Was ich nicht sage

Hör, was ich nicht sage.

 

Ich.

 

"Ich".

 

...

 

Ich bin immer noch unendlich müde von den Therapien. Ich kann mich gar nicht so oft hinlegen, wie ich das gerne möchte. Aber mein Sohn hat mich gebeten, auf die drei Enkel aufzupassen. "Eh nur von Samstag auf Sonntag."

Ich habe zugesagt. Wie könnte ich anders?

Es geht ja schließlich um meine geliebten Enkelkinder.

Und doch... ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.

Jetzt hat auch mein Sohn Zweifel.

"Bist du sicher, dass du dich nicht übernimmst, Mutti? Kann ich dir das zumuten? Es ist ja alles noch nicht so lange her."

Das wäre jetzt meine Gelegenheit.

Aber ich lächle, obwohl ich eigentlich eigentlich eine Kehrtwende machen möchte.

"Na, sicher doch. Ich schaffe das schon! Du kannst dich auf mich verlassen!"

 

Hör, was ich nicht sage.

 

...

 

Ich freue mich jetzt so richtig auf einen entspannten Abend, den ich mit einem Glas Wein in der Badewanne verbringen werde.

Nur ich und ganz viel Ruhe.

Das Telefon klingelt.

"Huhuuu, wir machen Mädelsabend! Du bringst die Chips mit, um 19 Uhr bei mir."

"Du, heute nicht, sei mir nicht böse, ich hab' die ganze Woche gearbeitet und bin todmüde."

"Ach was! Linda bleibt extra noch einen Tag länger, bevor sie wieder nach Innsbruck zurück muss. Du kannst uns doch jetzt nicht hääängenlassen!"

... Doch, das könnte ich schon. Mein Körper schreit: Ruhe!

Aber sie könnten böse auf mich sein, oder schlimmer noch: Irgendwann werde ich nicht mehr eingeladen.

"Na? Na?"

Ich seufze.

"Also gut, ich komme! Paprikachips oder Sour Cream?"

 

Hör, was ich nicht sage.

 

...

 

Ich bin zwar kein alter Mann, aber für manche Dinge brauche ich schon länger. Überhaupt jetzt, nach der Chemotherapie... ich bin so vergesslich geworden, und manchmal fehlen mir die richtigen Worte, um auszudrücken, was ich sagen möchte. Eigentlich sagen möchte.

Doch jetzt sind die Behandlungen vorbei, und alles wird wieder normal.

"Postoperativ ist mit hypertropher Narbenbildung zu rechnen, wobei die Beschwerden prozentual gesehen in den ersten beiden Jahren nicht persistent erscheinen mögen."

Der junge Arzt, der die Nachbesprechung offensichtlich rasch hinter sich bringen will, sieht mich nervös an.

"Haben Sie das verstanden?"

".... Also..."

"Haben Sie noch eine Frage?"

".... Nein...."

 

Hör, was ich nicht sage.

 

...

 

Ich bin fast blind vor Wut, weil er schon wieder ignoriert, was ich möchte.

"Sag mal, geht's noch? Ich bin körperlich einfach noch nicht in der Verfassung für einen Wanderurlaub! Wie wär's, wenn du mich einfach mal gefragt hättest, anstatt voreilig zu buchen?"

Er zieht einen Mundwinkel hoch, nimmt mich wieder mal nicht ernst - ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Ich möchte am liebsten etwas nach ihm werfen.

"Jetzt reg' dich mal ab", sagt er fast schon lässig. "Das war ein Schnäppchen. Bernhard aus der IT-Abteilung hat mir die Pension empfohlen. 1500 m - perfekte Aussicht, Gletscherblick."

"Es gibt dort keine Gletscher mehr!"

"Wen interessiert's?" Er schnaubt. "Die haben da auch Sauna."

"Ich kann nicht mehr in die Sauna. Nach der Lymphknotenentfernung ha-"

"Dann gehst du halt zum Zumba oder sowas."

Er hört mir schon nicht mehr zu, drückt den Netflix-Knopf auf der Fernbedienung.

Ich bin kurz davor, zu verstummen.

"Aber ich kann nicht", sage ich schwach. "Ich bin konditionell noch nicht so weit."

Das Marvel-Logo erscheint auf dem Bildschirm.

"Dann bleibst du halt auf dem Zimmer."

Ich sage nichts... sehe mir mit ihm den Film an.

 

Hör, was ich nicht sage.

 

...

 

Ich räume alles in die Tasche ein, so schnell ich kann. Hinter mir stehen mindestens fünf Leute, die Frau im Kostüm direkt nach mir scharrt ungeduldig mit dem Fuß.

"Haben Sie eine JÖ-Karte?"

Die Stimme der Supermarktkassierin klingt gelangweilt und gleichzeitig unangenehm kratzig.

Verständnislos blicke ich sie an, schüttle dann den Kopf.

"Bei diesem Produkt gilt der Rabattaufkleber nicht", sagt sie vorwurfsvoll.

Fieberhaft überlege ich, dabei lasse ich den Joghurtbecher beinahe fallen. Ich wollte den doch nicht ganz unten in die Tasche tun.

"Geht das vielleicht etwas schneller?", sagt ein Mann genervt.

"Entschuldigung, ich bin noch nicht... ich kann noch nicht so..."

Mir steht der Schweiß auf der Stirn, als ich mich halb umdrehe und in abweisende, desinteressierte Gesichter blicke.

Die Kassierin kaut geräuschvoll Kaugummi.

"Siebenundzwanzigneunzig, Ihre Postleitzahl?"

Ich möchte davonlaufen.

"Kann ich zuerst alles fertig einräumen? ...Ich bin noch nicht so schnell."

Der Satz hängt in der Luft.

 

Hör, was ich nicht sage.

 

...

 

Ich umklammere das Handy am Ohr fester.

"Du, das mache ich jetzt ganz bald", verspricht mein Kollege, und an seiner Stimme höre ich, dass er von irgendetwas abgelenkt ist.

"'Tschuldige", sagt er da auch schon, nervös schmunzelnd. "Emil zahnt seit neuestem, und Amelie hat ihre Ich-will-nicht-in-den-Kindergarten-Phase, du weißt ja, wie Kinder sind."

Er lacht, schrill wie ein Esel. "Ach so, du weißt es ja nicht. Du, ich sag dir..."

"Ich versteh schon", schneide ich ihm das Wort ab und versuche das Babygeschrei zu ignorieren, das es mir schwer macht, meinen Gesprächspartner zu verstehen. "Ich will nur nicht, dass es schon wieder an mir hängenbleibt."

Eine ganze Minute vergeht, in der ich einer zornigen Fünfjährigen beim Diskutieren mit ihrem Vater zuhören muss und irgendein Gegenstand geräuschvoll zu Boden fällt.

"Aber das bespr-"

Wieder eine Ablenkung, und ich vernehme, wie mein Kollege mit seiner Frau diskutiert, was sie zum Essengehen besser nicht anziehen soll. ("Ist doch nur eine Tapas-Bar, Schatz, dafür ist das Designer-Kleid doch zu schade. Hör jetzt auf, Amelie, der Papa nimmt dir gleich die Toniebox weg! - Du, entschuldige, ich muss jetzt, bitte fang' doch einfach mal mit einem kleinen Teil an, ich setze das dann später fort, ja?"

"Ja ja."

... Ich lege auf... habe begriffen, dass ich auch dieses Projekt wieder alleine machen muss, wenn wir die Deadline einhalten wollen.

Ob ich vielleicht auch ein Leben habe, interessiert wieder keinen.

 

Hör, was ich nicht sage.

 

Ich gehe auf der Straße.

Ich treffe dich.

Du rufst: "Hey, wir haben uns ja ewig nicht gesehen!"

Und ich weiß - jetzt kommt's.

"WIE GEHT ES DIR?"
Ich lächle müde. (Es wird nicht bemerkt. ... Das Lächeln schon, aber nicht das "müde".)

 

"Mir geht's super."

 

(Aber eigentlich.....)

 

Hör, was ich nicht sage.

 

Hör zu.

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar von Monika Hartl, Krebshilfe OÖ

 

Aussprechen und Zuhören

 

Aussprechen


Es ist nicht immer leicht ehrlich zu sein.
Wirklich das zu sagen, was man gerade fühlt, was man möchte und nicht das, was vom Gegenüber erwartet wird.

Es ist nicht immer leicht ehrlich zu sein.
Nachzufragen, weil man wieder einmal nicht alles verstanden hat, zuzugeben, dass man diese Fachausdrücke, Fremdwörter,… nicht versteht.

Es ist nicht immer leicht ehrlich zu sein.
Nein zu sagen und damit auch einzugestehen, dass man zu müde, zu erschöpft, zu ruhebedürftig ist, oder einfach lieber etwas anderes machen möchte.

Es ist nicht immer leicht.
Es ist aber wichtig und schafft Klarheit.

 

Wie kann das gelingen?



Wie immer ist der erste Schritt, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen.
Ist das nicht sowieso immer so?
Nicht immer. Manchmal „vergisst“ man im Alltag ein bisschen darauf, ist so mit dem beschäftigt, was gemacht, was noch erledigt werden muss, dass man sich selbst ein bisschen vernachlässigt.

Deswegen empfehle ich eine regelmäßige „Bestandsaufnahme im Außen und Innen“.
Das ist einfach erklärt.
Im Außen geht es darum darauf zu achten, wie es dem eigenen Körper gerade geht, im Innen wie ich mich gerade fühle.
Das können Verspannungen, Schmerzen, aber auch Gereiztheit, Überforderung, ständige Müdigkeit und Erschöpfung sein.
Was im Moment nicht „in Ordnung“ ist, kann man - zumindest körperlich - meistens relativ schnell wahrnehmen. Psychisch ist das manchmal schon nicht so ganz eindeutig.

 

Es ist nicht einfach, sich selbst einzugestehen, dass man gerade überfordert ist, dass einem alles zuviel ist, man eigentlich eh schon nicht mehr kann, dringend Ruhe brauchen und am liebsten eine längere Auszeit nehmen würde.

Schafft man es dann, endlich ehrlich mit und zu sich selbst zu sein steht die nächste Herausforderung an.

 
Wie sage ich es den anderen?“, z.B. meiner Familie, meiner Chefin, meinem Arzt.
Es gibt einen Satz, der in dieser Situation sehr hilfreich sein kann:

 

KLARHEIT VOR HARMONIE!“

 

Langfristig ist es immer besser ehrlich zu sein und die eigenen Bedürfnisse auch klar zu formulieren. Auch auf die Gefahr hin, dass mein Gegenüber mein „NEIN“ nicht gut findet und vielleicht auch enttäuscht reagiert.
Oder dass ich vielleicht als „lästig“ eingestuft werde, weil ich im Krankenhaus immer wieder und so lange Fragen stelle, bis ich alles verstanden habe.
Oder dass ich vielleicht in meinem Umfeld nicht mehr so gesehen werde, wie ich einmal war.
Ist das gut oder schlecht und für wen ist es so?
Langfristig gesehen ist es immer besser und auch harmonischer, zu wissen woran man ist.
Nur so kann man Missverständnisse vermeiden, Klarheit schaffen und für Orientierung sorgen.
Bei mir und den anderen.

Zuhören


Zuhören ist doch einfach, da kann man doch nichts falsch machen, oder?
Was passiert, wenn ich zwar alles anspreche, aber nicht gehört werde?
Kommt vor, oder? Haben Sie sicher auch schon erlebt.

Also Sie erzählen etwas, vielleicht sogar etwas sehr Wichtiges und Ihnen fällt auf, dass Ihr Gegenüber gar nicht bei der Sache ist und gar nicht zuhört.
Was dann?
Auch da gilt es wieder, ehrlich zu sein und die Dinge beim Namen zu nennen.
Wenn möglich ohne Vorwurf mitzuteilen, dass Ihnen auffällt, dass offensichtlich gerade ein schlechter Zeitpunkt für das Gespräch ist, dass ihr Gegenüber keine Zeit hat, abgelenkt , oder mit eigenen Gedanken und Problemen beschäftigt ist.

 

Oder wenn Sie die/der Zuhörende sind und merken, dass Sie dafür im Moment „keinen Kopf“ haben, dann ist es fair, dass seinem Gegenüber auch ehrlich mitzuteilen.

 

Als Beispiel möchte ich wieder einmal die Arzt-Patienten-Kommunikation nehmen.
Viele Patient:innen haben nach einer Krebsdiagnose sehr viele Fragen und dies über einen oft sehr langen Zeitraum.
Es macht Sinn, einen
extra Termin dafür zu vereinbaren, weil sonst wahrscheinlich die Ärztin/der Arzt unter Zeitdruck sein wird und dieses Gespräch dann für beide Seiten eher stressig sein wird. Dazu kommt die Tatsache, dass sich Patient:innen in der Regel bei solchen Gesprächen auch noch ein einem emotionalen Ausnahmezustand befinden.

Reden und Zuhören braucht auch Zeit und den richtigen Rahmen, vor allem dann, wenn es sich um wichtige Themen handelt.
Es macht Sinn, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten und die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Deswegen ehrlich sein, wahrnehmen, mitteilen, planen und dann hoffentlich gut reden, bzw. zuhören können.
So kann Kommunikation gelingen.

 

„Gedacht ist nicht gesagt,
gesagt ist nicht gehört,

gehört ist nicht verstanden,
verstanden ist nicht einverstanden,
einverstanden ist nicht angewendet,
angewendet ist noch lange nicht beibehalten.“
(
Konrad Lorenz) 

 

 

 

 

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