Warum?

WARUM?

 

Wie auch immer man im ersten, zweiten, dritten oder siebenundvierzigsten Moment auf eine neu gestellte Krebsdiagnose reagiert ...

... ob man für Tage oder Wochen wie am Boden zerstört ist und keinen klaren Gedanken fassen kann ... oder ob man sich nach der anfänglichen Schockstarre schnell oder allmählich wieder fängt und den Fokus nach vorn lenkt ...

 

... wir kommen alle entweder immer wieder oder doch zumindest einmal und auf die eine oder andere Weise zu der Frage:

 

WARUM?

 

Warum ich?

Warum jetzt?

Warum so schlimm?

Warum hab' ich keine Anzeichen gemerkt?

Warum habe ich es nicht abklären lassen?

Warum habe ich mich nicht gesünder ernährt?

Warum habe ich nie mit dem Rauchen aufgehört?

Warum habe ich im Leben soviel Stress zugelassen?

Warum habe ich nicht früher....?

Warum habe ich überhaupt....?

Warum habe ich nicht...?

 

Diese Aufzählung könnte man endlos weiterführen, weil es IMMER Fragen gäbe, die man sich stellen könnte, und es ist nur natürlich, dass man die Tatsache, an Krebs erkrankt zu sein, erst einmal so zu verarbeiten versucht, indem man nach Erklärungen sucht - in der Hoffnung, dass es damit leichter (be-)greifbar wird.

 

Doch auf viele Fragen gibt es keine oder keine zufriedenstellenden, schlüssigen Antworten.

Daher habe ich persönlich gar nicht erst mit der Suche angefangen.

 

Nicht, dass es mir egal gewesen wäre.

Nicht, dass es nicht sehr wohl Risikofaktoren gegeben hätte, die möglicherweise eine Krebserkrankung ausgelöst haben könnten.

Doch mir war sehr früh klar: Ich werde die EINE logische Erklärung niemals finden, denn wer weiß - vielleicht gibt es sie nicht?

 

Ich hatte schwarzen Hautkrebs.

Als junge Erwachsene bin ich eine Zeitlang regelmäßig ins Sonnenstudio gegangen, und auch davor schon habe ich mir als Kind einige Sonnenbrände "aufgerissen".

Aha?

 

Ich hatte ein Mammakarzinom.

Ich habe, seit ich 16 war, mehr oder weniger regelmäßig geraucht - bis zu einer Schachtel am Tag.

So so?

 

2x Krebs, 2x mögliche Ursachen.

Aber ist es wirklich so "einfach"?

 

Ich meine nicht.

 

Wir wissen heutzutage schon sehr gut, welche Faktoren die Gefahr erhöhen, dass sich Körperzellen bösartig verändern und zu wuchern beginnen. Es gibt dazu immer wieder neue Erkenntnisse und Forschungen, die mal mehr, mal weniger seriös zu bewerten oder zu verifizieren sind.

In vielerlei Hinsicht haben wir es selbst in der Hand, gesundheitsschädliche Dinge, die sich im Alltag "eingeschlichen" haben, zu unterlassen. Man braucht ja nur einen starken Willen, nicht wahr?

Aber es ist nicht immer so einfach.

Weil es sich zum Beispiel um Süchte handelt, oder weil man die Augen vor dem Undenkbaren verschließt, in der Hoffnung, es werde einen schon nicht treffen.

 

Aber dann trifft es einen doch, und dann kann man anfangen sich selbst zu zerfleischen und nach DEM EINEN Grund zu suchen, diesen dann mit einer Ladung Selbstvorwürfen zu garnieren und den Mut zu verlieren.

(Gut, das ist jetzt übertrieben formuliert, aber auch das gibt es.)

... Oder man lässt die Vergangenheit und mögliche Erklärungen beiseite, fängt an sich auf das Jetzt zu konzentrieren und bastelt damit bereits an einer Zukunft, in der man gewisse Dinge anders... besser.... selbstachtsamer machen möchte.

 

Was hätte es mir gebracht, die Zeiten im Solarium zu verfluchen?

- Sie lassen sich nicht mehr rückgängig machen.

Was bringen mir Selbstvorwürfe, mich beim Sonnenbaden nicht öfter und mit besserer Sonnencreme eingeschmiert zu haben?

- Es war, wie es war.

UND: Selbst wenn ich vielleicht all das gemacht hätte - nicht auf die Sonnenbank zu gehen und nicht so gedankenlos mit dem Verweilen in der Sonne umzugehen:

Wer hätte mir die Gewissheit, die Versicherung geben können, dass ich KEIN Melanom bekommen würde - mein Leben lang?

Richtig: Niemand.

(Abgesehen davon gab es vor allem in den Neunzigern sicher zahlreiche chronisch solariums-braungebrutzelte Menschen, die nie Krebs bekommen haben. Was nun?)

 

Wie hätten mich selbstgeißelnde Gedanken über das Rauchen in der Ich-habe-jetzt-Krebs-Situation persönlich weitergebracht?

Ja, ich habe geraucht. Rauchen kann Krebs verursachen. Bei dem einen... bei dem anderen nicht.

Woher will ich wissen, dass es zwischen dem Brustkrebs und dem Zigarettenkonsum einen Zusammenhang gegeben haben könnte?

Genau: Kann ich nicht wissen.

(Abgesehen davon hätte ich auch irgendeine andere Sorte von Krebs kriegen können. Und wir wissen ja: Es gibt den kettenrauchenden Opa, der mit 95 an Altersschwäche und nicht an Krebs stirbt - und es gibt den 30-jährigen Fitnessjunkie, der trotzdem aus heiterem Himmel an beispielsweise Darmkrebs erkrankt.)

 

Körperzellen teilen sich ununterbrochen.

Bei manchen Menschen passieren bei manchen Zellen irgendwann auf einmal "Kopierfehler", und die Zellen entarten und vermehren sich.

So sehr wir gern eine logische Erklärung finden würden - oft gibt es sie nicht.

 

Eine ebenfalls betroffene Freundin erzählte mir einmal, dass der onkologische Chefarzt nach der Operation auf ihrem Bettrand saß und als Antwort auf die Warum-Frage folgendes sagte:

 

"Manchmal ist es einfach Pech."

(So "gemein" sich das für den einen oder anderen auch anhören mag... ich glaube das auch.)

 

Eine ganz brenzlige Sache ist, wenn man sich nicht (nur) selbst Vorwürfe macht, etwas nicht, zuviel oder zuwenig getan zu haben und damit womöglich ein Karzinom verursacht zu haben:

Wenn Verwandte mit "Anklagen" daherkommen:

 

Habe ich dir nicht immer gesagt, du sollst mit dem Rauchen aufhören?

Du wolltest nicht auf mich hören, du hast dir das jetzt selbst zuzuschreiben!

Du immer mit deiner Fleischfresserei - ist doch kein Wunder, dass du jetzt Darmkrebs hast!

Hättest du regelmäßig Sport gemacht....

Wärst du mal zum Arzt gegangen, dann wäre nicht.....

Hättest du...

Wärest du...

Warum hast du nicht....?

 

Keine Frage - alle diese Vorwürfe haben nichts mit Einfühlungsvermögen zu tun.

Keine dieser Aussagen ist in irgendeiner Form hilfreich.

Viele dieser Sätze können massiv verletzen, vor allem, wenn schon Selbstvorwürfe passiert sind (das ist dann sozusagen die Doppeldosis...).

 

Es mag sein, dass Angehörige und Freunde im ersten Schock so unverhältnismäßig reagieren - möglicherweise haben sie ja gerade völlig überraschend von der Diagnose des geliebten Menschen erfahren.

Das kann passieren, auch wenn es natürlich nicht wünschenswert ist.

Aber dennoch ist es wichtig, das eigene Unverständnis nun hinten anzustellen und dem erkrankten Menschen erst einmal zuzuhören und dann - wenn dieser es möchte - für ihn da zu sein. Nicht grenzüberschreitend und allzu wohlmeinend, aber auch nicht rechthaberisch und tadelnd.

Das ist nicht immer leicht, und es gehören zwei Seiten dazu, die aufeinander eingehen.

 

Doch das ist eigentlich schon wieder ein anderes Thema. :-)

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Eine Krebsdiagnose kommt oft unerwartet und zieht den meisten Betroffenen den Boden unter den Füßen weg. Es braucht Zeit um zu verstehen, was diese Diagnose bedeutet, welche Therapien nötig sind, dass man – oft relativ lange – nicht arbeitsfähig sein wird, dass die gewohnte Welt Kopf steht und man in einer Gefühlsachterbahn sitzt, die ständig Loopings fährt.

Dazu taucht bei vielen Betroffenen die Frage auf:

WARUM ICH?“

Warum bin ICH an Krebs erkrankt?“

Oder Fragen wie:

Was habe ich falsch gemacht?“
Oder Erklärungen wie:

Ich weiß, warum ich krank geworden bin.“

Marlies schreibt in ihrem Blog:

ES WAR, WIE ES WAR.“
Wie wahr.

 

Die Vergangenheit können wir alle nicht verändern, obwohl man im Nachhinein ja immer klüger ist.
Wir können aber aus der Vergangenheit lernen. Eine Krebsdiagnose reißt Betroffene oft regelrecht vorübergehend aus dem Alltag. Vieles muss neu organisiert, Aufgaben delegiert, Hilfe angenommen werden. Dazu kommt oft viel Zeit zum Nachdenken.

In der Beratung erleben wir oft, dass Patient:innen nach einer Krebsdiagnose eine Art „Bilanz“ ziehen. Das ist normal und auch gut so.
Durch die Diagnose verändern sich oft Wertigkeiten. Die Achtsamkeit für die eigene Gesundheit, das Wohlbefinden, die nötigen Erholungsphasen, Auszeiten, Ruhephasen,..
die Achtsamkeit für eine gesunde Lebensweise gewinnt an Bedeutung.

Es wird gefiltert und selektiert. „Was war gut für mich?“ „Was hat mir gutgetan?“ „Was ist gut gelaufen, was nicht?“ „Was belastet mich?“ „Was möchte ich – jetzt und zukünftig – anders machen als bisher?“ „Habe ich gesund genug gelebt?“
Wenn dadurch klar wird, dass etwas in der Vergangenheit belastend war, so belastend, dass man es auf gar keinen Fall mehr machen möchte, oder dass Beziehungen zu manchen Menschen so kraftraubend waren, dass man diese verändern möchte, so ist das JETZT ein guter Zeitpunkt.
Wenn man sich eingestehen muss, dass ein gesünderer Lebensstil Sinn macht, dann ist JETZT der richtige Zeitpunkt dafür.

 

Selbstvorwürfe, die die Vergangenheit betreffen, ändern nichts am Ist-Zustand und verursachen nur Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen.

 Vielleicht wäre ich nicht an Krebs erkrankt, wenn ich das nicht gemacht hätte, oder das gemacht hätte,….“

Fremdvorwürfe von – natürlich besorgten Angehörigen und Freund:innen – ebenso.
„Wärst du doch früher zum Arzt gegangen.“

Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.

Vorwürfe, egal ob Selbst- oder Fremd-, ändern nichts an der Gegenwart, verstärken die belastenden Gefühle, ziehen noch tiefer in die Negativ-Spirale und sind vor allem nicht hilfreich.
So oder so, die Frage nach dem Warum wird sich in den seltensten Fällen beantworten lassen.
Das was war, kann ich nicht ändern.
Die Frage danach, wie ich jetzt und zukünftig mein Leben gestalten möchte, schon. Sie macht Sinn, kann motivieren und Kraft und Lust geben, gut für mich zu sorgen und Veränderungen in Angriff zu nehmen.

Eine Krebsdiagnose bedeutet eine Krise im Leben.
Die chinesischen Schriftzeichen für Krise bedeuten sowohl „Gefahr“ als auch „Chance“.
Im Zweifelsfall würde ich mich für die Chance entscheiden.

 

Wer, wenn nicht ich.“
„Wann, wenn nicht jetzt.“
„Wo, wenn nicht hier.“

 

 

"Was vergangen ist, ist vergangen, und du weißt nicht, was die Zukunft dir bringen mag. Aber das Hier und Jetzt, das gehört dir."
(Der kleine Prinz, Antoine de Saint-Exupéry)

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sabine (Dienstag, 30 November 2021 08:22)

    **Aber dennoch ist es wichtig, das eigene Unverständnis nun hinten anzustellen und dem erkrankten Menschen erst einmal zuzuhören und dann - wenn dieser es möchte - für ihn da zu sein.**

    So wahr! LG ���