Kein Ostern wie immer

Also ist Ostern wieder mal vorüber.

Die Bäuche sind noch geschwollen von all den Eiern, Pinzen, Schinken, Kuchen usw., Körper und möglicherweise auch Geist sind träge und satt.

 

Auch ich mache mich bereit, den Annehmlichkeiten der Feiertage wieder Lebewohl zu sagen, bis die nächsten vor der Tür stehen.

Wie schon Weihnachten war Ostern diesmal anders, nachdenklicher, den Moment genießend, aber auch etwas Bedrückendes schwer und kühl in der Kehle fühlend.

Nicht die übliche Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, die man während solcher "Auszeiten" oft mit einer gewissen Nachlässigkeit koexistieren lässt.

Weihnachten wie so viele Weihnachten zuvor.

Ostern wie immer.

Nein, nicht mehr.

Die Worte "Das ist nur vorübergehend" leuchten in meinem Kopf auf wie eine dringliche Werbebotschaft, und ich möchte gerne aus vollem Herzen daran glauben.

Und nicht nur ich möchte das.

 

An einem andern Ort, nur wenige Hundert Kilometer weg von uns, gibt es so etwas wie Osterfrieden ganz buchstäblich nicht.

Ich weiß noch, wie ich Ende Februar beklommen die Berichte über den Einmarsch der russischen Truppen in den Medien verfolgte. Etwas, was noch Monate zuvor völlig undenkbar schien, war Realität geworden.

Es begrüßte einen schon im Hotel-Speisesaal (ich befand mich auf Fortbildung) wie ein Mahnmal auf dem an der Wand montierten stummgeschalteten Fernseher mit seiner Laufschrift am unteren Bildschirmrand.

Leicht hätte ich mich mit dem Rücken zu den unheilvollen Nachrichten setzen können, und ich habe noch die Worte einer Bekannten im Ohr, die behauptete, sie würde überhaupt keine Zeitung und keine Berichte jedweder Art lesen, denn das sei ja alles eh nur manipulativ und berge schlechte Energie in sich.

Kann man so sehen, muss man aber nicht. Auch wenn es stimmt, dass der Anteil der negativen Nachrichten überwiegt (und auch, dass vor allem diese bei den Menschen "ziehen"), so halte ich mich dennoch für einen selbstständig denkenden, nicht kritiklosen Konsumenten.

Trotzdem machen die Berichterstattungen auch etwas mit mir - wie vermutlich vielen von uns.

 

Wenn es nun Poldi wäre, die anstatt wie jetzt mir gegenüber im Warmen zu sitzen und Kreuzworträtsel zu lösen, auf der Flucht ins Ungewisse wäre, ihre gewohnte Umgebung, ihre Lieben, ihre Behandlung, Medikamente und sämtliche Sicherheiten hinter sich lassend?

Wenn ich als ihr Nahestehende nicht wüsste, wie es mit ihr weitergeht, ob sie es schafft, ob sie überlebt - und das völlig unabhängig von ihrer Krebserkrankung, sondern nur aufgrund dieses Krieges?

 

Poldi leidet sehr unter den Nachwirkungen ihrer Therapie, unter den fordernden körperlichen Beschwerden und der bleiernen Müdigkeit, die es ihr unmöglich macht, länger als ein paar Stunden wachzubleiben. Für die ein kurzer Fußmarsch sämtliche Kraftreserven aufzubrauchen droht.

 

Was wäre, wenn es Poldi wäre, die sich stundenlang durch die Kälte und durch unbekannte Gegenden schleppen müsste - immer mit der Angst im Nacken, es nicht rechtzeitig zu schaffen, auf den Feind zu treffen, oder auch nach der Flucht mit Ablehnung und Misstrauen konfrontiert zu werden. Die körperlichen Beschwerden wiegen noch viel schwerer, die Energie verpufft innerhalb kürzester Zeit, die Angst schnürt die Kehle zu.

Und: Würde Poldi, wenn sie anstelle einer dieser Zigtausenden Menschen wäre, sicher sein können, weiter auf medizinische Versorgung zählen zu dürfen? Die gleichen oder doch zumindest ähnliche Medikamente zu bekommen (von denen man den Namen gar nicht weiß), und wie wäre es mit der Verlaufskontrolle, und das alles vielleicht ohne vertraute Gesichter um sich herum?

 

Heißt das jetzt, Poldi müsse sich glücklich schätzen, weil sie zwar müde und mit Glatze in der heimeligen Wohnung vor ihrem Rätselheft sitzt, denn es könne sie ja noch schlimmer treffen?

Vielleicht... aber was bringt es ihr darüber nachzudenken?

 

Jeder krebskranke oder sonst wie akut oder chronisch kranke Mensch hat das "Recht", sich krank, schwach, erschöpft, verzagt, mutlos, ängstlich etc. zu fühlen ... egal vor welchem Hintergrund und welcher Ausgangsbasis.

Für KEINEN Menschen ist Krebs eine Krankheit, die man mal eben so im Vorbeigehen hinter sich bringt und die man dann auch im Anschluss abstreifen kann wie eine alte Haut.

Und was kann Poldi dafür, nicht eine von Kriegstraumen gebeutelte Person zu sein?

Es erinnert mich manchmal an den (stummen) Vorwurf der älteren Generationen, die Jüngeren würden nicht wissen, wie gut sie es haben, denn sie hätten niemals einen Krieg erlebt.

Muss man sich deswegen schuldig fühlen?

Muss Poldi sich schuldig fühlen?

 

Auf ihre Weise hat Poldi selbst einen Krieg erlebt und erlebt ihn noch, denn es ist eine Art von "Krieg" in ihrem Inneren, so martialisch auch das wieder klingen mag.

Manchmal fasst sie Mut und Zuversicht.

Manchmal ist sie zu schwach, um die blitzende Klinge (= die Waffe) zu heben.

Manchmal mag sie auch gar nicht mehr kämpfen.

Manchmal hat sie Angst vor der Ungewissheit.

Auch das hat sie gemeinsam mit all diesen vielen flüchtenden, traumatisierten Menschen.

 

Darf man wirklich einen solchen Vergleich bringen?

 

Keine Ahnung - ich tu's trotzdem.

 

Viel zu oft fehlen mir die Worte, um meine Anteilnahme und selbst die "primitivsten" Gefühle auszudrücken.

Manchmal bin ich nach wie vor stumm, häufig verdränge ich.

Sehr oft und immer noch habe ich keine Ahnung - die über Krebs ja "so vieles weiß" und ständig herumpsychologisiert - wie ich mich verhalten, wie ich alles "richtig machen" soll.

 

Manchmal... oft... eigentlich immer... bin ich froh, dass ich es zumindest über die Worte in diesem Blog ausdrücken kann.

 

Ostern ist vorbei, Normalität kehrt langsam zurück.

Sie ist nur nachdenklicher und zerbrechlicher geworden als früher.

 

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

 

Normalität oder so ähnlich

 

Als Anpassungsfähigkeit, auch Adaptivität, Adaptabilität oder Flexibilität, wird die Fähigkeit eines Lebewesens oder einer Gesellschaft zur Veränderung oder Selbstorganisation bezeichnet, dank der auf gewandelte äußere Umstände im Sinne einer veränderten Wechselwirkung zwischen (kollektiven) Akteuren untereinander (Assimilation) oder ihrer Umgebung gegenüber reagiert werden kann.

Es ist die Fähigkeit, sich auf geänderte Anforderungen und Gegebenheiten einer Umwelt einzustellen. Sie weist auf eine umstellungsfähige und wenig festgefahrene Bindungs- und Verhaltensstruktur hin (Opportunismus). Das Potenzial der Flexibilität liegt begründet in der Erweiterung des Aktionsraums, der die möglichen Handlungsalternativen in einer Entscheidungssituation umfasst, sowie in der Reduzierung der benötigten Zeit, einzelne Strategien und Aktionen umzusetzen und durchzuführen. Der Begriffskomplex ist eng mit dem Begriff „Lernen“ verwandt. Bei einfachen Verhaltensverstärkungen spricht man von Sensitivierung, das Gegenteil ist die Habituation beziehungsweise Gewöhnung.“
(Quelle: Wikipedia)

 

 

Wenn sich äußere oder innere Umstände verändern, sind wir gefordert uns dementsprechend anzupassen um irgendwann bestmöglich damit zurechtzukommen.
Was das bedeutet?

Veränderte äußere Umstände erleben wir z.B. jetzt gerade schon mehr als 2 Jahre. Einerseits die Pandemie, von der wir nach wie vor nicht wissen, wie sie weitergeht und wie lange sie uns noch in Beschlag nimmt und leider auch der schreckliche Ukraine-Krieg.
Beides passiert im Außen, das eine ist vermeintlich weit weg, dass andere betrifft uns persönlich, da es uns in unserem Alltag einschränkt.
Manche Menschen halten es nicht aus, sich die Nachrichten anzusehen oder anzuhören, weil es so schrecklich, so unfassbar, so unbegreiflich ist.
„Weil ich es eh nicht beeinflussen, ändern,… und mich nicht zusätzlich belasten möchte.“
„Das raubt mir den Schlaf.“

„Das macht mir Angst.“
„Das bringt mich zum Weinen.“


Wenn „ETWAS“ vermeintlich weit(er) weg ist und ich nicht hinsehe oder zuhöre, bedeutet es aber nicht, dass es nicht stattfindet, nicht real ist, nicht gerade Millionen Menschen betrifft.

Da hilft auch keine „Vogel-Strauß-Methode“!

11 Millionen Flüchtlinge, (bis jetzt) schon 46000 Tote, Millionen traumatisierte Menschen.
So weit weg und doch so nah.

Dieses Leid, diese Not löst eine unglaubliche, weltweite Hilfswelle aus.
Viele Helfende wollen „anpacken, etwas machen um zu helfen“, stellen Wohnungen zur Verfügung, helfen den Hilfsorganisationen helfen und/oder spenden.
Jede/r so, wie er im Moment kann.

 

Was, wenn sich die inneren Umstände verändern, z.B. durch eine schwere Erkrankung wie Krebs?
2019 wurde bei knapp 42000 Menschen in Österreich Krebs diagnostiziert.
Die Wahrscheinlichkeit, dass jeder jemanden kennt, der an Krebs erkrankt ist oder war ist also recht hoch.

 

Wie ist das, wenn ein/e Nachbar/in, Arbeitskolleg:in, entfernte/r Bekannte/r, oder vielleicht sogar eine Freundin ein Freund an Krebs erkrankt?

Hinsehen oder nicht?

Zuhören oder nicht?

Aushalten oder nicht?

 

Was, wenn ein/e Angehörige/r, ein geliebter Mensch an Krebs erkrankt?
Das ist natürlich ein Schock und zwar für die ganze Familie, für alle, die den/die Erkrankten lieben.
Dann funktioniert das Wegschauen in der Regel nicht mehr und dann braucht es Strategien um mit der veränderten, bedrohlichen Situation Stück für Stück zurechtzukommen.
Darf man als Angehörige/r auf die eigenen Grenzen achten? Auf das, was man kann, aber eben auch auf das was man nicht kann und möchte?

Und darf man/soll man dann vergleichen? Zum Beispiel mit anderen Krebspatient:innen, die es schlimmer, oder weniger schlimm „erwischt“ hat, oder gar mit Krebspatient:innen, die jetzt auf der Flucht sind und gar nicht wissen wie es weitergehen soll und kann?
Macht das Sinn?

Darf man sich trotzdem schlecht fühlen, obwohl man sich in Österreich als Patient:in in einem „schlaraffenlandmäßigen“ Gesundheitssystem befindet?

 

Bei auftauchenden Gefühlen und Gedanken geht es nicht darum, ob das Sinn macht, oder ob man soll oder darf, ob es guttut, oder eben nicht.

Fakt ist, diese Gedanken und Gefühle tauchen auf. Sie gehören zu den jeweiligen Menschen und zu deren aktuellen Lebenssituationen.

Natürlich kann man lernen Gedanken zu „kontrollieren“, zu lenken. Man kann Gedanken hinterfragen, neu sortieren und auch neue Wertigkeiten für sich schaffen.
Dadurch kann man „besser“ oder zumindest anders mit der neuen „Normalität“ umgehen und sich darin und damit zurechtfinden.
Das beschreiben auch viele Krebspatient:innen und deren Angehörige.


Und was ist mit den Gefühlen?

 

Egal ob sich die äußeren oder inneren Umstände verändern. Es darf dauern, den eigenen persönlichen Umgang damit zu finden.
Es darf dauern, herauszufinden wie, wo und wann man anderen helfen, oder wie, wo und wann man Gutes für sich tun kann.

Es ist auch völlig in Ordnung sich seinen Gefühlen hinzugeben, sie zuzulassen und auch auszudrücken.

Mit allem was dabei auftaucht.

Mit Angst, Überforderung, Sorge, Hilflosigkeit, schlechtem Gewissen aber auch mit Zuversicht, Hoffnung, gutem Gewissen und Dankbarkeit.


Uns so kann/darf -  trotzdem und obwohl – wieder  Normalität gelebt werden, die wahrscheinlich anders ist als zuvor.

 

 

„In einer Krise wird das Besondere normal und das Normale besonders.“
(Monika Kühn-Görg)

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