Regenbogeneinhorngummiponydieb

Meine heutige Geschichte ist ganz einfach erzählt. Keine (pseudo-)literarisch-hochgeistigen, lyrischen Ergüsse, sondern das nackte Leben.

 

Ich war heute Frühstücken.

Es passierte nichts Besonderes.

Zumindest nicht an der Oberfläche.

 

Ich betrat das große Kaffeehaus (das im Grunde eine Kombination aus Bäckerei und Kaffeehaus ist) verhältnismäßig früh für einen Sonntagmorgen.

Halb neun war's und schon ziemlich gut besucht.

Einen netten Tisch hatte ich schon ausgemacht, wurde jedoch sogleich - genauso nett - davon vertrieben, weil es sich um die Selbstbedienungszone handelte. Aha.

Weiter hinten wurde ich dann an einem kleinen Tisch fündig - es war einer der ganz wenigen ohne Reservierungsschild.

 

Wie sich bald herausstellte, war es dann trotzdem keine besonders gute Wahl.

Ich saß nämlich in der Schneise zwischen einer Garderobenhaken-Vorrichtung und dem Weg zum Ausgang.

Was bedeutete, dass ein Haufen Leute immer wieder an mir vorbeiging.

Einige mit, einige ohne Maske, einige so halb-die-Maske auf.

Wie im normalen Leben halt auch.

 

Ich bestellte mein kleines "Frühstücktürmchen" mit Rührei ('tschuldigung... Eierspeis'), Schinken, Käse und Gebäck.

Den Kaffee bekam ich viel zu früh. Der war naturgemäß schon kalt, bevor der Rest kam.

Das war das erste, was mir die Laune ein wenig "vergrießelte".

 

Ich saß auf der Präsentierfläche. Zumindest kam ich mir so vor.

Ihr müsst wissen, ich bin nämlich ein Mit-dem-Rücken-zur-Wand-Sitzer. Da habe ich alles im Blick und fühle mich "geschützt".

Nun war das jedoch anders. Da waren Tische an allen Seiten, und im hinteren Teil befand sich - gut hörbar - eine Großfamilie mit kleinen Kindern... oder halt zwei Kleinfamilien, aber jedenfalls mit kleinen Kindern.

 

Meine Hochsensiblitäts-Antennen (über die ich sonst nicht gerne rede, wegen "Mimose" und so) fuhren endgültig hoch.

Man kann auch sagen: Ich war wie ein Hörgerätmikrofon, das den Schall omnidirektional aufnimmt.

Ringsum nämlich.

 

Ich hörte Husten. Jede Menge Husten sogar, und zwangsläufig - wenn man die letzten 2 Jahre nicht unter einem Stein lebend verbracht hat - fragt man sich, ob es sich um ein ganz normales katarrhisches/nikotinbedingtes/nervöses/allergisches Husten handelt, oder ob jemand unbewusst coronainfiziert seine Aerosole durch die Luft schleudert.

Wieder einmal blieb auch meinen scharfen Blicken nichts verborgen, während ich in mein Dinkelweckerl biss.

Ich sah nämlich niemanden, der vorschriftsgemäß in seine Ellenbeuge hustete.

Goddamn!

Nein, da mussten die Handflächen, die Fingerspitzen oder halt gar nichts herhalten.

Aber gut, das kannte ich ja nicht anders, und obwohl ich auch längst covid-müde (eher -komatös) bin und bei sämtlichen regierungsverhängten Maßnahmen nur noch resigniert abwinke, fragte ich mich an dieser Stelle dennoch, ob denn hier KEINER NACHDENKT.

 

Sei's drum, das Frühstück schmeckte trotzdem gut, auch wenn die Sonntagszeitung auf unzähligen Seiten nur das eingefrorene Gesicht eines bestimmten omnipräsenten Staatsmannes abgebildet hatte.

Da blätterte ich dann halt nach dem Textüberfliegen weiter.

"Textüberfliegen"?

Ja, ich gestehe - die Umstände ließen es nicht zu, dass ich mich auf eine ausführlichere Widmung der Lektüre konzentrieren konnte... oder wollte.

 

Die mühsam erzwungene selektive Wahrnehmung zersprang in meinem Kopf nämlich wie eine Kristallkugel in tausend Splitter, als weiter hinten im Café jemand einer Wüstenkatze auf den Schwanz trat.

Zumindest klang es so, aber in Wahrheit war es wohl eher die kleine Annalena, der im Spielbereich von Paul-Fridolin das Regenbogeneinhorngummipony entwedet worden war.... woraufhin die kleine Annalena zur kleinen Rabaukin mutierte und den dreisten Paul-Fridolin anSCHRIE und vielleicht (hoffentlich) auch schubste.

Das Problem dabei war, dass die Eltern eher auf dem Sie-solln-sichs-untereinander-ausmachen-Trip zu sein schienen. Ich drehte mich nicht um, konnte mir das nachsichtig-müde "Geh, Leni" aber schon vorstellen, während man den Blick vom Handydisplay nicht zu heben wagte.

 

Es ist nicht überliefert, ob das den letzten berufsbedingt pädagogischen Funken in mir zum Erlöschen brachte, aber zumindest nagte es meine Nerven ein wenig (weiter) an... während ich auch nagte ... nämlich an der Walnuss-Dekoration meines Frühstückstürmchens.

 

Doch die Geschichte um den juvenilen Regenbogenpony-Rambo ist noch nicht zu Ende.

Bald darauf kamen nämlich die offensichtlich das Frühstück beendet habenden Eltern nach vorn zur Garderobe - sprich: zu mir - um nach den Jacken zu suchen.

Und da war er: Paul-Fridolin.

Stellte sich neben meinen Tisch und schaute mich an.

 

Erinnert ihr euch an die Szene in "Zurück in die Zukunft", als Marty McFly im Café auf seinen "Zukunftsvater" George trifft und ihn penetrant von der Seite anstarrt? Nach einigen Sekunden setzt George seinen Milchshake, den er gerade geschlürft hat, ab und dreht sich genervt zu Marty:

"WAS?"

 

An diese Szene musste ich denken, aber wie es nun mal so ist: Kinder sind neugierig. Kinder starren.

Und vielleicht hatte ich ja einen Marmeladenfleck am Kinn - wer weiß?

("WAS?" konnte ich nicht sagen.... wegen der Aerosole und mehr noch wegen der sich sicher voll empörenden Eltern.)

 

Vielleicht eine Viertelstunde später trat ich, satt und um ein paar Euro ärmer, ins kühle (und viel ruhigere) Freie hinaus und bereute.

Bereute, dass ich mir das nicht gespart und zu Hause ein Müsli (weil eh gesünder) gegessen hatte.

Bereute, weil ich im Grunde eh schon vorher gewusst hatte, dass mir ein sonntäglicher Dolby Surround-Kaffeehauslärm ungefähr so angenehm sein würde wie ein glühender Holzsplitter im Bauchnabel.

 

Aber über diese persönlichen, tagesform- und charakterabhängigen Sand-im-Getriebe-Sperenzchen hinausgeblickt, fiel mir noch etwas auf:

 

So etwas wie heute - mit all den halbmast-maskentragenden, herumhustenden, sich zusammenrottenden, keine Distanzen einhaltenden, großen und kleinen Kaffeehaussitzern und Regenbogeneinhorngummiponydieben - könnte ich mir gar nicht leisten, wenn ich ...

 

... nah bei jemandem wäre (vielleicht auch noch jeden Tag), der einer sogenannten "vulnerablen Bevölkerungsgruppe" angehört, für die ein Anstecken mit Corona keine Geh-stellts-euch-doch-bitte-nicht-so-an-Kleinigkeit wäre, sondern unter Umständen weitreichende, böse Folgen haben könnte.

 

Ich muss an Poldi denken, die so tapfer seit Wochen die Aufs und Abs ihrer Krebstherapie bewältigt.
Ich muss daran denken, wie sehr sie - trotz dreimaliger Impfung - aufpassen muss, sich nichts "einzufangen" (von Corona angefangen bis zu "normalen" Infekten).

Ich muss daran denken, wie Poldis Mann seit Monaten seine Kontakte ganz selbstverständlich einschränkt, um seine Frau nicht unnötig zu gefährden und dass ER derzeit nicht "ganz normal" im Kaffeehaus unter so vielen Menschen und "Aerosol-Spuckern" sitzen und sich über Banalitäten aufregen würde.

Ich muss daran denken, wie von einer Randgruppe immer wieder "Widerstand" und "Freiheit" skandiert und nur an die eigene Befindlichkeit und Komfortblase gedacht wird, während Menschen wie Poldi sich nichts anderes wünschen, als im Krankenhaus NICHT bei jedem Tür-auf-und-zu den "Fetzen" aufs Gesicht drücken zu müssen, während sowieso Luft und Kraft fehlen.

Ich muss daran denken, dass nach wie vor auf alte und/oder kranke und/oder beeinträchtigte Menschen vergessen wird, wenn es medial um das Thema Corona geht. Und wenn nicht auf sie vergessen wird, dann gehen sie dennoch in der schon routiniert-sich wiederholenden Berichterstattung unter... schier von der präsenteren breiten Masse erdrückt.

 

Ich muss daran denken, dass ich Poldi seit Weihnachten nicht gesehen habe.

Und dass das nächste Mal - voraussichtlich - nicht vor Ostern sein wird.

 

Zumindest konnte ich mich - wenn auch nur innerlich - über ein renitentes Kind aufregen ... über meine Befindlichkeiten, die in einem Moment wohl gestört, aber im nächsten wohl schon wieder vergessen sein werden.

Zumindest konnte ICH im Kaffeehaus sitzen. Ganz normal.

Und dann raus gehen in die frische frühlingsverheißende Sonntagsluft und in den nächsten Bus einsteigen, in dem statistisch gesehen vermutlich ein ahnungsloser Infizierter (nicht Zombie, sondern Covid-Kranker) sitzen wird.

Ich konnte heimgehen und den restlichen Tag - relativ sorgenfrei - tun, was ich wollte.

 

P.S.:

Meine Schwester hatte auch so ein Regenbogeneinhorngummipony (und vermutlich noch 28 andere).

Es kann im Nachhinein nicht mehr mit unumstößlicher Sicherheit nachgewiesen, aber doch stark vermutet werden, dass ich es ihr weggenommen habe.

Wahrscheinlich mehrmals.

 

Es war eh hässlich.

 

🦄

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    sabine (Dienstag, 01 März 2022 06:28)

    "so it is......."