Der Feind neben meinem Bett

Wir können sie uns nicht aussuchen.

Wir wünschen ihnen einen Freifahrtschein für einen Raumflug auf den Mond.

Wir wollen, dass sie endlich den Mund halten.

Wir möchten, dass sie den Mund endlich aufmachen.

Wir wollen sie - manchmal oder oft - einfach nur loswerden.

 

Krankenhaus-Zimmerkollegen*.

 

Wer nicht gerade eine Sonderklasse-Zusatzversicherung hat, ist bei stationären Krankenhaus-Aufenthalten zweifellos in Gesellschaft.

Nicht immer in bester.

Die Grenzen der Privatsphäre verschwimmen und heben sich teilweise auf. Damit ist nicht immer leicht umzugehen.

 

Normalerweise suchen wir uns die Menschen aus, mit denen wir den Raum teilen, wenn wir schlafen. Wir entscheiden ganz gern selbst, mit wem wir das gleiche Badezimmer benützen und mit wem wir uns die Toilette teilen (selbst eine öffentliche Toilette hat nicht die gleiche "intime" Atmosphäre wie ein Stationszimmer- oder Gang-WC).

Wir ziehen uns nicht gern vor jeder Person um, wollen gewisse Dinge wie Details einer Arzt-Visite nicht gerne mit anderen Ohren teilen und wollen auch selbst nicht immer alle Informationen, die andere betreffen, mitbekommen.

 

Wir sind über Tage oder Wochen in einer verwundbaren, emotional mitunter höchst fordernden Lage, und wir können nicht immer selbst entscheiden, wann wir allein sein möchten oder wer "Zeuge" unserer Ausnahmesituation sein soll.

 

Wir wollen uns aufgrund der anstrengenden Behandlungen etwas erholen und neue Kraft schöpfen, und einige Faktoren erschweren uns dies mehr oder weniger gravierend:

Weinen, Schreien, zu viel Reden, zu wenig Reden, Schnarchen, Geräusche, Gerüche, Licht, Temperaturen, Tics, laute Besucher, andere schlimme Diagnosen.

 

Wir beziehen gleichzeitig ein Zimmer, bekommen einen neuen "Bettnachbarn" oder werden selber einer, und es ist ein Glücksspiel. (Für die andere Person übrigens genauso.)

Wir können die kommenden Tage mit jemandem verbringen, der sich als sympathisch und angenehm entpuppt - oder eben nicht.

 

Wir können die vorherrschende Atmosphäre in diesen vier Wänden als belastend empfinden, wenn die andere/n Person/en "anstrengend" ist und/oder sehr krank.

 

Wir wollen mit unserem Besuch - mit Partner und Familie - persönliche oder telefonische Gespräche führen über mitunter intime, private Dinge ... und es gibt mindestens zwei Ohren, die (ungewollt) zuhören.

 

Wir wollen sie oft einfach nur weghaben, diese Zimmerkollegen.

Wir sind gereizt oder wütend, empfinden Abneigung oder Ekel, fühlen uns genervt und haben ein Bedürfnis nach Distanz.

Beim nächsten gutturalen Schnarcher oder nach dem nächsten Furz wollen wir sie umbringen.

 

...

 

Zu krass?

Zu negativ?

Was stimmt mit der Marlies auf einmal nicht, dass sie euch nur die düsteren Aspekte präsentiert?

Geht das nicht zumindest auf die oft gewohnt lustig-zynische Weise oder mit ganz viel mutmachend-tiefgründigen Metaphern und Parolen?

Hallo, was ist los?

 

Ich sage jedoch: Das da oben, was ich beschreibe, ist normal.

Die erwähnten Fakten und Gefühle im Text sind real, und es wird kaum jemanden geben, der sie nicht kennt.

Dies soll nicht schwarzmalerisch sein und entmutigen.

Dies soll zeigen, dass es Dinge gibt, die die meisten von uns genau so erleben, ihre "gemischte" Umgangsweise dabei hinterfragen und zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kommen.

("Vielleicht bin ich einfach zu eigenbrötlerisch."

"Er ist schwer krank... ich sollte nicht so ungeduldig sein."

"Sicher liegt es an mir, dass die nicht mit mir reden will."

"Wenn die heute wieder die ganze Zeit telefoniert, dreh ich durch. - Oder soll ich das tolerieren, weil sie ja keinen Besuch bekommen kann?")

 

Ich bin der Meinung, wir müssen nicht mit allem klarkommen "müssen".

Ja, wir haben oft keine Wahl, mit wem wir es zu tun haben, aber wir haben die Wahl, ob wir unsere eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und dafür sorgen wollen, sie auch ernst zu nehmen.

 

Wir sind zu Recht genervt oder wütend, wenn die Bettnachbarin bis 3 Uhr früh bei eingeschaltetem Licht ein Buch liest. (Wir "dürfen" das auch dann sein, wenn diese Bettnachbarin "kränker" ist als wir.)

Wir dürfen uns unbehaglich und unzulänglich fühlen, wenn der Zimmerkollege seit seiner Ankunft mit uns keine zwei Worte gesprochen hat.

Wir müssen uns selbst aber umgekehrt auch nicht gleich wie ein Soziopath fühlen, wenn wir unsere Lebens- oder Krankengeschichte nicht gleich in den ersten drei Stunden ausrollen oder überhaupt großartig erwähnen wollen.

Es ist nicht verwerflich, wenn uns davor ekelt, nach unserer Bettnachbarin die Zimmertoilette benutzen zu müssen, obwohl diese aufgrund ihrer Erkrankung vielleicht nicht für genügend Hygiene sorgen kann und wir uns denken, dass wir doch eigentlich deswegen Verständnis haben sollten.

 

Wir müssen unsere Zimmerkollegen nicht liebhaben.

(Können wir natürlich, passiert aber sicher sehr selten.)

Wir können und dürfen sie auch innerlich zum Teufel wünschen.

 

Wir können und dürfen aber Folgendes:

 

Lösbare Probleme ansprechen (auch wenn's schwerfällt):

Bitte nicht so lange telefonieren, bitte spätestens um 11 Uhr Licht aus. Bitte die Klobürste benutzen. Ich bin übrigens die Marlies - darf ich Ihnen vielleicht etwas vom Kiosk mitbringen?

 

Es hilft dabei auch, wenn es so formuliert wird, dass die andere Person sich in uns hineinversetzen kann, weil ihr eventuell gar nicht bewusst ist, dass wir etwas als störend empfinden könnten:

... weil es mir bei Licht schwer fällt zu schlafen.

... weil ich hin und wieder etwas Ruhe brauche, um mich zu erholen.

 

(Für uns) unlösbare, gravierende Probleme können wir dem Krankenhauspersonal mitteilen - das dürfen wir sogar - und dann werden im besten Fall manche verhaltensbezogenen Dinge von "offizieller" Seite angesprochen... oder die Zimmerbelegung wird vielleicht sogar geändert.

Es ist einen Versuch wert. Vielleicht ist es sogar einfacher, als wir denken.

 

Unterm Strich ist alles, was wir sagen und tun, richtig, wenn es uns aus einer Situation, die wir nicht gut ertragen, heraushelfen kann.

Uns selbst ernst und wichtig zu nehmen in dieser vulnerablen Krankheits- bzw. Gesundungsphase, ist etwas sehr Wesentliches... und oft müssen wir es erst lernen (und uns die Zeit dafür nehmen).

 

Und außerdem:

Wir können auch Glück haben.

Wir können an Menschen geraten, die uns sympathisch sind oder werden.

Wir können uns in deren Gegenwart vielleicht mit der Zeit so wohlfühlen, dass wir uns öffnen, sie das ebenso tun und tiefsinnige Gespräche möglich sind.

Wir können auch Freundschaften schließen (auch wenn ich vermute, dass das nicht so häufig vorkommt).

Wir können - und DÜRFEN - sogar Spaß haben und lachen.

Wir können bedauern, wenn diese Menschen entlassen werden oder wir selbst sie zurücklassen müssen.

 

Ob positive Erfahrung oder negative (meist machen wir beide) - eines ist immer gleich:

 

Für eine kurze oder längere Zeit sind wir verbunden, durch eine Gemeinsamkeit (Krebs oder eine andere Krankheit oder auch Verletzung).

Das macht uns nicht automatisch zu Komplizen oder Kumpanen, und auch Ausdrücke wie "Leidensgenossen" oder "Weggefährten" halte ich schon für etwas zu überstrapaziert.

 

Wir haben aber auch die Möglichkeit, (un)liebsame Zimmerkollegen und Bettnachbarn als "Spiegel" oder Trigger unserer Bedürfnisse, Wünsche und Notwendigkeiten sehen, denn durch sie können wir Toleranz, aber auch Dankbarkeit, Achtsamkeit und Selbstfürsorge entwickeln und pflegen.

 

Wir haben also vielleicht nicht die EINE Wahl, uns diese Menschen aussuchen zu können - aber sie bieten uns auch VIELE Chancen und Möglichkeiten, mit ihnen, aber vor allem auch mit uns SELBST auf eine wert-schätzende Weise umzugehen.

 

 

 

* Aus Gründen der Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet.


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Die wenigsten Menschen gehen gerne als Patient:in ins Krankenhaus.

Krankenhausaufenthalte stellen uns vor viele Herausforderungen.
Zuallererst der Anlass selbst, nämlich so krank zu sein, starke Schmerzen oder so schwere Verletzungen zu haben, dass häusliche Pflege nicht mehr ausreicht.

 

Bei einer Krebserkrankung sind oft viele Krankenhausaufenthalte nötig, je nach Erkrankung und nötiger Therapie, mehr oder weniger lang.

Mit dem „Einchecken“ ins Krankenhaus gibt man gewissermaßen auch einen Teil seiner Privatsphäre ab.

Nicht nur weil man sich das Zimmer mit einer/einem oder mehreren anderen Patientin/Patienten auf engen Raum teilt, sondern auch, weil ständig jemand - aus gutem Grund - ein und ausgeht, egal was Betroffene gerade im Zimmer machen.

 

Stationär im Krankenhaus zu sein – was bedeutet das?

 

Das bedeutet, dass man mit (mindestens) einer bis dahin unbekannten Person Tag und Nacht zusammen ist, private Gespräche mithört, sich die Dusche und das WC teilt, Schlafgeräusche hört, Einblicke in Ernährungs- und Verdauungsgewohnheiten bekommt, Arztgespräche mithört (ob man will oder nicht), Krankengeschichten erzählt bekommt (ob man will oder nicht), sich fast nackt, oder nur mit Nachthemd oder Pyjama bekleidet sieht und von 0 auf 100 eigentlich sehr viel Privates, ja sogar Intimes teilt.

 

Es bedeutet, dass manche Betroffene gerne Ruhe haben, lesen möchte, Schmerzen haben, müde und erschöpft sind und schlafen möchten aber der Bettnachbar lieber Musik hört, bis spät in die Nacht fernsieht, sehr laut und ständig telefoniert und sich gerne und ununterbrochen unterhalten möchte.

 

Es bedeutet, dass einer gerne bei offenem Fenster schlafen möchte und der andere vor Kälte zittert.

 

Das alles bedeutet es aber auch für MEINEN Bettnachbar, MEINE Bettnachbarin!

 

Es bedeutet auch, dass sehr bald am morgen die Tür aufgeht und man geweckt wird, auch wenn man noch gerne schlafen würde.

Es bedeutet, dass Mahlzeiten zu Zeiten serviert werden, zu denen man „normalerweise“ nicht essen würde.

 

Es bedeutet, dass Ärzt:innen, Pflegepersonal und Reinigungspersonal – verständlicherweise – ein und ausgehen.

 

Das bedeutet, sehr wenig bis gar keine Privatsphäre mehr zu haben.

 

Es bedeutet aber auch erstklassige medizinische Behandlung und Pflege, die Gewissheit, dass sofort Hilfe da ist, wenn sie benötigt wird.

Das bedeutet, dass kompetente und stets bemühte, hilfsbereite Krankenhausmitarbeiter rund um die Uhr da sind, die alles dafür tun, dass Patient.innen sich gut aufgehoben fühlen und alles Benötigte erhalten.

 

Es bedeutet, dass auch das zwei Seiten hat.

 

Kürzlich hat mir eine neu diagnostizierte Patientin in einem Beratungsgespräch erzählt, dass sie so Angst davor hat, alleine im Zimmer zu liegen, weil sie zusatzversichert ist.
Sie hatte Angst davor, dass sie unter diesen Umständen mit niemanden reden kann, dass niemand bemerken würde, wenn es ihr schlecht geht, oder gar der Kreislauf zusammenbricht und dann niemand für sie nach Hilfe läuten kann.

Nur 3 Wochen später hatte sie Angst davor NICHT alleine im Zimmer zu liegen.

Weil sie dann wieder die ganze Zeit eine FFP-2 Maske (Corona sei Dank) tragen müsste und das unendlich anstrengend für sie ist, neben all den Nebenwirkungen der Chemotherapie.

Und dass es ihr peinlich ist, wenn sie mehrmals in der Nacht auf das WC gehen muss und dadurch vielleicht die Zimmernachbarin weckt.

Durch Corona gibt es aber auch gerade gar keine oder sehr wenige Besuche. Das kann in einem Mehrbettzimmer von Vorteil sein.

 

Es ist wie es ist.

Und wie immer ist es hilfreich, das Beste aus der Situation zu machen.

Wie immer ist es hilfreich, ehrlich und klar Bedürfnisse anzusprechen und die Bettnachbarn darum zu bitten, diese zu berücksichtigen und gegenseitig aufeinander zu achten.

Wie immer hilft Toleranz und Gelassenheit.

Wie immer ist es hilfreich nach Gemeinsamkeiten zu schauen, etwas Verbindendes zu finden.

Das ist ja eigentlich recht schnell gefunden.

Meine Bettnachbarn sind auch Patient:innen, sind auch krank, brauchen auch Hilfe und wollen auch so schnell wie möglich wieder fit genug sein, um nach Hause gehen zu können.

Meine Bettnachbarn hoffen auch, dass all die, die sich nun ein Zimmer teilen (müssen), gut miteinander auskommen und rücksichtsvoll miteinander umgehen.

 

Und wenn es mal wirklich gar nicht funktioniert und man auf gar keinen gemeinsamen Nenner kommt, kann man dies auch auf der Station ansprechen.
Falls irgendwie möglich, bekommt man vielleicht ein neues Zimmer, neue Bettnachbarn und eine neue Chance.

 

 

Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt's nicht.“
(Konrad Adenauer)

 

 

 

 

 

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