Das Ei des Kolumbus

Man soll sich ja nie mit anderen vergleichen, heißt es so schön.

Und trotzdem tun wir es (meist) alle.

Das liegt nicht nur an Social Media, dem Like-"Zwang" und der permanenten Selbstdarstellung und Bewertung anderer.

Das fängt oft schon unvoreingenommen im Kleinkindalter an, oder nein... eigentlich schon bei den ersten Sozialkontakten innerhalb und außerhalb der Familie.

Liegt dann also wohl in der Natur des Menschen (und ich bin sicher, Monika wird euch im "Blitzlicht" bestimmt mehr darüber erzählen können).

 

Wenn wir etwas ganz super machen, dann schielen wir auch ganz gern mal zu anderen hinüber, ob unser Status und unsere "Einzigartigkeit" auch unangetastet oder zumindest unübertroffen bleiben.

 

Und was ist, wenn wir krank sind? Krebskrank, zum Beispiel?

 

Jetzt wird's irgendwie gefährlich.

 

Was ist, wenn mein Mammakarzinom richtig groß und deutlich mit den Fingern tastbar war, und dann erfahre ich von jemandem, den ich kenne (oder auch nicht genauer kenne), dass diese Person einen wesentlich kleineren Tumor hatte ... und Rezidive oder Metastasen bekam und vielleicht sogar starb?

Was bedeutet das für mich?

 

Ich verrate es euch:

Gar nichts.

 

Als ich damals im Krankenhaus-Aufzug stand, noch ganz geschockt von der Nachricht, die ich eben beim Ultraschall bekommen hatte, griff ich mir - wenn auch äußerst ungern - an die Brust und spürte auf einmal ganz deutlich diese harte, erschreckend riesige Rundung in meinem Gewebe.

Ich hatte ja keine Ahnung gehabt. In meiner Welt wurde man mit Ende Dreißig nicht brustkrebskrank.

Aber nun hatte ich nun mal dieses "Ei" in der Hand und wusste: Wenn das tatsächlich ein Karzinom ist, dann ganz sicher ein fortgeschrittenes.

 

Tatsächlich runzelte ich in der Folgezeit hin und wieder die Stirn, wenn ich von Mitbetroffenen erfuhr oder im Internet las, dass deren Tumor einen halben oder einen Zentimeter groß (gewesen) war.

Nicht, dass ich mir dachte "Das ist doch nichts" (natürlich ist es etwas), aber ich fragte mich dann manchmal auch mit beklommenem Gefühl, warum ich eigentlich nicht völlig durchdrehte mit meiner Ausgangslage. (Dass ich mich gleichzeitig ja auch noch von einer Melanom-OP erholte, verkam fast schon zur "Nebensache".)

 

Es gab immer wieder düstere Augenblicke und auch längere Momente, in denen ich sicher war, dass ich nicht unbeschadet (das ganz sicher nicht) und vielleicht auch nicht lebend da wieder rauskommen würde.

Genau genommen begann ich erst dann an ein "Wunder" zu glauben, als von meinem "Ei" nach der zweiten Chemo nur noch eine "Weintraube" übrig geblieben war. Und ich hatte ja noch vier Chemos vor mir.

 

Hätte ich mich aber an so manchen Verläufen von anderen Erkrankten orientiert, hätte ich zeitweise wohl den Mut verloren.

Daher habe ich es - nicht immer, aber doch meist - vermieden, mich mit anderen zu vergleichen.

Während der akuten Krankheitszeit sowieso, und auch danach war es nicht weniger wichtig. Vielleicht sogar noch wichtiger, weil die Angst vor einer Wiedererkrankung präsent war (und auch nie ganz verschwindet).

 

Doch nicht nur um die eigene Prognose ging es, sondern um alles, was mit der Krankheit verbunden war.

Sehr, sehr oft hoffte ich einfach nur, dass dieser oder jener Kelch bitte an mir vorüberziehen möge.

 

Beispiele:

 

Unangenehmes Brennen und/oder Taubheitsgefühle in Finger bzw. Zehen ... die sogenannte Neuropathie.

Ich weiß von betroffenen Frauen im Bekanntenkreis. Ich selbst habe damit zum Glück nichts zu tun gehabt. ... Wenn man mal von zeitweisem Restless-Legs-Empfinden vor dem Einschlafen absieht, aber das habe ich wohl eher unabhängig von einer etwaigen Chemo-Spätfolge.

 

Übelkeit.

Wer sich an krebskranken Filmfiguren oder an schweren Krankheitsverläufen auch im "realen" Leben orientiert, der plant zu Beginn der Therapie Übelkeits-Attacken förmlich mit ein.

Auch ich habe mir damals vorsorglich einen kleinen Kübel gekauft, den ich mir neben das Bett stellen wollte. - Eine Zeitlang habe ich es gemacht... ihn aber nie gebraucht (auch wenn ich ein paar Anflüge von Schlechtsein durchaus gehabt hatte).

 

Müdigkeit.

Man kann sich unnötigen Druck machen, wenn man von den "Idealbildern" einer Krebstherapie hört. Solchen Patient:innen, die zur Minimierung des Rezidivrisikos stundenlang Bewegung und Sport machen - während der Chemotherapie.

Das schaffen manche, aber andere nicht.

Was bedeutet das für die "anderen"?

Auch hier wieder: Vorsicht! Gar nichts.

Ich selbst hatte während der gesamten sechs Chemozyklen nicht die nötige Kraft, vor allem gegen Ende hin. Das klingt wie eine Ausrede, aber mir würde nicht einfallen, es tatsächlich als solche zu bezeichnen. Mehr oder weniger regelmäßige Spaziergänge waren das Höchste der Gefühle.

Das Wiederaufbau-Programm in konditioneller Hinsicht geschah dann erst später und fühlte sich auch absolut richtig an.

 

Noch ein Beispiel:

Das Brust-Wiederaufbau-Thema.

Ich erinnere mich noch an auskunfts- und wissensbegierige Frauen während meines ersten Kuraufenthaltes, ein paar Monate nach der letzten Chemo. Mal abgesehen davon, dass ich mich bei Silikon-oder-Eigenfett-Diskussionen und Erörterungen über Ästhetik-Empfinden eher "außen vor" fühlte (was mich aber gar nicht störte), war es nun auch nicht unbedingt ein dringendes Bedürfnis von mir, bereits chirurgisch formvollendete Ergebnisse zu ...äh... sehen. Aber genau das passierte einmal, als eine der Frauen mitten im Aufenthaltsraum ungefragt ihre Bluse hob und ihre frisch operierten Silikonbrüste präsentierte. Nun ja. Ich verstand durchaus den Rede- und Diskussionsbedarf, aber ehrlich gesagt: Mich bestärkte der Anblick eher in dem bereits gereiften Entschluss, lieber flach zu bleiben.

 

Soviel mehr hätte mich noch interessieren können, und ich hätte mich auch mit soviel mehr auseinandersetzen können, um meinen Verlauf und die damit verbundene Entwicklung und Prognose zu verstehen, aber .... nein.

Mir wollte es manchmal nicht in den Kopf, dass ich - wie es scheint - nochmal davongekommen war. Mein "Ei des Kolumbus" war mir noch in deutlicher Erinnerung.

Es war REAL gewesen.

... Und dennoch erhielt ich Wochen nach Chemo-Abschluss und kurz nach der Brust-OP die beste aller Nachrichten:

Komplettremission. Nix mehr da. Nada.. Alle Krebszellen (vermutlich) tot.

 

Es gab kurze - wirklich kurze - Momente, da hatte ich fast schon so etwas wie ein schlechtes Gewissen, wenn ich wieder von einer Bekannten oder Freundin erfuhr, die es nicht geschafft hatte ... während ich immer noch da war.

Die sind heute noch nicht weg, diese Momente, und wenn ich an die unglaublich tollen Frauen denke, denen ich - unter anderen - diesen Blog widme, dann bin ich immer wieder bestürzt, dass sie nicht mehr da sind. (Das sind die Namen, die ihr auf der rechten Seite dieser Seite lesen könnt.)

 

Ich lebe und bin dankbar...  natürlich.

Ich weiß auch, dass es keine Antworten auf die Fragen nach dem Wie und Warum gibt, wenn ich mir Krankheitsverläufe mir bekannter und vertrauter Personen ansehe.

Was für mich gilt, muss für andere nicht gelten... und umgekehrt.

Es ist meine Entscheidung, mich deswegen verrückt zu machen - oder nicht.

Es ist meine Entscheidung, in Erwartungshaltung zu verharren - oder nicht..

Es ist meine Entscheidung, ob ich zuviel in "andere" Geschichten eintauche - oder nicht.

 

Es ist immer meine Entscheidung.

 

Bild: honestcooking.com


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Wir Menschen vergleichen uns. Das war immer schon so und wird wahrscheinlich immer so bleiben. Wer bei Facebook, Instagram & Co ist, entkommt dem nicht.

Das Vergleichen hat natürlich auch verschiedene Funktionen.
Es kann unter anderem helfen einzuschätzen, was wir gut können, was wir weniger gut können, wo unsere Stärken und Schwächen liegen.
Vergleiche können helfen rechtzeitig zu erkennen, dass etwas vielleicht nicht mehr in der Norm ist. (z.B. Entwicklung bei Babies und Kindern).
Es kann uns trösten, weil es anderen genau so (oder vielleicht sogar schlechter) geht.

 

Es kann uns aber auch extrem stressen weil sie er

 

-        schlanker

-        muskulöser

-        schöner

-        reicher

-        gesünder

-        „glücklicher“,…..ist

-        mehr verdient

-        eine größere Wohnung, schöneres Auto,...hat

-        usw.

 

„Mein Haus, meine Wohnung, mein Boot, meine Frau/mein Mann…!“
Das kennen wir alle augenzwinkernd von der Werbung.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten sich zu vergleichen:
aufwärts (Ich möchte genauso erfolgreich werden wie…)
abwärts „(Ich habe zumindest einen guten Job, ihm geht es ja noch schlechter…“)  
auf einer Ebene („Meiner Freundin ist das auch passiert….“).

 

Wie ist das bei Erkrankungen?
Kann man sich da überhaupt vergleichen?
Macht das Sinn?

 

Die Frage ob man kann, oder ob es Sinn macht, stellt sich hier gar nicht.

 

Fakt ist, Betroffene tun es.
Sie vergleichen.
Zumindest manchmal.

 

Meistens beginnt es schon mit der Diagnose, es kann aber auch während der Behandlung und der Nachsorge immer wieder auftauchen.

 

-        „Krebs?! Der oder die hat auch Krebs gehabt und der/dem ist es so gegangen!“

-        „Alle Krebspatient:innen verlieren stark an Gewicht und leiden unter Übelkeit Erbrechen und anderen schrecklichen Nebenwirkungen!“

-        „Wieso hast du vor der Operation eine Chemotherapie bekommen und ich nicht?“

-        „Ich hatte ja nur eine Operation und keine Chemotherapie, ich darf mich gar nicht beschweren, mir darf es psychisch ja gar nicht schlecht gehen!“

-        „Wieso ist meine Reha abgelehnt worden? Er/oder sie fährt schon zum fünften Mal?“

Mir würde noch so viel mehr dazu einfallen, da wir Psychoonkolog:innen der Krebshilfe OÖ  in der Beratung immer wieder mit diesen Themen konfrontiert werden.

 

Vergleichen Sie nicht.
Konzentrieren Sie sich auf sich.
Auf das was jetzt ist und wie es jetzt ist und zwar für Sie.
Sie sind einzigartig, Ihr Körper ist einzigartig.
„Was tut MIR gut, wer tut MIR gut?“
Jeder darf das für sich herausfinden und einen individuellen Weg gehen und dies auch  im EIGENEN Tempo.

 

Seien Sie selbstfürsorglich.
Machen Sie das, was sich für Sie richtig und stimmig anfühlt, auch wenn es anders ist, als das, was die meisten machen.
Weil Sie sich am besten kennen.
Weil Sie Sie sind!

 


Mein Bekenntnis zur Selbstachtung

 

Ich bin ich selbst.
Es gibt auf der ganzen Welt keinen, der mir voll­kommen gleich ist.

 

Es gibt Menschen, die in man­­chem sind wie ich, aber niemand ist in al­­lem wie ich. Des­halb ist al­­les, was von mir kommt, ori­gi­­nal mein; ich habe es gewählt.
Alles, was Teil meines Selbst ist, gehört mir – mein Körper und alles was er tut, mein Geist und meine Seele mit allen dazugehörigen Gedanken und Ideen, meine Au­gen und alle Bilder, die sie aufnehmen, mei­ne Gefühle, gleich welcher Art: Ärger, Freude, Frus­tration, Liebe, Enttäuschung, Erregung; mein Mund und alle Worte, die aus ihm kommen, höflich, liebevoll oder barsch, richtig oder falsch, meine Stimme, laut oder sanft, und alles, was ich tue in Beziehung zu anderen und zu mir selbst.

 

Mir gehören meine Phantasien, meine Träume, meine Hoffnungen und meine Ängste.
Mir gehören alle meine Siege und Erfolge, all mein Ver­sagen und meine Fehler.

 

Weil alles, was zu mir gehört, mein Besitz ist, kann ich mit allem zutiefst vertraut werden. Wenn ich das wer­de, kann ich mich liebhaben und kann mit allem, was zu mir gehört, freundlich umgehen. Und dann kann ich möglich machen, dass alle Teile meiner selbst zu meinem Besten zusammen arbeiten.

 

Ich weiß, dass es manches an mir gibt, was mich verwirrt und was mir gar nicht bewusst ist. Aber solange ich liebevoll und freundlich mit mir umgehe, kann ich mutig und voll Hoffnung darangehen, Wege durch die Wirrnis zu finden und Neues an mir selbst zu entdecken.
Wie immer ich in einem Augenblick aussehe und mich anhöre, was ich sage und tue, das bin ich. Es ist ori­ginal und zeigt, wo ich in diesem Augenblick stehe. Wenn ich später überdenke, wie ich aussah und mich anhörte, was ich sagte und tat, und wie ich gedacht und gefühlt habe, werde ich vielleicht bei manchem feststellen, dass es nicht ganz passte. Ich kann das aufgeben, was nicht passend ist, und behalten, was sich als passend erwies, und ich erfinde etwas Neues für das, was ich aufgegeben habe.

 

Ich kann sehen, hören, fühlen, reden, denken und handeln.

 

 


Ich habe damit das Werkzeug, das mir hilft zu überlegen, anderen Menschen nahe zu sein, produktiv zu sein und die Welt mit ihren Menschen und Dingen um mich herum zu begreifen und zu ordnen.

 

Ich gehöre mir, und deshalb kann ich mich lenken und bestimmen.

 

 

 

Ich bin ich, und ich bin o.k.
(Virginia Satir)

 

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