr erleuchtende, lebensverändernde Dreh- und Angelpunkte im eigenen Selbst erlebt und ihre Leben, wie man immer hört, radikal verändert und fortan zum fast ausschließlich Positiven gedreht.

Ich bin es allen von Herzen vergönnt.

 

Ich aber komme immer mal wieder von der Straße ab, lande hin und wieder im Graben, wurschtle mich aber auch wieder - schmutzig und abgeschunden - zurück ... auf Knien, die aufgrund von Bewegungsmangel und beleidigten Bändern bei jedem Abbiegen im Stereo-Sound knirschen und schmerzen.

Da klopfe ich mir dann den Alltags- und Pandemiedreck vom leider immer noch übergewichtigen Körper und schimpfe mit meinem "Ego", weil das immer noch einfacher ist und anscheinend nicht soviel Energie erfordert, als sich permanent selbst zu lieben.

 

Ja, ich wünschte, ich könnte stattdessen sagen, dass mich der Krebs gelehrt hat, nur das Gute und Starke in mir zu sehen und jedes Hindernis im Leben wie einen Eishockey-Puck auf die Seite zu wemsen... aber ich fürchte, ich habe den Schläger verlegt.

 

Es hat nicht geholfen, dass ich als suchender Mensch mehrere Versuche, einen zu mir passenden Beruf, der sich für mich richtig anfühlt, abgebrochen habe.

Ich sah mich schwach und als Versager, während ich mich gleichzeitig dafür verachtete, neidisch auf meine Schwester zu sein, die ihren beruflichen Träumen konsequent folgte und eine Start-Ziel-Punktlandung mit ihrer Ausbildung samt Abschlussprüfung hinlegte.

 

Ich dagegen lief herum wie eine verwirrte Ameise.

 

Doch dann kam der richtige Beruf wie von selbst zu mir, wenn der Weg auch nicht frei von Schlaglöchern und riesigen Bergen, die es zu erklimmen galt, war.

Es kam aber auch Corona.

Es kamen Einsamkeit, Selbstzweifel, totale Verausgabung bis zur Erschöpfung.

Es kam wieder Krebs, wenn auch nicht meiner.

Es kamen Ängste, quälende Gedanken und die Überzeugung:

 

Ich schaffe das nicht.

Das alles.

 

Es kam auch die Abschlussprüfung in unvermeidlichen Schritten immer näher, und dieser berühmte "Glaube an mich selbst"...

... all das, was man von mir selbst erwartete - schließlich war ich eine Krebs-Überlebende ...

... all das, was ich vor allem von mir SELBST erwartete, denn sie sagten es ja alle schon wieder:

"Du schaffst das schon!"

"Glaub doch an dich!"

"Du kriegst das hin!"

 

Mir war, als würde mir keiner zuhören und keiner sehen, dass ich nicht war, was sie in mir zu sehen glaubten.

Jetzt, im Nachhinein, bin ich jedoch sicher: Vor allem wollte ich selbst mir nicht zuhören und mich sehen, wie ich war (denn ich war ja überzeugt: Ich war nicht so "gut" ... jedenfalls nicht "gut genug").

 

Die Spirale drehte sich nach unten, fast bis zum Grund.

 

Aber dann passierte etwas, ganz zum Schluss.

Es war eine Art "zweiter Funken", den ich aber erst spürte, als es der Zug fast abgefahren war - im wörtlichen Sinne übrigens.

 

Meine Lehrabschlussprüfung gliederte sich in drei Teile.

Ich war überzeugt, sie nicht zu schaffen - nicht unter all den Umständen, nicht vom Boden der Spirale herauf, nicht ohne "Kraft, Stärke, Glaube" (was ihr wollt).

Letztlich wollte ich es nur hinter mir haben, vielleicht einen Teil schaffen, so dass ich beim Nächstversuch nicht alles noch einmal machen musste.

Ich wollte irgendwie mit so halb erhobenem Kopf da durchgehen.

 

Kurz vor dem ersten Prüfungsteil hätte ich fast gekniffen.

Fast wäre ich abgetaucht, hätte mich "ergeben", hatte hundert Begründungen parat.

Ich sehnte mich nach der kurzen Erleichterung des Nicht-Antreten-Müssens und Auf-Später-Verschiebens.

Es war in Reichweite.

Die Dinge waren schon geklärt.

Ich musste nur ... verharren.

 

Der Zug fuhr ab.

3x nach Wien, zu jedem Teil der Prüfung.

 

Und ich war dabei.

 

Ich war jedes Mal dabei.

Obwohl die Umstände gegen mich "spielten".

Obwohl vor allem ich selbst gegen mich "spielte".

Denn irgendwann hatte es keine Rolle mehr gespielt, ob ich die Prüfung bestehe bzw. welche Teile davon.

Wichtig war auf einmal nur noch, dass ich hinging.

Dass ich mich dem stellte.

Dass ich nicht den Schwanz einzog.

Dass ich MUTIG war.

 

Mut haben heißt Angst haben und es trotzdem tun.

Das hat mir eine Freundin mal gesagt, und sie hat recht.

 

Ich habe den schriftlichen Prüfungsteil bestanden.

Ich habe den praktischen Prüfungsteil bestanden...

... und ich habe auch das Fachgespräch bestanden.

Ich habe die ganze Prüfung bestanden.

 

Ich habe mich gegen alles gestemmt, was für mich "logisch" erschien.

Dass ich selbst glaubte, es nicht schaffen zu können. Dass das einfach unmöglich war.

Dass jemand anderer mal gedacht hatte, dass ich es "eh nicht schaffen" würde.

 

Ich habe das hingekriegt.

 

Trotz allem, trotz der "Umstände", trotz meiner fast 50, nicht mehr so "lernkompatiblen", Lebensjahre.

Weil da irgendein Teil in mir lautlos nach außen explodiert ist und einen Funken entzündet hat.

Im passenden Moment, als ich es gar nicht richtig mitkriegte.

Ich möchte meinen, es war der selbe Funken-Ursprung wie damals, und für mich ist es nach wie vor ein unfassbares, aber gleichzeitig auch berauschendes Gefühl, dass es da eine Kraft gibt, die ich abrufen kann, wenn es wirklich nötig ist.

Es war nötig.

Wieder.

 

Die meisten Heldengeschichten sind so gleichförmig wie berechenbar, wenn sie auch meist unterhaltsam sein mögen.

Meine eigene - die eine und die andere - ist holprig, gar nicht so "heldenhaft", eigentlich müsste ich mich beim Zugeben so mancher Stellen ein bisschen schämen, aber hey.... es ist MEINE Geschichte.

Letztlich zählt das, was am Ende herauskommt.

Keiner fragt nach dem "Wie".

Es kommt nur auf eins an:

 

Hinter mir geht immer noch ein leiser, bunter Funkenregen nieder.

Ich lächle von einem Ohr zum anderen.

Ich bin glücklich wie lange nicht mehr.

 

Doch geschafft.

 

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

„Es schaffen!“ „Alltagsheld:innen!“

 

 

Können Sie sich noch erinnern, was Sie mit 10 Jahren werden wollten und wie Sie sich Ihr Leben als Erwachsene/r vorgestellt haben?

Und wie war es dann nach der Schule? War es leicht die Entscheidung zu treffen eine Lehre zu beginnen, oder bis zur Matura weiter die Schulbank zu drücken?

War es einfach, die „richtige“ Lehrstelle zu finden, oder nach der Matura das richtige Studium/den richten Aufgabenbereich/Arbeitsplatz zu finden?

Oder war der Weg holprig und mühsam und alles andere als klar?
Sind Sie trotzdem angekommen, dort wo Sie ankommen wollten, beruflich und privat?

Und fühlen Sie sich gerade so gesund und agil, wie Sie das gerne möchten?

Was erwartet man sich als Kind/Jugendlicher/Erwachsener vom Leben?

Was erwartet mein Umfeld von mir?
Welche Erwartungshaltungen habe ich selber? Was trauen Sie sich zu und was trauen Sie sich nicht zu?

 

Was gilt es überhaupt zu schaffen?

Das Leben?

Das Leben für sich lebenswert zu gestalten, Lebensqualität zu haben, so zu leben, zu arbeiten, zu sein, wie es sich gut und richtig anfühlt.

Klingt gut, ist aber nicht immer einfach.

 

Im Grunde finden wir wie immer viele Weisheiten in Sprüchen und Zitaten, wie z.B.

„Der Weg ist das Ziel“
Angst beginnt im Kopf, Mut auch“
„Mut haben heißt Angst haben und es trotzdem tun“

„Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“

„Steter Tropfen höhlt den Stein“

„Was lange währt, wird endlich gut“

U.v.m.

 

Es geht letztendlich ums Tun.

Auch auf die Gefahr hin, dass etwas nicht gelingt, oder nicht beim ersten Mal gelingt.

Man hat es zumindest probiert und probiert es weiter und weiter.

Manches gibt man auf, manches probiert man auf andere Art und Weise, manch Neues entsteht dadurch.

Aber man ist handlungsfähig, aktiv, gestaltet das eigene Leben mit und bleibt in Bewegung, also auf dem Lebensweg.

Was man nicht versucht, kann auch nicht gelingen.

Oder?

 

Was erwarten Sie gerade von Ihrem Leben?

 

 Lebenserwartung!

 

Ein Wort, das nach einer Krebserkrankung plötzlich eine ganz andere Bedeutung bekommt.

Ein Wort, das in diesem Zusammenhang vielleicht auch die Möglichkeit beinhaltet, nicht mehr gesund zu werden, es nicht zu schaffen.

Ein Gedanke, den viele Betroffene gar nicht zulassen wollen, manche aber ganz bewusst durchdenken.

Ein Gedanke, der manchmal auch auftaucht, obwohl die Prognosen sehr gut sind.

„Was, wenn ich es nicht schaffe?“

„Was, wenn ich zwar jetzt wieder gesund bin, aber der Krebs vielleicht wieder kommt?“

Und was bedeutet überhaupt, es geschafft zu haben?

Ist man dann wieder „ganz“ gesund?

Eine 100%ige Garantie gibt es nicht.

Weder vor noch nach einer Krebserkrankung.

Was, wenn Betroffene wissen, dass Sie nicht wieder gesund werden?  Was kann man dann „trotzdem und obwohl“, oder gerade „deswegen“ schaffen?

Wie immer ist es hilfreich Vertrauen und Zutrauen zu haben.
Vertrauen, all das schaffen zu können, was - innerhalb des gegebenen Rahmens – möglich ist und meine Lebensqualität, mein Dasein, meinen Selbstwert, mein Leben im Moment verbessert.

Jeden Tag.

Und dann sind wir Helden, für einen Tag“ (David Bowie).

Immer und immer wieder.

 



„Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“

(Aus „Pippi Langstrumpf“, von Astrid Lindgren)

 

 

 

 

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