(Un-)Ruhe in Person

Karten auf den Tisch: Ich war noch nie die sprichwörtliche Ruhe in Person, wenn das Leben etwas hektischer wird.

 

Es gibt ja bekanntlich Menschen, die umso ruhiger und besonnener werden, je stressiger es zugeht.

Ich dagegen neige manchmal – nicht immer – zur Kopflosigkeit und allzu impulsiven Reaktionen. Dies aber nur, wenn wirklich das Chaos herrscht und eigentlich Gelassenheit gefordert wäre.

 

Dennoch habe ich mittlerweile das Gefühl, dass ich in den letzten Jahren resistenter gegen Stress geworden bin und sogar regelrecht „aufblühe“, wenn sich was tut.

 

In meinem derzeitigen Job ist vielfach Multitasking gefordert. Hier läutet das Telefon, dort stellt jemand eine Frage, und außerdem erwarten zwei oder gar drei Kunden gleichzeitig eine Dienstleistung.

Ich verliere dann weder den Fokus und die Konzentration, noch geht die Freundlichkeit flöten.

Ich stelle mich kompetent an und agiere weitsichtig.

Ich kann so etwas.

So weit, so gut.

 

Auf der anderen Seite hat meine Erkrankung durchaus etwas verändert, und das ist bestimmt keine Überraschung. Die meisten Menschen wissen, dass man nach einer Krebserkrankung in so gut wie allen Fällen nicht mehr der- oder dieselbe ist. Bestimmte Parameter verändern sich. Was vorher gut ging, klappt jetzt nicht mehr. Was man früher gut schaffte, macht jetzt mehr Mühe.

Krebs verändert vieles.

 

Mein „wunder Punkt“ ist wohl Lautstärke.

 

Dazu muss man wissen, dass ich in meiner gesamten beruflichen Laufbahn immer mehr oder weniger damit konfrontiert war.

Mein erlernter Beruf ist Sozialpädagogin. Kinder und Jugendliche sind laut, das ist ganz natürlich.

Mit der Lautstärke hatte ich soweit kein gröberes Problem.

Ganz anders entwickelte sich das nach meiner Erkrankung. Obwohl ich mir mit der Genesung viel Zeit gelassen hatte (ein Krankenstandsjahr und ein Jahr Berufsunfähigkeitspension), merkte ich danach, dass ich nicht mehr an demselben Punkt war wie früher.

 

Instinktiv versuchte ich mich daran, den für mich richtigen Beruf zu finden, denn ich spürte, dass die Pädagogik nicht mehr das Richtige für mich war. Dennoch versuchte ich noch ein-, zweimal, Fuß zu fassen.

Es ging nicht mehr.

Ich kam mit der Lautstärke – vor allem dem „Kinderlärm“ – nicht mehr zurecht.

 

Kinder kreischen, Kinder weinen, Kinder schreien. Das ist so und nicht wertend gemeint.

Ich hatte damit Probleme. Hielt der Lärm für eine längere Zeit an, wurde ich fahrig, nervös und gereizt. Ich bekam das Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug.

Nicht zu bewerkstelligen, wenn man gerade im Dienst ist.

Also hielt ich es aus – eine Zeitlang. Bis es nicht mehr ging.

 

Innerhalb kürzester Zeit näherte ich mich in großen Sprüngen einem Burnout. Zwar spielten auch noch eine andere Aspekte eine tragende Rolle (Trennung und Wohnungsauszug z.B.), aber der Hauptstressfaktor war die für mich unerträgliche Arbeitssituation, die sich für mich noch wenige Wochen zuvor ganz anders dargestellt hatte.

Doch hinterher ist man immer klüger.

 

 

Ich zog die Reißleine und wusste gleichzeitig: Das war es mit der Sozialpädagogik.

(Um ehrlich zu sein: Mein Traumberuf war es nie, aber ich habe dennoch gerne in dem Bereich gearbeitet.)

 

Es gab immer wieder längere Zeiten - davor und danach - wo ich auf der Suche war nach einer Berufsrichtung, der ich mich verbunden fühlen konnte.

Einiges davon stellte sich als „Sackgasse“ heraus und wurde nicht beendet und obwohl mir diese Entscheidungen nie leicht fielen, fällte ich sie doch, weil ich mich nach meinem Bauchgefühl richtete.

Positiv war ja auch, dass ich mir aus jedem Versuch wieder neue Erfahrungen, Interessen und Eindrücke mitnehmen konnte, und davon profitiere ich noch heute. Ich weiß zum Beispiel seitdem, dass ich gerne auch mit den Händen arbeite.

 

In meinem jetzigen Beruf habe ich mit Menschen zu tun UND mit Technik und Handwerk. Für mich die "perfekte" Kombination.

 

Was die Lautstärke betrifft:

Nach wie vor ist es schwierig für mich, Lärm auszuhalten - vor allem, wenn er etwas länger dauert.

Sei es lautes Kinderweinen und auch -schreien (kommt hin und wieder vor an meinem Arbeitsplatz) oder auch, wenn die enervierenden Staubsaugergeräusche der Reinigungskraft kein Ende nehmen wollen.

Der Stresspegel steigt dann, ich werde manchmal gereizt und möchte "aus der Haut fahren".

Da diese Episoden zum Glück nie lange dauern, sind sie jedoch aushaltbar - und: Es gibt Schlimmeres als Nachwirkung einer Krebserkrankung.

 

Und dann: Bin ich auf einem Konzert und feiere "meine" Musik mit Gleichgesinnten - da ist mir der größte Lärm egal.

Gehörschutzstöpsel schützen meine Haarzellen im Innenohr, aber ich bekomme alles mit, was ich in diesen Momenten brauche.

Es gibt also Stress-Lärm und "Anti-Stress-Lärm" für mich.

Seien es nun ein empfindliches Gehör, eine reduziertere Belastbarkeit, körperliche Folgeschäden oder anderes - eine Krebserkrankung hinterlässt Spuren. Nicht alle sind schlecht... auch das gilt es festzuhalten.

 

Wichtig sind Akzeptanz und Geduld und möglichst keine Selbstverurteilung.

Darin übe auch ich mich, mit mal besserem mal schlechterem Ergebnis. Nur... die "Ruhe in Person" werde ich trotzdem nie.

Macht nichts. ;-)

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Nach einer Diagnose folgen nicht selten zahlreiche Monate der oft sehr anstrengenden Behandlungen mit vielen Neben- und Nachwirkungen. Anschließend folgt die dringend nötige Phase der Erholung, Rehabilitation, der Zeit um physisch und psychisch wieder zu Kräften zu kommen.
In der Beratung erleben wir oft, dass Betroffene nach einer Diagnose eine Art „Bilanz“ ziehen und darüber nachdenken, was sie zukünftig in ihrem Leben anders machen möchten.
Das betrifft natürlich nicht alle Patient:innen, aber in solch einer elementaren Lebenskrise,“ sortieren“ doch viele Betroffene aus. Nach dem Motto: „Wer und was tut mir jetzt gut, wer und was tut mir jetzt nicht gut?“
Das kann – so wie Marlies es beschreibt – den Lärmpegel in der Arbeit, oder die Arbeit an und für sich betreffen, aber auch andere Aufgaben, die man irgendwann übernommen und nie mehr in Frage gestellt hat, soziale Kontakte, Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten und viele andere Themen.

Sich das alles einzugestehen und Schritt für Schritt zu verändern ist gar nicht so einfach und kostet Kraft, Zeit und Geduld.

Anfangs ist das soziale Umfeld, also Familie, Freunde, Nachbarn, Arbeitskolleg:innen, usw. meistens sehr verständnisvoll und unterstützt wo es nur geht.
Umso besser es den (ehemals) Erkrankten geht, umso besser sie wieder aussehen, umso mehr wird oft vom Umfeld erwartet, dass „alles wieder wie früher ist.“

 

Das ist es aber nicht!

Viele Betroffene beschreiben, dass Sie sich selber nicht mehr
(er-)kennen, plötzlich größere Menschenansammlungen nicht mehr ertragen, nicht mehr so belastbar wie früher und dadurch schneller überfordert sind, Lärm nicht mehr aushalten und überhaupt ein viel ausgeprägteres Ruhe- und Rückzugsbedürfnis haben
.

Auch Wertigkeiten, Vorlieben, Hobbies, Lebensgewohnheiten, Bewältigungsstrategien und ja, sogar der Freundeskreis und Beziehungen können sich verändern.
Leben ist Veränderung. Alles was wir er-leben hinterlässt Erfahrungen, Erkenntnisse, Eindrücke und Emotionen.
Dadurch treffen wir immer wieder neue Entscheidungen.
Vielleicht werden wir bestärkt, unseren – für uns guten Weg – weiterzugehen, oder eben die Weichen zu stellen und Neues auszuprobieren.

 

Hilfreich dabei ist es – wie so oft – nicht zu werten.
Sich nicht mit der Person zu vergleichen, die man vorher war, oder mit anderen zu vergleichen, denen anscheinend alles leichter fällt und die „schneller und besser“ mit allen Herausforderungen fertig werden.
Hilfreich ist es sich so anzunehmen und zu akzeptieren, wie man im Moment ist.
Hilfreich ist es, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, auszusprechen und bei Bedarf den Mut zu haben, Veränderungen anzugehen um den Alltag im Hier und Jetzt wieder gut gestalten zu können.
Hilfreich ist es, zu sich selbst verständnisvoll und liebevoll zu sein, so wie man es bei einem geliebten Menschen wäre.
Hilfreich ist es, Sätze zu formulieren, zu denken und auszusprechen, die mich bestärken.

 

Ich muss nicht die Ruhe in Person sein.
Ich muss nicht die Powerfrau sein.
Ich muss nicht die sein, die andere in mir sehen.
Ich darf sein, wie ich gerade bin.
Ich bin ich. Einmalig. Einzigartig. So wie mein Leben.

 

Ich bin.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0