Tag am Meer

Quelle: APSTOCK / statnews.com
Quelle: APSTOCK / statnews.com

Jetzt bist du da,

ein Stück deiner Zukunft dabei...

 

Automatisch fällt mir einer meiner liebsten Songs der Fantastischen Vier ein...

"Tag am Meer".

 

Ich liege unter der riesigen kaleidoskopartigen Operationssaal-Leuchte und blicke in das helle (aber nicht grelle) Licht hinauf.

Wie ein riesiger gleißender Triangel-Blütenkelch thront sie über mir, schimmert weiß-bläulich und beleuchtet jedes Detail von mir.

 

Sie könnte mich ängstigen, diese Lampe... oder zumindest einschüchtern, aber schon vor meiner ersten Operation fühlte ich mich seltsam beschützt und geborgen unter dem gefrästen und beschichteten Aluminumkomplex mit seinen unzähligen LED-Lampen.

 

Die OP-Haube kitzelt ein wenig auf meiner Stirn, und da ist wohl noch eine Haarsträhne, die sich unter dem Gummizug hervorgestohlen hat. Ich möchte sie zurückstreichen, doch meine Arme liegen bereits unter der grünen schweren Wärmedecke. In der linken Ellenbeuge steckt ein intravenöser Zugang. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich das Narkosemittel gespritzt bekomme.

 

Das ist dieser Moment.... dieser eine Moment, der einen so unvergleichlich verwundbar fühlen lässt.

Kurz vor einer Operation, die vielleicht sehr entscheidend ist... oder die nicht ganz ungefährlich ist.

 

Ich liege also hier und nehme jedes Detail wahr.

Das OP-Personal macht routiniert und sorgfältig tausendmal durchgeführte Handgriffe, um alles vorzubereiten... für mich.

Alles dreht sich um mich.

 

Auf meinem Zeigefinger steckt ein Pulsoximeter, und tatsächlich höre ich wie durch einen Nebel (denn ich habe bereits ein Beruhigungsmittel erhalten) einen rasch aufeinanderfolgenden Piepton.

Meinen Herzschlag... hörbar gemacht.

Schnell.... ziemlich schnell.... denn - Sedierung hin oder her - ich bin nervös.

Aber nicht ängstlich-nervös.

Eher gespannt-nervös, als würde ich gleich zu einer wichtigen Prüfung gehen (was so falsch nicht ist).

 

Die Blutdruckmanschette liegt eng an meinem Oberarm, stört mich aber nicht.

Mit den Fingerspitzen taste ich die Nähte der gepolsterten Armauflage ab, als würde ich mir die Zeit vertreiben wollen, bis es los geht.

Jedes Detail.

Jedes Detail.

 

Es ist nicht meine erste Operation.. ich weiß schon, wie das alles abläuft... bin ein alter Hase.

Ich blicke weiter hoch in die metallenen Kaleidoskop-Augen der riesigen OP-Leuchten-Gottesanbeterin (und hey... wer würde in einer solchen Situation nicht Gott anbeten?).

 

Jetzt ist es soweit.

Man redet leise und ruhig mit mir.

Ich habe Vertrauen.

Warum sollte es anders sein? Hier weiß jeder, was er tut.

Und ich ... ich weiß auch, was ich tu.

 

Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie der Anästhesist die Spritze mit dem weißen Narkosemittel ansetzt, und jetzt freue ich mich.

Ja, ich freue mich... so unverständlich das auch klingt.

 

Dann verschwindet die Zeit,

darauf du in ihr

 

Ich blicke ins Licht... ins wärmende, fast tröstende Licht,

ins Licht, das mir Sicherheit vermittelt.

Wie ein Ring zieht sich mein Gesichtsfeld langsam zusammen.

In meinem Gehirn fühlt es sich an, als würde es in einer Art Vakuum schweben.

Unsichtbare Hände heben meine Beine... mich selbst hoch.

 

Da ist jetzt die Beatmungsmaske über mir, und ich atme den zuckrigen Geruch von Was-auch-immer ein... es ist egal... ich kann nicht mehr nachdenken.

 

Ich lasse los.

 

Du atmest ein, du atmest aus

 

Ich bin weg.

 

...

 

Ich komme zurück.

Später.

Irgendwann später, wenn der Eingriff vorbei ist... wenn die Schlafmittel meinem Bewusstsein wieder Platz machen und ich an meinen Platz zurückschweben darf.

 

Ich liege dann unter meiner vertrauten Klinikbettdecke und habe die Augen geschlossen.

Vielleicht blinzle ich ein klein wenig... nur ein bisschen, aber ich darf, werde und will mir Zeit nehmen, in meinem Tempo zurückzukehren.

 

Ich bin so tiefenentspannt, dass ich fast zu atmen vergesse.

Die Schwester sagt leise meinen Namen und erinnert mich daran.

Die Sauerstoffanzeige gibt wieder Ruhe.

 

Wieder denke ich an die Fantastischen Vier... oder zumindest ist es etwas Ähnliches wie Denken.

 

Du atmest ein, du atmest aus

Dieser Körper ist dein Haus

und darin kennst du dich aus

 

Oh ja.

 

Bald muss ich wieder zurück in die Realität... in den Alltag... zurück zu meiner Krankheit.

Aber für jetzt nehme ich mir heraus, noch ein wenig weiterzuschweben.

Die Kräfte langsam und still wiederaufzuladen, wie eine Batterie.

Dem Geist noch Ruhe und Entspannung gönnen.

Den Gedanken den vermissten erholsamen Stillstand.

Da ist nichts...

 

...außer dir im Jetzt und Hier

und dem Tag am Meer

 

Im Kopf kann ich sein, wo ich sein will.

 

Die Triangel-Blütenkelch-Gottesanbeterin und ich, wir werden uns wiedersehen.... irgendwann, irgendwo.

Wir wissen nicht, zu welcher Gelegenheit und unter welchen Voraussetzungen.

Aber wenn ich es wieder schaffe, mich unter ihren stählernen Armen

 

hinzugeben

die Kontrolle abzugeben

voller Vertrauen

 

dann wird jede Reise, jeder Tag am Meer

 

GUT.

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Eine Krebsdiagnose zieht Betroffenen einerseits den Boden unter den Füßen weg, andererseits wird man regelrecht gezwungen, sich mit der „neuen“ Realität auseinanderzusetzen und diese zu akzeptieren.

Die Diagnose ist vor allem zu Beginn fast nicht aus dem Kopf zu bekommen. Man wacht mit diesem Gedanken auf, man schläft mit diesem Gedanken ein, falls man überhaupt Schlaf findet.

 

Mit der Zeit gelingt es den meisten Betroffenen– was sich anfangs niemand vorstellen kann – nicht ständig an die Erkrankung zu denken und sich ab und zu „krebsfrei“ oder „sorgenfrei“ und somit auch erholsame Auszeiten zu geben.

Das ist unglaublich entlastend und hilfreich und gibt einem die Gewissheit, dass „trotzdem und obwohl“ auch Normalität stattfinden kann.

 

Entlastende, entspannende Auszeiten kann man auch bewusst herbeiführen, indem man gedanklich mit all seinen Sinnen in eine Phantasiewelt eintaucht. Wir kennen und können das alle und machen das unbewusst relativ oft, wie z.B. „ins Loch starren“ und „mit den Gedanken woanders sein“.

 

Man kann diesen Zustand aber auch bewusst herbeiführen und dies gezielt in Situationen einsetzen, die man als Belastung erlebt, vor denen man Angst hat, die Stress auslösen, aber auch als Entspannungsmethode regelmäßig anwenden.

 

Unsere Gedanken lösen entsprechende Gefühle und Körperreaktionen aus. Auch das kennen wir alle.

 

Stellen Sie sich vor, dass Sie eine saftige Zitrone in Spalten aufschneiden, genussvoll in eine Spalte reinbeißen und den Saft raussaugen. Nur der Gedanke, die Vorstellung daran genügt, dass wir das Gesicht verziehen, weil der Zitronensaft so sauer schmeckt, oder uns das Wasser im Mund zusammenläuft.

So stark ist die Kraft unserer Vorstellung, unserer Phantasie.
Diese Kraft können wir nutzen.
Visualisierungen, Entspannungsreisen, Imaginationen können dafür gezielt eingesetzt werden.

 

Mir fällt Magda (Name geändert) ein, die sich bei der Chemotherapie immer vorgestellt hat, dass im Wirkstoff Glitzerfeenstaub ist und nun in ihrem Körper alles „Schlechte“ wegzaubert.
Oder Max (Name geändert), der sich bei der Chemotherapie vorgestellt hat, dass die „guten Ritter“ nun die „bösen Ritter“ vertreiben. Solche Bilder helfen und unterstützen.
Alles darf sein, nichts muss.
Was immer an hilfreichen Bildern und Vorstellungen auftaucht, ist gut.
Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, unsere Gedanken sind frei.

 

Auch vor Operationen, vor und bei Untersuchungen in „engen Röhren“, vor und bei Behandlungen (wie z.B. Bestrahlungen), wann immer man möchte, kann man sich gedanklich auf Reisen begeben und dies bewusst als Werkzeug einsetzen.

 

Marlies beschreibt das mit dem Lied „Tag am Meer“, ein Lieblingslied von ihr, das sicherlich viele beruhigende, angenehme Emotionen in ihr auslöst.

 

Ebenso kann man sich Urlaubserinnerungen herholen, an Wunschplätze „beamen“, oder Fotos ansehen, Gerüche schnuppern, die an schöne Erinnerungen und Emotionen gekoppelt sind.

 

Marlies: „Bald muss ich wieder zurück in die Realität, in den Alltag,…
Aber für jetzt nehme ich mir heraus, noch ein wenig weiterzuschweben. Die Kräfte langsam und still wiederaufzuladen, wie eine Batterie. Dem Geist noch Ruhe und Entspannung gönnen. Den Gedanken den vermissten erholsamen Stillstand.“

 

 

Anbei ein Beispiel für eine Imagination zum persönlichen Wohlfühlplatz:

Stellen Sie sich – mit allen Sinnen - eine/einen realen oder fiktiven Ort/Platz/Raum/Landschaft vor, an dem Sie sich so richtig wohlfühlen und entspannt sein können.

 

  • Wie schaut es dort aus? Was gibt es dort Schönes zu sehen?

  • Welche Geräusche höre ich dort (z. B. Meeresrauschen, Vogelgezwitscher, Wassergeplätscher,..)? Oder ist es ganz still?

  • Wie fühlt es sich dort an? Was kann ich Angenehmes spüren und fühlen? (z.B. barfuß im warmen Sand,…)

  • Welche Gerüche nehme ich wahr? Welche angenehmen Düfte erwarten mich dort? (z.B. Waldluft,…)

  • Was gibt es dort Köstliches zu kosten, was kann ich mir auf der Zunge zergehen lassen, genießen?

 

Durch das gedankliche Reisen an diesen Wunschort, durch das Eintauchen mit allen Sinnen in dieses Wunschbild schafft man es in einen entspannten, angenehmen Zustand zu gelangen.

 

Also, worauf warten Sie noch?

 

 

Die weitesten Reisen unternimmt man mit dem Kopf“
(Joseph Conrad)

 

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