Pandemus desperationis

Selten habe ich länger überlegen müssen, wie und in welcher Form ich einen Beitrag verfasse.

 

Nein, das kann ich doch nicht schreiben.

Das ist jetzt schon hart ... aber es ist nun mal meine Meinung!?

Ist das jetzt andererseits wieder zu diplomatisch und ausweichend?

Rede ich jetzt nur Politiker XY nach dem Mund?

Darf ich dieses Schimpfwort verwenden? ... Nein? Schade.

 

Aber es hat ja keinen Zweck.

Wir können hier ja schließlich und endlich keine fruchtbare Diskussion führen - und wollen tun wir das gleich mal gar nicht, oder?

 

...

 

Ich vergaß zu erwähnen, worum es eigentlich geht.

Nun ja, natürlich um

 

C O R O N A.

 

...

 

Das kam jetzt unerwartet, ich weiß.

 

Bisher habe ich das Thema ja nur ganz am Rande behandelt. Ungefähr so wie ein Kind, das die Brotrinde wegknabbert und den weichen Rest wegwirft.

 

Jedenfalls sage ich euch jetzt etwas völlig Überraschendes:

Ich habe meine eigene Meinung zur Pandemie, zu den Maßnahmen, zum Impfen und allem, was damit einhergeht.

 

Ich werde aber den Teufel tun und jetzt losledern, dass sich die Wutbürger-Balken biegen.

Das würde nämlich einerseits dem Grundgedanken des Blogs widersprechen, und andererseits wäre ich nicht besser als ein x-beliebiger Social Media-Kommentarspalten-Kasper.

 

Denn egal, auf welcher "Seite" man steht - zum Aufregen und Losschimpfen gäbe es wahrlich genug. Zumal wir vermutlich alle die Nase gestrichen voll haben von Covid-Nineteen und ihren (seinen?) Mutanten-Buddies.

 

Letztlich geht es nicht darum, ob ich brav und regierungshörig die "Geht's impfen, Oida!"-Schilder hochhalte oder ob ich "weinerlichen Wellness-Widerstand" (© Der Spiegel) betreibe.

Wie ihr wisst, liegt bei mir die Wahrheit stets dazwischen, und - obwohl kein Wendehals - wehre ich mich gegen ein striktes Einordnen und Kategorisieren und damit auch BeURTEILen.

 

Aber bei einer mit Corona zusammenhängenden Sache bin ich klar und mit mir selbst völlig im Reinen:

In meiner Meinung zum Schutz vulnerabler Gruppen, zu denen akut und chronisch schwer kranke Menschen gehören - wie zum Beispiel Menschen mit Krebs.

Ich habe das Gefühl, dass diese Gruppe weitgehend unsichtbar ist.

 

Hören wir von Covid-19 und den Erschwernissen, mit denen wir alle leben müssen, dann stehen die immer gleichen Bereiche - wenn auch zu Recht - im Vordergrund: überlastetetes Spitalspersonal, gestresste (Allein-)Erziehende mit Mehrfachbelastungen, Kinder, Jugendliche, ältere Menschen.

Menschen mit wenig Geld, arbeitslose Menschen, einsame Menschen, schwangere Frauen und dann natürlich auch noch Menschen mit Vorerkrankungen.

Wenn schon Otto und Ottilie Normalverbraucher unter der Pandemie und ihren Auswirkungen leiden, dann die eben aufgezählten Personen umso mehr.

 

Wir hören auch, dass wir ungeimpfte Menschen schützen müssen und diese dazu angehalten werden, sich selbst zu schützen.

Sich selbst und andere Menschen.

Also alle, irgendwie.

 

Ich ärgere mich immer wieder, wie "schluderig" viele Leute in Bezug auf Einhaltung der Maßnahmen agieren oder manche von vornherein ablehnen.

 

"Ich lasse mir nicht vorschreiben..."

"Es ist MEIN Körper..."

"Ich entscheide, wie ich..."

 

Ich höre und lese immer nur:

 

ICH.

 

Man verliert die Lust, sich (noch weiter) auf Diskussionen pro und contra Impfung/Nebenwirkungen/Langzeitfolgen einzulassen, denn ich gestehe: Ich bin diesbezüglich wirklich schon müde.

Ich habe genug gehört, gesehen, gelesen.

Wie viele von uns.

 

Ich muss und möchte aber betonen, wie schade, beklemmend und bedenklich ich es finde, dass der Horizont vieler Menschen bei sich selbst aufzuhören scheint, und das geht durch alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten.

Es wird gejammert, es wird geschimpft, es wird gekeift.

(Man kann durchaus kritisch sein, aber das ist es nicht, was ich meine.)

Die eigenen Nachteile, die man ja ständig zu erleiden hat, werden permanent in den Vordergrund gestellt.

Mich macht das zornig.

 

Denn wer sieht die Menschen, die aufgrund einer Chemotherapie oder anderer medikamentöser oder sonstiger Therapien körperlich so geschwächt sind, dass ein Virus wie das Corona-Virus leichtes Spiel hätte und großen Schaden anrichten bzw. noch Schlimmeres anrichten könnte?

 

Wer redet über schwerkranke Patienten, die mit einer Diagnose wie Krebs zurechtkommen müssen und die unter Umständen nur sehr wenig Besuch empfangen dürfen?

 

Wer schützt Menschen mit einem durch die genannten Gründe massiv geschwächten Immunsystem vor Menschen, die mit ihnen mehrfach körpernah zu tun haben und selbst keinerlei oder einfach nicht genug Maßnahmen setzen, um diese ihnen anvertrauten Personen nicht zu gefährden?

 

Warum wird immer "nur" von Menschen mit Long-Covid und/oder psychischen Beeinträchtigungen gesprochen, die sich als Pandemie-Folgen ergeben können?

 

Wer fragt eine/n Krebskranke/n, wie es ist, wenn zur Angst vor der eigenen mitunter lebensgefährlichen Erkrankung noch die Angst vor einem Virus hinzukommt?

 

Wer achtet auf fortgeschritten erkrankte Menschen, auf palliativ versorgte Menschen, auf Menschen die sterben werden, was es mit ihnen macht zu wissen, dass sie ihre begrenzte Lebenszeit vielleicht nicht mehr mit den Menschen, die sie lieben, verbringen können, weil die Pandemie bzw. das, was damit verbunden ist, das verhindert?

 

Wie erklärt man einem so schwer kranken Menschen, dass der "Wirtschaftsaufschwung" mehr zu zählen scheint als das eigene Leben?

 

Wer macht einem Menschen, der an einer solchen Krankheit leidet oder mit ihren Folgen kämpft, weis, dass sich das Corona-Virus "eh nur maximal wie eine Grippe" anfühlt und man nur mit einem "starken Immunsystem" entgegnen müsste?

 

Wie argumentiert man gegenüber einem krebskranken Menschen, der auf eine wichtige Operation wartet, dass man leider verschieben müsse, weil die Behandlung zahlreicher Corona-Kranker auf den Intensivstationen Vorrang habe?

 

Das sind Fragen, die sich mir seit Beginn der Pandemie stellen und die mit jeder Zuspitzung der Lage (wie gerade jetzt wieder) dringlicher werden.

Denn ich habe immer mehr das Gefühl, dass Bedürfnisse, Ängste und Fragen krebskranker Menschen zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden und Platz machen müssen, weil die Befindlichkeiten der LAUTEN wichtiger zu sein scheinen: die der Schreier, der Zeterer und jener Personen, deren Kosmos sich nur um sie selbst dreht.

 

Man könnte antworten, dass sich die "soziale Kälte" in der Gesellschaft immer mehr verbreitet, und das mag erstens stimmen und zweitens durch die Corona-Situation noch deutlich sichtbarer werden, aber ich denke, dass krebskranke (und andere akut und chronisch schwer kranke, aber auch beeinträchtigte) Menschen einfach von vornherein kaum eine Lobby haben.

 

Die Lösung ist nicht so milchmädchenhaft einfach, um bloß zu sagen:

Lasst euch impfen.
(Obwohl: Lasst euch impfen!)

Oder: Tragt überall eine Maske.

(Und: Ich will eure Nasen dabei nicht sehen!)

 

Das, was nötig ist, ist das Bewusstsein darüber, dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die unseres besonderen Schutzes bedürfen, denn das sind nicht nur Kinder und ältere Menschen.

 

Würde jeder von uns seine eigenen, oft nur vergleichsweise geringen Unpässlichkeiten dann und wann hinten anstellen, würde der Fokus von sich selbst auch mal nach außen schwenken und dort vielleicht auch zu denen, die gesellschaftlich zuwenig sichtbar sind.

 

Egal, ob ihr für oder gegen Impfungen, Maßnahmen, Masken, Kontaktbeschränkungen, Lockdowns etc. seid:

 

Haltet euch nicht mit den sinnlosen Überlegungen auf, ob und wie wir "Marionetten der Regierungen und Pharmakonzerne" sind, ob tatsächlich lebende Mikroorganismen in den Masken existieren, ob "Querdenker" tatsächlich "dumme" Menschen sind (wie eine bekannte Psychiaterin behauptet) oder schlauer als der Rest, oder ob die Welt ein ungerechter Sauhaufen ist, weil schon wieder die PCR-Tests beim Bipa aus sind.

 

Nehmt den Blick weg vom Spiegel oder vom Handydisplay und achtet nicht nur auf euch selbst, sondern aufeinander ... und ganz besonders auf Menschen, die zu krank und schwach sind, um sich selbst (genügend) zu schützen.

 

Seid nicht rechthaberisch, aber seid Vorbilder.

Seid klug, aber nicht altklug.

Seid wissend, aber nicht besserwisserisch.

 

Vor allem aber: Seid - von Herzen - achtsam.

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Kaum eine Erkrankung löst so große Unsicherheit, Ängste und Hilflosigkeit aus, wie eine Krebserkrankung und hat vorübergehend, oder auch anhaltend gravierende Veränderungen im Alltag der Betroffenen zur Folge.

Ähnliches hat auch die Pandemie ausgelöst.

 

Eine Krebserkrankung hat Auswirkungen auf die körperliche, emotionale und mentale Gesundheit.

Wie die Pandemie.

 

Eine Krebserkrankung löst Unwissenheit aus, man kennt sich anfangs nicht aus, weiß nicht wie lange es dauern wird, hört und sieht Schreckensnachrichten und -bilder.
Wie bei der Pandemie.

 

Eine Krebserkrankung hat Auswirkungen auf die Arbeit, die finanzielle Situation, hat oft Isolation und einen veränderten Alltag zur Folge, verändert Wertigkeiten und den Stellenwert von Freunden und Familie.

Wie bei der Pandemie.

 

Man könnte auch sagen, die Sorgen und Belastungen verdoppeln sich dadurch für betroffene Krebspatient:innen.

Jetzt ist es schon schwierig genug, nach einer Krebsdiagnose und allem was damit verbunden ist zurecht zu kommen, wieder Sicherheit und Vertrauen zu erlangen.

 

Durch die Corona-Pandemie kamen und kommen neue Herausforderungen auf alle zu.

Nach den anfänglichen Ängsten und Sorgen, als Zugehöriger einer Risikogruppe auch noch an Corona zu erkranken, der dann auftauchenden Frage, ob, wann und mit welchem Impfstoff man geimpft werden darf, kommt jetzt auch noch die Ernüchterung dazu, dass diese Pandemie sehr hartnäckig ist, noch länger dauern wird und weitere Maßnahmen und Einschränkungen nötig macht und zukünftig machen wird.

 

Als ob das alles nicht schon reichen würde, erleben wir derzeit eine regelrechte „Spaltung“ mit immer härter werdenden Fronten zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern.

 

So oder so – Thema Nummer 1 ist wieder und noch immer die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Folgen. Täglich warten viele gespannt auf die aktuellen Infektionszahlen, die 7-Tage-Inzidenz und die damit verbundenen Konsequenzen.

Täglich sind davon Menschen wie du und ich betroffen.
Patient:innen, die eine nicht lebensnotwendige, aber schmerzlindernde Operation verschieben müssen, auf die sie schon lange gewartet haben.
Erkrankte, die wieder nur 1 x pro Tag für 1 Stunde von einer Person besucht werden dürfen und sich alleine fühlen.

Patient:innen, die ohne Bezugsperson zu Befund- und Therapiegesprächen gehen müssen.
Patient:innen, die aufgrund ihrer aktuellen, oder auch chronischen Erkrankung, oder aufgrund ihres Alters zu Risikogruppen zählen – sogenannte vulnerable Gruppen - und in ständiger Sorge vor Ansteckung, Einschränkungen, Isolation leben und zittern, ob bei Bedarf ein freies Bett im Krankenhaus vorhanden ist und die vielleicht geplante Operation stattfinden wird.

Betroffene, die aus Angst vor Ansteckung wichtige Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchen verschieben und dadurch vielleicht beginnende Erkrankungen übersehen werden.

 

So oder so – wir alle haben etwas gemeinsam.
Wir alle leben JETZT in dieser Ausnahmesituation mit der Pandemie, wir alle haben Verantwortung für uns und für allen anderen.
Wir haben ganz besonders für diejenigen Verantwortung, die besonders gefährdet sind.

Nur weil man sich vielleicht nicht betroffen fühlt, nicht hinsieht oder mit den aktuellen Verordnungen nicht einverstanden ist, hebt sich diese Verantwortung nicht auf.

Wir alle möchten gesund bleiben, oder werden.

Wir alle wünschen uns wieder Normalität und Freiheit.

Wir alle wünschen und ein baldiges Ende der Pandemie.
Das haben wir gemeinsam.

 

Ich schließe mich Marlies‘ Worten an:

 

Seid nicht rechthaberisch, aber seid Vorbilder.

Seid klug, aber nicht altklug.
Seid wissend, aber nicht besserwisserisch.

 

Vor allem aber: Seid – von Herzen – achtsam – und übernehmt Verantwortung.

 

Wir Berater:innen der Krebshilfe bieten multiprofessionelle Beratungsgespräche an. Gerade in unsicheren Zeiten gewinnt Sicherheit Beständigkeit an Bedeutung.
Gerade in – doppelten – Krisenzeiten sind Information, Beratung und Begleitung als umfassende, schnelle Unterstützung wichtiger denn je.

Persönlich, telefonisch oder per Video – wir sind für Sie da!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sabine (Donnerstag, 18 November 2021 14:08)

    B R A V O