Das richtige Rezept

"Es ist nichts übriggeblieben von der starken, mutigen Poldi, die du beschrieben hast... und die ich anfangs war."

So sagte sie es mir am Telefon, vor wenigen Wochen.

Es klang fast entschuldigend.

 

"Es wird wieder aufwärts gehen", entgegnete ich - wohlwissend, wie floskelhaft und "mager" das selbst in meinen eigenen Ohren klang.

Und mein anschließendes "Das ist ganz normal, dass auch mal so eine Phase kommt" war dann wohl gleich die nächste Binsenweisheit, frisch aus den Marlies'schen Stammbuch-Katakomben.

 

Was soll man sagen?

Nein... was will ICH sagen?

Etwas Hilfreiches... etwas, das wieder stärkt und Mut macht... etwas, das "ankommt".

Aber gibt es so etwas überhaupt, oder gibt es Dinge, die sich nicht wegreden oder schönreden lassen?

 

Es gibt kein Rezept... kein Hilfsprogramm, das man jemandem auf's Auge drückt (möglicherweise sogar, ohne zu fragen).

Da ist diese nährende Trinkmahlzeit... die könntest du mal versuchen.

Du musst dir einfach stärkere Schmerzmittel verschreiben lassen.

Du solltest das nicht so schwarz sehen.

 

Kannst.

Musst.

Sollst.

 

Als ehemals selbst Betroffene hätte ich nicht gedacht, wie schwer es sein kann, zu akzeptieren.

Dass ich nicht unmittelbar helfen kann.

Dass es DEN einen goldenen Tipp nicht gibt.

Dass man es als Angehörige aushalten muss, wenn es dem kranken Menschen schlecht geht.

 

Poldi hatte einen Durchhänger.

Sogar mehr als das... sie hatte einen ersten richtigen Tiefpunkt erreicht.

Schwer erträgliche Schmerzen, Verzagtheit, Kraftlosigkeit, Angst.

 

Wie "leicht" war es für uns Nahestehende doch gewesen, in der ersten "Mut & Kraft"-Phase an ihrer Seite zu stehen.

Dass ein geliebter Mensch, der so schwer erkrankt ist, direkt "aktivistisch" erscheint (oh gut, wie ich das noch von mir selbst kenne!) und positive Vibes verbreitet, der steckt automatisch auch sein Umfeld an.

Man freut sich über diese erfreulichen Zeichen, schöpft selbst Mut und Kraft und verdrängt Ängste.

Ich tat all das.

Es hätte so weitergehen können.

 

Ging es aber nicht.

 

Die Therapien machten sich bemerkbar, verbrauchten Energie und verursachten Schmerzen und Nebenwirkungen.

 

Ganz normal während einer Krebsbehandlung.

Was hatte ich gedacht?

Nun... eigentlich nichts anderes... ABER ....

 

Ich wurde mitunter etwas sprachlos.

Ich verlor auf dieser Talsohlenstrecke, die ich aus der Ferne begleitete, stellenweise meine Impulsivität, meine Sprache, meine eigene Kraft.

 

Ich wurde ein bisschen stumm.

Ich wurde ein bisschen hilflos.

Ich wurde zur Worthülsen-Anwenderin, die ich doch unbedingt vermeiden wollte.

 

Ich verlor - ein bisschen - den vorgeblich starken, roten Faden, mit dem wir verwoben waren, Poldi und ich.

Aber ich begriff allmählich auch das, was ich als selbst Betroffene stets gewusst hatte:

 

Den größten Teil des Weges geht man allein.

 

Das war dann der Punkt, an dem wir uns schwer taten.

An dem die Kommunikation zu stottern begann wie ein Motor.

An dem das, was ich - wie zuvor - aus vollem Herzen zu geben bereit war, aus Verunsicherung nur noch unscharf und zögerlich weitergetragen wurde.

 

Es kam mir bekannt vor.

Ich hatte - auf andere Weise - dieselben Erfahrungen mit dieser Sprachlosigkeit gemacht, als ich krank war.

Nett ist er, dieser Ratschlag, dass man doch Familie und Freunden genau sagen solle, wie man sich in dieser schweren Zeit den Umgang und Kontakt wünscht.

 

Was, wenn man es selbst nicht genau weiß?

Was, wenn man an einem Tag so dringend und brennend jemand zum Reden und Zuhören braucht?

Was, wenn man am anderen Tag einfach nur allein sein und in Ruhe gelassen werden möchte?

Was, wenn man die Worte nicht findet, die wiedergeben sollen, was man sich wünscht oder nicht wünscht?

Was, wenn es "das richtige Rezept" nicht gibt?

 

Was, wenn man nicht will, dass da jemand daherkommt und einen ungefragt aus der Talsohle hochzuzerren versucht?

Was, wenn diese Person ein anderes Tempo, eine andere Vorstellung von "Hilfe" hat?

 

Wenn Grenzen überschritten werden - eigene und die des anderen.

Wenn Verunsicherung den natürlichen, ungezwungenen Umgang untergräbt.

 

Wenn....

 

Wenn der Tiefpunkt dann allmählich überschritten ist und es langsam, aber sicher besser wird,

dann lösen sich manche Knoten von selbst.

Manche dieser Knoten lassen sich auch bewusst öffnen, und dann kehrt wieder die Leichtigkeit zurück, die man zuvor erzwingen wollte.

 

Poldi geht es besser.

Allmählich kehren Mut und Kraft zurück.

Auch, wenn der nächste Tiefpunkt irgendwann vermutlich kommen wird, so muss es nicht wieder sein wie vorher - in mehr als einer Hinsicht.

 

"Vielleicht habe ich dich unnötig unter Druck gesetzt... habe dir dieses Starksein und Mutigsein durch den Blog aufgezwungen", versuchte ich zu ergründen.

"Nein", sagte Poldi. "Auf keinen Fall. Ich habe mich doch gefreut."

 

Und das lasse ich - als psychologische "Übung" für mich selbst - nun einfach mal so stehen. ;-)

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Eine Krebserkrankung betrifft nicht nur die Erkrankte:
Auch Angehörige, nahe stehende Freund:innen, Kolleg:innen,… sind in ihrer Betroffenheit zu würdigen.

Immer wieder beschreiben Angehörige in der Beratung, wie hilflos sie sich fühlen und nicht mehr wissen, was richtig und was falsch ist.

Angehörige möchten alles richtig machen, trösten, unterstützen, motivieren, informiert sein und informieren, Sprachrohr bei Arztgesprächen sein und noch vieles mehr.

Geht das?

Mal besser, mal schlechter!

Schlechter? Wieso? Und was bedeutet das?

 

Schlechter – aus Sicht der Angehörigen.
Weil es Situationen geben kann, für die es keine Worte gibt, oder Worte nicht helfen und nur floskelhaft klingen.

Situationen in denen man sich hilflos fühlt und sprachlos ist.

Was dann?
Psychologie ist leicht ausgesprochen/geschrieben, das Umsetzen ist absolut schwierig und immer wieder herausfordernd.

 

Hier vier so leicht formulierte Begriffe, die Betroffene an die Grenze der Belastbarkeit bringen können.

  • Akzeptanz

  • Aushalten

  • Geduld

  • Vertrauen

Akzeptieren, dass im Moment der Krankheits- Therapieverlauf so ist wie er ist.

Aushalten, dass es den Erkrankten gerade nicht gut geht und geduldig sein, dass es einige Zeit dauern kann, bis Medikamente/Schmerzmittel/Therapien greifen, bzw. sich ein psychisches Tief langsam wieder aufhellt.
Vertrauen – wie immer in das Ärzteteam, die Therapien und ganz besonders in die Patientin/den Patienten.

 

Aus Sicht der Erkrankten sind Angehörige - trotzdem und obwohl – eine große Stütze.

Auch dann, oder gerade deswegen, weil man im Moment keine tröstenden Worte findet.

Es ist viel schwieriger einfach nur zuzuhören, nichts zu sagen und auszuhalten, dass es gerade so ist, wie es ist.

Das hilft.

Weil sich Erkrankte verstanden und in ihrer momentanen Verzweiflung, Schmerz, Kraftlosigkeit gewürdigt fühlen.

Weil Ihr Gegenüber erträgt, dass es jetzt nicht gut läuft und man einen physischen und psychischen Durchhänger und einen Tiefpunkt erreicht hat.

Weil ihre Angehörigen respektieren, wofür oder wogegen sie sich entscheiden, was sie tun/und eben nicht tun.
Weil sie spüren, dass sie nicht alleine sind und nicht alleine durch diese schwierige Zeit gehen müssen.

 

Angehörige dürfen das sein und bleiben, was sie sind, nämlich

 

  • Tochter/Sohn

  • Mutter/Vater

  • Partnerin/Partner

  • Usw.

Angehörige müssen nicht Seelsorger, Psycholog:in, Ärztin/Arzt, Krankenpfleger:in,
Personal Trainer:in, Taxifahrer:in, Terminmanager:in, allwissend und noch Vieles mehr sein.

 

Angehörige dürfen in ihrer Rolle bleiben, mit all ihren Ängsten, Sorgen, der Hoffnung und der Zuversicht und all den Emotionen die auftauchen und auch wieder verblassen.

 

Angehörige helfen, unterstützen und begleiten. Mal besser und mal schlechter; mal laut, mal leise; mal ganz nah, mal aus der Ferne; mal täglich, mal ab und zu; und immer so gut, wie man eben im Moment da sein kann.

 

Und last but not least – Angehörige dürfen auch auf ihre Grenzen achten und gut für sich selbst sorgen.

Nur so hat man auch die Kraft, für andere da zu sein.

 

 

"Nach 'lieben' ist 'helfen' das schönste Zeitwort der Welt."

(Bertha von Suttner)

 

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