Auf den Schienen

Ich ging in ein Lokal.

Da traf ich sie.

Ich sah sie an.

Sie sah mich an.

Wir verliebten uns und waren seitdem ein Paar.

 

Na gut.

Das gab's nicht mal vor Corona.

Zwar konnte man sich frei und ungehindert bewegen und musste nicht die untere Gesichtshälfte bedecken, aber es war dennoch eher unwahrscheinlich, einen Zufallstreffer zu landen und in einem kommunikativ angelegten Abendschuppen einen Menschen - respektive eine Frau - zu treffen, der/die elektrisierende Wonneschauer wie einen Windstoß durch die Seele (und unweigerlich später durch den Körper) fegen lässt.

 

Verliebt sein.
Oh, süßes Verliebtsein.

 

Ich erinnere mich noch dunkel daran.

 

Jetzt, inmitten von Corona-Infektionshöchstzahlen, lag es mir nie ferner, mich begeistert jemandem an den Hals zu schmeißen. Nicht nur wegen Mindestabstand, Maske, böser Aerosole und eingeschränkter/abgesagter Veranstaltungen und Treffpunkte.

Eigentlich stinkt mir die ganze nie enden wollende Covid-Misere schon so gewaltig, dass ich bestimmt nicht deswegen zurückhaltend bin, weil ich Angst hätte, mich anzustecken. Sondern: Weil ich mittlerweile einen einzelgängerischen Dachschaden habe, was die neue zukünftige Liebe meines Lebens betrifft.

 

Irgendwann bin ich mit dem Do-it-yourself-Stuff (das ist nicht sexuell gemeint, gell?) schon so in der Gewöhnung und im Alltagstrott, checke mir alles selber, achte mit einem stählernen, gesunden Egoismus auf mich selbst und meine Bedürfnisse (ist immer noch nicht sexuell gemeint) und schwelge in der flauschig-weichen, die harten Kanten aber manchmal doch nur unzureichend verdeckenden Autonomie.

 

Ich kenne mich selbst am besten.

Ich kann mich auf mich selbst verlassen.

All die wirklich heftigen Herausforderungen des Lebens - ob positiv oder negativ - bewältige ich am besten, weil ich mir selbst nahe bin, auf mich achte und mich in die (hoffentlich) richtigen Bahnen lenke.

 

So weit, so Lebensratgeberbuch-gut.

 

Und tatsächlich bin ich auf diese Weise voll in der Spur.

Wenn es mich aus unterschiedlichen Gründen hin und wieder mal raushaut, kehre ich schon bald wieder zurück auf meine "Schienen".

 

Das ist super.

Das ist das Leben.

 

Trotzdem fehlt da was, und das muss nicht zwangsläufig ein neuer wichtigster Mensch in meinem Leben sein.

Freundschaften... neue und alte, wiedererweckte und zufällige, sich langsam entwickelnde und gegenseitig herzblutig bereichernde Freundschaften.

Zufallsmenschen und Schicksalsmenschen.

Wege, die sich kreuzen und Wege, die man gemeinsam geht - ein Stück weit oder über längere Zeit.

Aber auch die Erkenntnis: Hier endet der Weg.

 

Von allem zu wenig zur Zeit, pandemisch bedingt. (Oder liegt es vielleicht an mir? Oder doch an den anderen?)

 

Nicht, dass da kein Aufblitzen von Gefühlen gewesen wäre in den letzten Jahren.

Da war schließlich mal jemand, und die Erahnung von etwas Möglichem hielt mich in Atem.

Etwas zu sehr vielleicht.

Ausbruch, Abbruch und ab durch die Mitte.

 

Nun bin ich also alleine mit mir - und das schon eine ganze Weile.

Die potentielle neue Herzensfrau hätte wohl kein leichtes Spiel (aber das heißt nicht, dass sie es nicht bitte probieren soll ;-)).

 

Woran liegt es?

Die Frau-sucht-Frau-Challenge gestaltet sich aufgrund meiner eigenen Uneindeutigkeiten nicht so schubladisierbar einfach wie (eh nicht) gedacht.

 

Oh, und Dating-Portale - sie langweilen mich.

Nicht, dass da nicht schon mal was dabei rausgeschaut hätte (genau genommen hatte das in der Vergangenheit schon mehrfach geklappt und mitunter mehrjährige Beziehungen zur Folge).

Aber mir scheint, von all dem Glitter und Glamour ist nur noch die nüchterne, Social Media-pervertierte Dampframmen-Brautschau übriggeblieben.

Oder Profilbilder mit sich ewig frei fühlenden Strichmännchen-Damen mit ausgebreiteten Ich-liebe-das-Leben-Armen.

Oder auch "Lebe-Liebe-Lache"-Mottosprüche und die ewigen, niemals aussterbenden Fragen nach den "drei Dingen, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde" (dich nicht, dich auch nicht, und dich schon gar nicht).

 

Dann halt lieber auf Zufall oder Schicksal hoffen und den Dating-Krampf nicht auch noch forcieren.

 

Vielleicht bin ich aber auch ein wenig feig.
Ich bin meine eigene Körperlichkeit, die sich nun doch schon vor einigen Jahren stark verändert hat, ja längst gewohnt und hatte damit auch kaum Probleme.

Aber wer sagt, dass das für jemand anderen nicht doch vielleicht eine gewisse Rolle spielen würde?...

 

Es ist kompliziert mit der Liebe und der Freundschaft.

Ich werde den Ist-Zustand vermutlich überleben, und wer weiß?

Vielleicht reißt sich ja doch jemand spontan den Mund-Nasen-Schutz vom Gesicht, ruft wahlweise "Wir haben uns viel zu lang nicht mehr gesehen!" oder "Wer bist du? Ich muss dich sowas von unbedingt kennenlernen!"

 

Ich würde ganz perplex eine Vollbremsung auf meiner Schienenspur hinlegen,

und dann mit vollem Bewusstsein, aufblitzend, wonneschaurig, lebend-liebend-lachend entgleisen.

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

"Zusammen ist man weniger allein."

 

Noch im März berichtete der britische Guardian, dass trotz des Ansteckungsrisikos rund 93 Prozent der OKCupid-App-Nutzer sich lieber im echten Leben mit anderen Menschen treffen würden. Das mag auch aus einem Gefühl von Einsamkeit heraus entstehen. Laut einer Umfrage von Parship im März gaben etwa ein Drittel der Singles an, dass sie sich nicht nur einsam fühlten, sondern auch einen starken Wunsch nach einer festen Partnerschaft verspürten. Doch auch die persönlichen und zwischenmenschlichen Herausforderungen sollten nicht außer Acht gelassen werden: Rund 52 Prozent der Singles gaben an, dass der fehlende Kontakt zu Freunden und der Familie eine der größten Herausforderungen sei. Auch Menschen in Fernbeziehungen beklagten den fehlenden Kontakt zu ihren Lieben.“ (Christian Allner, 20.8.2020),

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000117721534/liebe-im-krisenmodus-corona-dating-und-die-veraenderung-von-branchen

 

Jetzt leben wir schon 2 Jahre mit der Pandemie. Wir haben viel gelernt und uns durch unsere Anpassungsfähigkeit an Vieles gewöhnt.

Abstand halten, „Babyelefant“, kein Händeschütteln, keine Umarmung, kein normaler Unterricht, kein normales Arbeiten, kein Geburtstagskerzen-Ausblasen, kein miteinander Singen, Feiern, Tanzen, kein, kein, kein….

Zumindest derzeit, so lange es nötig ist, immer wieder neu bewertet.

Wir haben Verständnis dafür.

Meistens.

Wir halten uns daran.

Meistens.

Wir bleiben trotzdem zuversichtlich.

Hoffentlich.

 

Wir hoffen, dass es bald besser werden wird, wir spüren aber auch alle eine gewisse Corona-Müdigkeit, an manchen Tagen auch Verzweiflung, ein „Ich kann und mag nicht mehr-Gefühl“ und wir geraten an unsere Grenzen.

Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als das sogenannte Beste aus der Situation zu machen, flexibel zu bleiben und uns immer wieder an die nötigen Gegebenheiten anzupassen.

Das verbindet uns Menschen - und das auf der ganzen Welt.

Trotzdem, wir fühlen uns oft einsam, isoliert.

Wir Menschen sind nicht nur Individuen, sondern auch soziale Wesen. Wir sind Teil einer Gemeinschaft.

Wir wünschen uns wieder Normalität, eine gute Balance zwischen Miteinander und auch gerne mal für sich sein, ganz individuell unterschiedlich.
Wir wünschen uns wieder die Möglichkeit spontan entscheiden zu können, mit wem und ob und was wir gerne in der Freizeit unternehmen möchten.
Wir möchten uns mit Familie, Freunden und Bekannten treffen, würden aber gerne auch neue Freund:innen kennenlernen, oder sehnen uns als Singles vielleicht gerade nach einer Beziehung.

 

Diese Situation ist für uns alle eine große Herausforderung.
Für vulnerable Gruppen, also z.B. Menschen, die Vorerkrankungen, ein geschwächtes Immunsystem, oder z.B. eine aktuelle Krebsdiagnose haben, ist es noch herausfordernder.

 

Der Wunsch nach/die Angst vor Nähe – ein Dilemma, das auf vielen Ebenen spürbar ist.

 

Nach einer Krebsdiagnose befindet man sich meistens in einem emotionalen Ausnahmezustand. Man wünscht sich in dieser Zeit Unterstützung, braucht Familie und Freunde als Wegbegleiter:innen, möchte in den Arm genommen, getröstet, motiviert, gestärkt werden.

Andererseits könnte man sich ja anstecken und verzichtet lieber auf persönliche Kontakte, bzw. sind z.B. Besuche im Krankenhaus sowieso nur eingeschränkt erlaubt.

 

Was erleichtert Betroffenen die Krankheitsbewältigung und nach der Behandlung den Weg zurück in den Alltag?
Ich frage Betroffene oft in der Beratung, wer und was Ihnen guttut?

 

Normalerweise mache ich gerne….., aber das geht ja jetzt nicht.“

Ich verbringe eigentlich so gerne Zeit mit meinen Enkeln, aber jetzt traue ich mich nicht.“

Ich singe in einem Chor, aber derzeit finden keine Proben statt.“

 

Es ist grundsätzlich schon nicht einfach mit all dem zurecht zu kommen.
Die Pandemie erschwert dazu noch Vieles.

 

Und jetzt stellen Sie sich vor, eine Frau/ein Mann hatte Krebs, hatte Behandlungen, Operationen, (körperliche und seelische) Narben, ein verändertes Körperbild (z. B. nach einer Brust-OP, einen Seitenausgang nach einer Darm-OP), körperliche Einschränkungen und eventuell Langzeitnebenwirkungen.

Und jetzt stellen Sie sich vor, diese Frau/dieser Mann ist Single und würde gerne wieder jemanden kennenlernen.

Sicher nicht einfach“, werden Sie jetzt denken.

Und jetzt stellen Sie sich all das noch zusätzlich in der Corona Pandemie vor.

Wirklich nicht einfach!“

Marlies schreibt „es ist kompliziert mit der Liebe und der Freundschaft“.

Sowieso.
Und doch, wir sind Viele.
Und das Gute ist, dass auch andere sich nach Freundschaft und Liebe sehnen. So gesehen, kann und darf man hoffen, dass sich die Wege/(Schienen) zum richtigen Zeitpunkt kreuzen und sie/er die Chance nützt, bzw. gegebenenfalls den Mut aufbringt, die Chance zu ergreifen und wonneschaurig, lebend-liebend-lachend miteinander weitergeht.

 

Der Mensch für sich allein vermag gar wenig und ist ein verlassener Robinson: nur in der Gemeinschaft mit den andern ist und vermag er viel.“
(Arthur Schopenhauer, Philosoph)

 

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