Denk' an was Schönes!

Mein Oberkörper ist eine Buckelpiste.

So sexy das jetzt auch (nicht) klingt - manchmal ist es eine Bürde.

 

Ich stehe unter der Dusche, an einem Tag wie jedem anderen, und bin in Gedanken vermutlich schon bei der nächsten Folge der TV-Serie, die wir gleich anschauen wollen... oder ich habe sonst irgendwas Banales im Kopf.

Ich seife mich von oben bis unten ein, wie man das halt so macht, wenn man sich wäscht, und da gleiten meine Finger plötzlich über irgendwas... Komisches.

Ich halte inne.

 

Da ist ein Buckel zwischen den Buckeln meiner Operationsnarben, und ich weiß auf einmal nicht mehr: War der immer schon da?

 

Das ist dann der Moment, wenn es heiß in den Körper rauscht (und das kommt garantiert nicht von der Dusche), sich der Magen emporhebt und um die eigene Achse zu drehen scheint.

Der Herzschlag verdoppelt sich.

Die Gedanken an die TV-Serie oder irgendetwas anderes lösen sich in kleine Stücke auf und fliegen davon.

Übrig bleibt:

ANGST.

Angst, dass der Krebs wieder da ist.

 

Ich hatte viele solcher Momente, und ich habe sie noch. Sie werden weniger, aber sie verschwinden nicht komplett.

Angesichts dessen, was ich erlebt habe, ist das auch völlig normal.

"Man muss erst wieder erlernen, Vertrauen in den Körper zu haben", hat mir mal jemand gesagt, und es stimmt.

So sehr mich mein Körper tapfer während der Therapien unterstützt hat - er war es doch, der zuvor außer Rand und Band geraten ist, wie wild Krebszellen vervielfältigt und mich dem möglichen Sterben ausgesetzt hat.

Na, schönen Dank!

 

"Du darfst den Fokus nicht immer nach innen lenken", hat mir eine andere wohlmeinende Person mit dezent tadelnder Stimme vorgehalten. "Du musst dich auf das Außen konzentrieren."

Ja ja... ich mach' ja... ich versuch' ja.

 

Aber manchmal ist es nicht so einfach.

Wie hier:

 

Was schmier' ich mir auch die Schultern mit Feuchtigkeitslotion ein? Hätte ich es besser gewusst, hätte ich es gelassen, denn dann hätte ich das kugelige Ding in der Schlüsselbeingrube nicht ertastet.

Weiß doch schließlich jedes Kind, dass eine Metastase dort ein äußerst schlechtes Zeichen wäre. Nicht wahr?

Aber es wird schon keine sein. Könnte ja auch ein Lymphknoten sein.

Ist es verschieblich? Hmm...

Mal googeln.

.... Aber das ist eine schlechte Idee. Jetzt ist es Krebs - ganz sicher. (Und diesmal geht es nicht gut aus!)

Das Herz rast.

 

Wir fahren spät abends ins Krankenhaus, in die Notaufnahme, weil ich das Ding oberhalb des Schlüsselbeins nicht aus dem Kopf kriege.

Kurz darauf sitze ich heulend vor einem Arzt, komme mir vor wie ein Hypochonder, und erhalte doch keine erleichternde Nicht-Diagnose, denn es ist Samstag, und am Samstag gibt es keinen Ultraschall.

"Ist eher unwahrscheinlich, dass das was Bösartiges ist", sagt man mir.

Aber mein Kopf gibt erst Ruhe, wenn die Entwarnung da ist. Da muss ich allerdings noch bis Montag warten. Ein Tag und zwei Nächte voll mit niederschmetternden Fantasien.

 

"Sorgen kannst du dir immer noch machen, wenn du wirklich wieder krank wärst", höre ich mal von jemandem.

Und dann kommt das, was unvermeidlicherweise immer kommt:

"Lenk' dich ab... denk' an was Schönes."

Oh. Dass ich da nicht von allein draufgekommen bin.

 

Ist das da ein neues Muttermal? Und schaut das nicht irgendwie komisch aus?

Ich betrachte es aus verschiedenen Perspektiven. Vor dem Spiegel. Mit Licht. Ohne Licht. Ich fotografiere es sogar und zoome das Foto größer. Ich suche nach alten Fotos von mir und vergrößere auch die, um zu sehen, ob an der Stelle ein Muttermal war oder nicht und wie groß es war. Und wie dunkel. Und wie geformt.

Ich stehe also wieder mal um 7 Uhr morgens wie ein Gartenzwerg vor der Praxis meiner Dermatologin, weil ich ihn einfach dringend, dringend brauche - den "kurzen Blick", der mir die Erleichterung bringen soll.

Frau S., die Assistentin, biegt mit dem Auto in die Hauseinfahrt ein... sie sieht mich und erwidert mein nervöses Lächeln, und in meinem Kopf blitzt auf: Für wie geisteskrank muss sie mich halten? Ich war erst letzte Woche hier...

Doch für wie gestört ich mich auch selbst halte: Es wird kein kritisches Wort verloren. Ich darf mich ins Wartezimmer setzen und auf Frau Doktor warten, und ich weiß, dass ich das eigentlich immer darf, weil man meine Ängste und damit mich immer, immer ernst nimmt.

Ich höre, wie Frau S. mit anrufenden Patienten telefoniert: "Tut mir Leid, wir sind die nächsten zwei Monate wirklich bummvoll, ich kann Ihnen erst wieder einen Termin im April anbieten." (Und ich, ich darf trotzdem spontan hier sitzen. Schlechtes Gewissen!)

Kurz darauf kommt Frau Dr. Sch., herzlich und verständnisvoll wie immer, und sie macht aus der kleinen Sache wie immer keine große Sache.

"Alles in Ordnung, das ist ganz harmlos", verkündet sie und legt das Auflichtmikroskop nieder. Sie lächelt mich an, und in diesem Moment ist sie mein weiblicher Messias, mein Erlöser.

 

Die Welt ist wieder schön.

Bis zum nächsten Muttermal.

Bis zum nächsten "Ding".

Bis zum nächsten Buckel.

 

---

 

All diese beschriebenen Dinge liegen nun schon - obwohl ich sie im Präsens erzählte - lange Zeit zurück.

Mir ist es irgendwie gelungen, die Abstände zwischen diesen Angst-und-Misstrauens-Episoden länger und länger werden zu lassen.

Ich könnte hier nicht sagen, dass ich irgendwann angefangen habe zu vertrauen.

Oder dass ich mich jetzt besser ablenken und an was Schönes denken kann.

Oder dass ich den Fokus jetzt nur noch auf das Außen lenke.

 

Der Krebs hat Spuren hinterlassen. Jede schwere Krankheit tut das. Im Prinzip ist es auch egal, wie lange es schon her ist... es wird sich vielleicht nur die Intensität verändern, aber das was war - es bleibt in gewisser Weise.

Es hat geprägt.

 

Wer gesund ist bzw. noch nie schwerer krank war, denkt vielleicht, er oder sie sei "unverwundbar".

Aber mit der Diagnose gerät diese Sichtweise über sich selbst nicht nur ins Wanken - oft wird einem der Boden unter den Füßen regelrecht weggefegt.

Ich habe meine Unbeschwertheit damals verloren und sie nicht vollständig wiedererlangt.

Damit möchte ich niemanden entmutigen oder nur schwarz malen, sondern nur meine Wahrnehmung wiedergeben. Nicht umsonst habe ich schon mehr als einmal geschrieben, dass es für mich ein Leben "davor" und "danach" gab.

 

Mir wurde übrigens nicht immer mit Verständnis begegnet im privaten Umfeld. Ich weiß zwar selbst auch, dass ich bestimmt diverse Nerven (über)strapaziert habe, aber es ist halt so eine Sache mit der Empathie… und es gilt:
Wer es nicht selbst erlebt hat, weiß nicht, wie es ist. Auch danach.
Punkt!

 

Die Angst wird nie vollständig weg sein... und das ist letztlich auch gut so.

Ohne Angst wäre ich nicht wachsam. Sicher kann man Wachsamkeit auch übertreiben - wie ich in den ersten Jahren - aber ich kann sie mir auch als Achtsamkeits-Idealbild im Kopf zurechtzimmern.

 

Es hat sehr lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich vor der Angst nicht weglaufen kann.

Dass ich sie nicht wegdenken, wegreden, wegweinen, wegessen, wegkaufen, wegschlafen etc. kann.

Die Angst ist mal mehr, mal weniger mein Begleiter. Meist ein sehr stummer Begleiter, da irgendwo im Hintergrund, und manchmal wedelt sie mit der Hand und will sich aus unterschiedlichen Gründen Gehör verschaffen. Dann höre ich ihr entweder (widerwillig) zu oder ich zeige ihr den Mittelfinger.

Aber ich werde sie nicht mehr ablehnen oder vor ihr davonlaufen. Denn je mehr ich das versuche, desto hartnäckiger wird sie mich verfolgen.

 

"Du musst die Angst annehmen", sagt mir jemand (und ich frage mich langsam, was ich verbrochen habe, dass mir immer jemand mit der Planierraupe ungebeten seine klugen Ratschläge drüberbügeln will).

Jep.

Wie ich es gerade erwähnte.
Aber pssst... unter uns gesagt: Schaff' das mal, wenn du mit schmerzenden Hüftknochen gramgebeutelt im Bett liegst und Angst vor Knochenmetastasen hast.

 

Jedoch... und ich wiederhole es noch einmal: Das ist nun schon länger vorbei. So ziemlich vorbei.

Meine Antennen sind zwar immer noch ausgefahren, wenn ich dusche, aber ich weiß auch, dass ich einiges an Fett- und Vernarbungsgewebe am Oberkörper habe... wie man mir nach dem Ultraschall bestätigte.

Das Ding in der Schlüsselbeingrube war ein vergrößerter Lymphknoten, wie man ebenfalls nach einer Sonographie diagnostizierte. Wohl ein Überbleibsel einer Seitenstrangangina.

Und die Muttermale... ja, die gibt's halt, und sie lassen mich mittlerweile meist kalt. Frau S., die geduldige Assistentin, ist über die Jahre für mich zu "S." (ohne "Frau") geworden, und wir duzen uns - und sie ist, gemeinsam mit Frau Dr. Sch. eine meiner treuesten Blogleserinnen.

Die beiden sehen mich jetzt tatsächlich nur noch 2x jährlich zur Nachsorge. ;-)

 

Es gab mal Zeiten, da habe ich versucht, meine Ängste zu visualisieren:

Ich habe versucht, ihnen die Schärfe zu nehmen, indem ich ihnen das Gesicht von Casper, dem Geist, gab.

Oder ich hatte den Eindruck, dieser innere Quälgeist ist eine Art Nachtmahr, der mir auf der Brust hockt und mir die Luft zum Atmen abschnürt.

 

Doch egal, was immer ich mir auch vorstelle - ich weiß, die Angst ist "gekommen, um zu bleiben", wenn auch in immer abgeschwächterer Form. Sie wird mehr, wenn die Nachsorgen anstehen, und weniger, wenn ich mich körperlich (und psychisch) wohlfühle.

Sie ist nicht berechenbar und man weiß nie, was sie als nächstes tut.

 

Aber das trifft auch auf mich zu. :-)

 

 

 

Bild: Johann Heinrich Füssli - "Nachtmahr"

(Quelle: Städel Blog - Städel Museum)

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Angst

 

 

 

„Der Vogel Angst
hat sich ein Nest gebaut
in meinem Innern
und sitzt nun manchmal da
und manchmal
ist er lange weg
oft kommt er nur
für einen Augenblick
und fliegt gleich wieder weiter
dann aber gibt es Zeiten
da hockt er tagelang
da drin
mit seinem spitzen Schnabel
und rührt sich nicht
und brütet
seine Eier aus. „
(Franz Hohler)

 

 

Wer jemals eine Krebsdiagnose hatte, weiß was Angst bedeutet.
Angst, die man empfindet, wenn plötzlich bei Vorsorgeuntersuchungen etwas „auffällig“ oder „suspekt“ ist, oder wenn man schon längere Zeit Symptome spürt und diese abgeklärt werden.

 

Angst davor, auf ein histologisches Untersuchungsergebnis zu warten.
Angst, die man empfindet, wenn man erfährt, dass man Krebs hat.
Angst davor, wie man das alles schaffen soll.
Angst vor den Therapien und den Nebenwirkungen.

 

Angst davor, nicht mehr gesund zu werden.

 

Angst, es der Familie und den Freunden zu sagen.

 

Angst davor, den Arbeitsplatz zu verlieren.

 

Angst davor, dass der Krebs trotz erfolgreicher Behandlung, wieder zurückkommen könnte.
Angst davor, dass bei nicht kurativen Therapien die Behandlung irgendwann nicht mehr wirkt.
Angst davor, zu Kontrolluntersuchungen zu gehen, bzw. lange Abstände zwischen den Nachsorgekontrollen zu haben.
Das ist absolut verständlich und nachvollziehbar.

 

Ich könnte noch viele andere Ängste aufzählen, die Patient:innen in der Beratung beschreiben, aber ich möchte natürlich – wie immer – mögliche Lösungsstrategien aufzeigen.

 

Jede/jeder Betroffene hat seine eigenen, ganz individuellen Ängste, die sich natürlich auch immer wieder verändern können.
Wie kann man lernen, mit dieser Angst zu leben bzw. welche Bewältigungsstrategien können hilfreich sein?

Angst hat die Funktion, auf Sie aufpassen und Sie beschützen zu wollen.

 

Oder?

 

Eine hilfreiche Sichtweise kann Folgende sein.
Wenn man eine Krebsdiagnose erhält, wird ein „Anschlag auf die Gesundheit“ verübt und in diesem Moment taucht der persönliche „Gesundheitsbodyguard“ auf.

 

Dieser Bodyguard wird ab jetzt besonders achtsam auf Ihre Gesundheit aufpassen und jede noch so kleine Auffälligkeit im Auge behalten.
Ihr Bodyguard wird darauf drängen, dass Sie diese Auffälligkeiten, wie z. B. ein neues Muttermal, Hautveränderungen, spürbare Knoten, Schmerzen, usw. abklären lassen.

 

Davor wird er keine Ruhe geben.

 

Der Bodyguard ist Ihre Achtsamkeit, Ihre erhöhte Vorsicht, Ihre Angst.

 

Marlies beschreibt in ihrem Blog, dass die Abstände zwischen ihren
Angst- und MIsstrauens-Episoden länger und länger geworden sind.
Auch das ist nachvollziehbar.

 

Nach jeder Kontrolle, bei der man erfährt, dass alles in Ordnung ist, kann sich der Gesundheits-Bodyguard wieder etwas zurücklehnen und erleichtert aufatmen.

 

Mit der Zeit kommt somit im Idealfall Stück für Stück wieder das Vertrauen in die eigene Gesundheit zurück, dass durch die Diagnose zutiefst erschüttert wurde.

 

Betroffene würden aber natürlich am liebsten ihre Angst loswerden wollen

 

Nachvollziehbar.
Aber, wie Marlies schon beschrieben hat, ist dies nur schwer möglich.

 

Manchmal kann es auch hilfreich sein, alle Ängste aufzulisten, zu benennen und Angst für Angst durchzudenken, nach dem Motto „was wäre wenn?“.

 

Dadurch verliert die eine oder andere Angst ihren (großen) Schrecken, bzw. wird klarer, welche Lösungsstrategien hilfreich sein und schon präventiv geplant werden könnten.

Und ja, wie immer hilft das Vertrauen und Zutrauen, bestmöglich mit der gegebenen Situation zurechtzukommen.

 

Und ja, natürlich darf man Angst haben.

 

Immer wieder.

 

Mal mehr und mal weniger.

 

Wichtig ist aber, dass man sagen kann: „Ich habe Angst und nicht die Angst hat mich!“

 

Wichtig ist auch, dass man nicht wie die Maus vor der Schlange sitzt, sondern trotz allem noch handlungsfähig bleibt - oder wieder wird - und immer wieder auf’s Neue herausfindet, was man braucht, um sich wieder sicherer zu fühlen.

Trauen Sie sich zu, sich Ihren Ängsten zu stellen, nicht wegzusehen, sondern sie zu betrachten, zu analysieren, sie in gewisser Weise auch wertzuschätzen, da es sich ja um eine Schutzfunktion handelt und trauen Sie sich vor allem zu, Wege zu finden, mit Ihren ganz persönlichen Ängsten gut zurechtzukommen, wann immer es nötig ist.

 

Auf Ihre Art und Weise und in Ihrem Tempo.

 

Sie schaffen das, wo wie Marlies das geschafft hat und immer wieder schafft.
Nur Mut!

 

 

 

 

Heute möchte ich mein Blitzlicht nicht wie sonst mit einem Zitat beenden, sondern mit einem hilfreichen Link zum Nachhören zum Thema „Angst und Depression bei Krebs“.

 

https://selpers.com/live/angst-depression-bei-krebs/

 

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