Kurschatten

Ich habe Urlaub und brauche dringend ein "Rauskommen", eine andere Umgebung und die Möglichkeit, meine Batterien wiederaufzuladen.

Also beschließe ich, ein paar Tage wegzufahren.

 

Fast automatisch zieht es mich an einen Ort im Hausruckviertel, an dem ich an zwei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils drei Wochen verbracht habe:

Ich war auf Kur.

 

Während meiner Therapie stellte es sich bald als sonnenklar heraus, dass ich - wenn ich alles hinter mich gebracht hatte - zum "Aufpäppeln" in ein Rehazentrum, respektive Kuranstalt, fahren würde.

So war es dann auch.

Knappe vier Monate nach Chemo-Ende und ca. zwei Monate nach Beendigung der Strahlentherapie stand ich an einem glutheißen Junitag mit gepacktem Koffer vor dem Kurzentrums-Tor in Bad Schallerbach.

Ich war bereit für Fitnessprogramme, Massagen, gutes und gesundes Essen und Bewegung in der Natur.

Ich war auch bereit, neue Leute kennenzulernen - hier war durchgemischt, also nicht nur Brustkrebspatientinnen, sondern auch Menschen mit Rückenproblemen.

 

Drei wundervolle Wochen mit den mannigfaltigsten Erinnerungen, die ich daran habe.

 

Meine Locken - ein "Chemo-Geschenk" - die ich jeden Abend vor dem Essen mit Fönschaum so richtig "afro-wuschelig" in Form brachte.

 

Mein Sturz beim Nordic Walken und ein aufgeschürftes Knie.

 

Meine Beharrlichkeit, nie das "Normalgericht", sondern immer das "Vitalgericht" beim Abendessen aufzuwählen.

Trotzdem war ich am Ende enttäuscht, "nur" 3 kg abgenommen zu haben (im Nachhinein betrachtet war das aber mehr als genug).

 

Der Tag, an dem ich ganz normal zum Abendessen ging, zum Buffet marschierte und plötzlich von einer meiner neuen Bekanntschaften aufgehalten wurde. Sie flüsterte mir etwas ins Ohr, und zwei Sekunden später sprintete ich geduckt aus dem Speisesaal, zurück ins Zimmer. Wenig später kam ich wieder zurück - diesmal MIT Brustprothese.

 

Ich ließ mich damals noch leicht beeindrucken. Eine aus unserer Runde meinte, ich dürfe meine "Weiblichkeit" nicht so verstecken, sondern sie - im Gegenteil - endlich zulassen, denn das habe mit meiner Krankheit zu tun usw. usf. (Uärks!)

Ich war nicht überzeugt, aber in voller Na-warte-ich-zeigs-dir-Angriffsstimmung spazierte ich in den Ort hinunter, enterte ein Modegeschäft, kaufte mir ein PINKES Poloshirt, und in einem Drogeriemarkt erstand ich einen Kajalstift, mit dem ich meine Augen SCHMINKTE.

So erschien ich unter großem "Ohoooo" beim Abendessen.

(Unnötig zu erwähnen, dass ich heute nichts dergleichen mehr machen würde. Love me or leave me.)

 

Ich denke an fröhliche Runden mit riesigen Eisbechern.

 

An Brennesseltee jeden zweiten Tag, den ich dann literweise hinunterkippte. Wenn ich heute Brennesseltee trinke, denke ich an Bad Schallerbach.

 

Ich denke auch an meine vergeblichen Versuche, meinen Blutdruck selbstständig auf aussagekräftige Weise zu messen. Nicht möglich. Sobald ich die Manschette überstreifte, klopfte mir das Herz bis zum Hals. Es war eigentlich sinnlos. Vor Jahren hatte man mir einen sogenannten "Weißkittel-Hochdruck" diagnostiziert, und ich hatte davon die Extended Version: also auch Hypertonie beim Selbstmessen. Jedoch NUR dann. Aber erkläre das mal dem Kurarzt.

Nach 3 vergeblichen Versuchen blieb ich dem morgendlichen Blutdruckmessen fern wie eine aufmüpfige Schülerin. :-)

 

Ich denke an mehrfache wohltuende Massagen und eine mir suspekte Moorpackung. Meine erste und meine letzte.

 

Kurz vor Ende der Kur machte ich mit dem Handy ein Foto von unserer "Clique". Dummerweise segnete mein Handy nur einen Tag später das Zeitliche und das Bild war verloren.

Nur noch zu einer Bekanntschaft von damals habe ich noch sporadischen Kontakt. Mich würde interessieren, wie es den anderen ergangen ist.

 

Oh, und eines habe ich jetzt fast vergessen: Kurschatten! Es gibt sie!

 

Ein Jahr später, rund um Ostern, fuhr ich ein zweites Mal nach Bad Schallerbach.

Es war super, aber nicht mehr ganz so super wie das erste Mal. Mit den Leuten war ich nicht mehr so "eng", war mehr für mich. Aber ich entdeckte meine Kreativität neu, formte Tiere aus Ton und malte. Außerdem weiß ich jetzt, wie sich ein Muskelkater nach eine halben Stunde naivem Vollgas-Aqua-Jogging anfühlt. (So etwas wollt ihr nie, nie, NIE erleben.)

 

Danach hat sich kein weiterer Kuraufenthalt mehr ergeben. Immer hielten mich diverse Dinge davon ab, darunter mehrere Ausbildungen bzw. Ausbildungsversuche.

Aber eines Tages.....

 

Jetzt bin ich also wieder hier.

Meine Frühstückspension ist sogar nur 200 Meter Luftlinie vom Kurzentrum entfernt. Von meinem Balkon aus sehe ich direkt hin.

Ich spaziere kurz nach der Ankunft hin und umrunde das Gebäude. Es ist geschlossen... was ich wusste.

Renoviert soll es werden, aber angefangen hat man damit noch nicht. Oder wird es gar abgerissen? Ich weiß es nicht, und irgendwie reizt es mich auch nicht, genauer nachzuforschen.

 

Ich sehe hinauf zu meinem ehemaligen Zimmerfenster (vom ersten Mal... das zweite habe ich vergessen) und gehe auch zum Eingang. Sehe durch die Glastür hinein ins jetzt leere Foyer. Denke an das Foto, das jetzt nicht mehr existiert und das ich genau dort aufgenommen habe.

 

Hinter dem Gebäude gehe ich den "Schleichweg" hinunter in den Ort.... sehe die Liegewiese, die wir damals bevölkerten.

Das Tor ist einen Spalt offen. Ich könnte in den Garten hineingehen. Aber ich tu's nicht.

Irgendwie soll alles so bleiben wie es war - in meiner Erinnerung.

 

Ich spaziere ins Ortszentrum.

 

In den folgenden Tagen trinke ich Kaffee, betrete Geschäfte und gehe Wanderwege wie damals.

Wieder stelle ich fest, dass ich es brauche, zurückzukehren... an die Orte der Vergangenheit, die eine Bedeutung für mich haben.

 

Bad Schallerbach ist so ein Ort für mich.

Ein Ort der Heilung und Erholung.

 

Ich bin heute in vielen Dingen entfernt von all dem, wie ich damals war.

Das liegt nicht nur daran, dass ich heute keine Locken mehr habe.

Ich war damals selbstbewusster und mutiger als heute. Es fiel mir leichter auf Menschen zuzugehen und sie auf mich zukommen zu lassen. Ich war fitter und zielorientierter.

Aber was bringt es mir, zurückzuschauen und das zu bedauern?

Es liegt nur an mir, gewisse Stellschrauben wieder zu drehen und Dinge zu verändern.

 

Nach Bad Schallerbach werde ich zurückkehren - soviel steht fest.

Vielleicht wieder als Feriengast, vielleicht aber auch wieder als Kurgast.

Unter dieser oder jener Voraussetzung.

Heute kann ich es nicht wissen und vieles will ich auch gar nicht wissen.

 

Nur, dass ich hier ein kleines Stück heilsamer Heimat gefunden habe.

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Onkologische Rehabilitation

 

 

 

Die Geschichte vom Holzfäller

 

Es war einmal ein Holzfäller, der bei einer Holzgesellschaft um Arbeit vorsprach. Das Gehalt war in Ordnung, die Arbeitsbedingungen verlockend, also wollte der Holzfäller einen guten Eindruck hinterlassen. Am ersten Tag meldete er sich beim Vorarbeiter, der ihm eine Axt gab und ihm einen bestimmten Bereich im Wald zuwies. Begeistert machte sich der Holzfäller an die Arbeit. An einem einzigen Tag fällte er achtzehn Bäume. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Vorarbeiter. »Weiter so.« Angestachelt von den Worten des Vorarbeiters, beschloss der Holzfäller, am nächsten Tag das Ergebnis seiner Arbeit noch zu übertreffen. Also legte er sich in dieser Nacht früh ins Bett.

 

Am nächsten Morgen stand er vor allen anderen auf und ging in den Wald. Trotz aller Anstrengung gelang es ihm aber nicht, mehr als fünfzehn Bäume zu fällen. »Ich muss müde sein«, dachte er. Und beschloss, an diesem Tag gleich nach Sonnenuntergang schlafen zu gehen. Im Morgengrauen erwachte er mit dem festen Entschluss, heute seine Marke von achtzehn Bäumen zu übertreffen. Er schaffte noch nicht einmal die Hälfte.

 

Am nächsten Tag waren es nur sieben Bäume, und am übernächsten fünf, seinen letzten Tag verbrachte er fast vollständig damit, einen zweiten Baum zu fällen. In Sorge darüber, was wohl der Vorarbeiter dazu sagen würde, trat der Holzfäller vor ihn hin, erzählte, was passiert war, und schwor Stein und Bein, dass er geschuftet hatte bis zum Umfallen.

 

Der Vorarbeiter fragte ihn: »Wann hast du denn deine Axt das letzte Mal geschärft?« »Die Axt schärfen? Dazu hatte ich keine Zeit, ich war zu sehr damit beschäftigt, Bäume zu fällen.«
(Aus dem Buch von Jorge Bucay „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“)

 

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Wann haben Sie sich das letzte Mal Zeit genommen um Ihre Axt zu schärfen?

Nach einer Krebserkrankung erholen sich viele Patient:innen bei einer onkologischen Rehabilitation, Kur oder Erholung.
Nach dieser körperlich und psychisch anstrengenden Zeit ist das für die meisten Betroffenen eine Wohltat.
In den Reha-Einrichtungen wird ein individuell zugeschnittenes Behandlungs- und Therapiekonzept für die Patient:innen erarbeitet und während des 3-wöchigen Aufenthalts umgesetzt. Dies umfasst alle Ebenen der Gesundheit, also körperlich, geistig und sozial mit dem Ziel, wieder zu Kräften und gestärkt(er) nach Hause zu kommen.
In Österreich gibt es relativ viele Rehabilitationszentren für die onkologische Reha.
Beim Ausfüllen des Reha-Antrages darf man eine sogenannte Wunscheinrichtung eintragen. Letztendlich entscheidet die Krankenkasse, wohin man fahren darf.

Manche Betroffene möchten nicht wegfahren, nicht schon wieder von Zuhause weg sein, haben kleine Kinder oder Haustiere, oder eben andere persönliche Gründe, warum das momentan für sie nicht passt.
Auch das ist kein Problem, weil es auch die Möglichkeit der ambulanten onkologische Reha gibt.
(Natürlich gibt es all das nicht nur nach onkologischen Erkrankungen.)

 

Nach einer Erkrankung, einen Unfall, nach einer anstrengenden Zeit ist das möglich und meistens auch nötig.

 

Viele Krebspatient:innen fahren mehrmals – also einige Jahre hintereinander – auf Reha oder Erholung. Wenn es medinisch sinnvoll und dementsprechend begründet ist, werden diese Anträge auch recht oft bewilligt.

 

Aber was ist danach?
Was, wenn man wieder gesund ist, oder zumindest so ausschaut?
Was, wenn man wieder im normalen Alltag ist?
Darf, soll, kann man dann auch eine Reha, Kur oder Erholung beantragen?
Möchte man das überhaupt?
Oder würde auch eine kürzere Auszeit genügen?
Auszeit? Wofür?

Marlies beschreibt in ihrem Blog, dass sie gespürt hat, Urlaub zu brauchen um ihre Batterien wieder aufzuladen.
Um rauszukommen, den Kopf frei zu bekommen und Kraft zu schöpfen.

 

Genau so soll es sein.

 

Wann immer wir merken, dass „unser Tank auf Reserve“ ist, dürfen wir in uns gehen und nachspüren, was wir jetzt brauchen.
Rechtzeitig!
Nicht „nur“ nach einer Erkrankung.
Nicht erst wenn wir völlig erschöpft sind und „nicht(s) mehr können“!

 

Ein Auto bleibt stehen, wenn der Tank leer ist. (Ja ich weiß, dass dieser Vergleich schon sehr überstrapaziert ist, aber er ist trotzdem gut.)
Wie oft haben Sie schon gespürt, dass Sie „eigentlich“ erschöpft sind, Kraft, Ruhe, usw. brauchen, aber sich dafür keine Zeit genommen?

 

„Das geht jetzt nicht.“
Meine Kinder/Eltern/ brauchen mich.“
„Ich habe gerade so viel Arbeit.“

 

Wie lange kann man „auf Reserve“ funktionieren?
Und was dann?
Mein Tipp:
Lieber eine geplante, organisierte (Kurz)Auszeit als ein ungeplanter, plötzlich eintretender Krankenstand aufgrund von Erschöpfung.
Lieber mit aufgetankten Batterien und mit Energie und Freude den Alltag bewältigen, als nur noch zu funktionieren.
Lieber rechtzeitig auch an sich selbst denken, als sich für andere und für die Pflichten „aufzuarbeiten.“
Gut für sich selbst zu sorgen, regelmäßig die „eigene Axt zu schärfen“ ist nötig,  damit wir nicht wie der Holzfäller in der Geschichte bis zum Umfallen arbeiten, aber trotzdem nichts mehr weiterbringen.
Selbstfürsorglich sein.
Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr, mit kleinen Pausen, Auszeiten, Tagträumen, freien Tagen, Kurzurlauben, langen Urlauben, Kur, Erholung, Reha,… was immer im Moment sinnvoll ist und gut tut.

 

Beginnen Sie damit.
Heute, nicht morgen.
Jetzt und nicht später.

So kann es gelingen, trotz aller Herausforderungen im Leben, immer wieder in Balance zu kommen und diese bei Bedarf auch wieder herzustellen.

 

 

„Was ohne Ruhepausen geschieht, ist nicht von Dauer.“
(Ovid)

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