Ist ja alles nicht so schlimm

Die Briten halten den Atem an - habt ihr schon das (Boulevard-)Blätterrauschen vernommen?

Die Queen, Königin Elizabeth II., hat(te) nämlich gesundheitliche Probleme und vorsichtshalber ein paar Termine abgesagt.

 

Ja, darf die denn das?

 

Falls ihr es nicht wisst: Your Majesty ist 95 Jahre alt, da wäre das eigentlich... normal?

Stimmt schon - wir hier in Österreich leben nicht mehr in einer Monarchie und können die offensichtlich besondere Bedeutung (ja, fast schon Götterverehrung), die die "Royals" in Großbritannien für das Volk haben, nicht wirklich nachvollziehen.

Selbstverständlich gibt es aber auch bei uns Fans der Queen und ihrer Familie - eine Netflix-Serie, Dokumentationen und Tausende "Frauenzeitschriften"-Leserinnen können das bestätigen. ;-)

 

Worauf ich hinauswill:

Die Queen scheint - trotz ihres hohen Alters - nicht abdanken zu wollen... oder zu können. (Wer weiß das schon?)

Ich, als kleine gewöhnliche Republik-Einwohnerin, kann damit freilich wenig anfangen und es schon gar nicht verstehen. Doch es ist nun mal so: Königin zu sein, das ist kein Beruf, das ist eine Lebensaufgabe.

Wenn dann also das Staatsoberhaupt von Großbritannien (und Australien und Barbados und Jamaika und Kanada und und und...) gesundheitsmäßig schwächelt, dann richten sich die Blicke nervös in Richtung Buckingham Palace. Denn das gesamte Gefüge darf nicht zusammenbrechen.

 

Das gesamte Gefüge darf nicht zusammenbrechen.

 

Wenn man in der Öffentlichkeit steht, schon gleich mal gar nicht - zum Beispiel als in der Politik tätige Person.

 

Als 2013 (also kurz nach mir) eine bekannte Politikerin schwer an Krebs erkrankte, gewann ich schnell einen zweifelhaften Eindruck.

Selbstverständlich gehen uns Unbeteiligte Details über Privates - so auch die Art und Schwere der Krankheit - nichts an. Auch obliegt es niemand anderem als der betroffenen Person selbst zu entscheiden, ob und wie weit sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht, um sich Behandlungen zu unterziehen und sich weitgehend zu erholen.

Die Art, ob und wie das kommuniziert wird, ist Privatsache.

 

Und doch bereiteten mir die Medienberichte und Pressekonferenzen in der Folge Bauchschmerzen - teilweise vor Ärger.

Was man in erster Linie zu hören und lesen bekam, war:

 

"XY... wird ihre Arbeit, wie gewohnt, im Parlament fortsetzen."

"XY... fühlt sich fit und ist imstande, ihren Pflichten nachzukommen."

"XY... wird sogar als Nationalratspräsidentin kandidieren."

 

Dazu der behandelnde Ober-ober-ober-Primar, der bei der Pressekonferenz betonte, die betreffende Politikerin könne ihre Arbeit "ohne Einschränkungen" fortführen.

 

Ähnliches passierte wenige Jahre später, als eine weitere Politikerin an Krebs erkrankte.

Man ließ uns bald wissen, sie würde "ihre Amtsgeschäfte selbstverständlich vom Bett aus weiterführen".

 

Welche Botschaft sollte das wohl vermitteln?

 

Sollte gegenüber der Öffentlichkeit bloß kein Bild von "Schwäche" präsentiert werden?

Und was bedeutete das vergleichsweise für den eigenen Krankheits- bzw. Gesundungsweg?

 

Warum gewinnt man generell oft den Eindruck, (ehemals) krebskranke Frauen werden entweder als strahlend schöne Persönlichkeiten präsentiert, die mit dem "Mut einer Löwin" die Krankheit besieg(t)en und hinterher mindestens genauso blendend aussehen wie vorher... fast so, als wär nichts gewesen...

... oder ihre "Krebs-Dramen" werden in unseriösen bunten Zeitschriften medial ausgeschlachtet und konzentrieren sich nur auf Siechtum und Leiden.

 

Wo soll man sich selbst einordnen, da man selbst ja kein Promi ist?

Selbst ist man nämlich meist ganz schön unsichtbar, außer vielleicht (um ein Beispiel zu nennen) im "Brustkrebsmonat" Oktober, der dankenswerterweise - unter anderem von der Österreichischen Krebshilfe - ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt wird.

Doch vielen Menschen wäre es lieber, dass das Thema danach wieder in der Tabu-Versenkung verschwinden möge.

 

Die meisten krebskranken Menschen gehen den schweren Weg mit Unterstützung, aber weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ich kann mir vorstellen, dass es für den/die einen oder anderen nicht einfach ist, vorbildhaft vorgesetzt zu bekommen, dass man die Krankheit entweder ganz schnell überwindet (im Sinne von "Bekämpfen") oder dass es etwas ist, dass einen im Alltag nicht oder kaum einschränkt, wenn man nur ganz fest will.

 

Ich möchte den betreffenden Politikerinnen - die leider nicht mehr unter uns weilen - im Nachhinein nichts vorwerfen. Ich weiß nichts über ihre Beweggründe und maße mir kein Urteil darüber an.

Aber ich ärgere mich immer wieder über den medialen Umgang mit dieser Erkrankung, über das Verklären und Verharmlosen, aber auch das Dramatisieren und Stigmatisieren.

Vor allem aber über die häufige Prämisse, man könne, "mit der Krankheit Krebs" (die sich aber sicher nicht pauschal sehen lässt) "ohne Einschränkungen" FUNKTIONIEREN.

 

Denn sehr viele Menschen da draußen - ob Mann oder Frau oder Kind - haben sehr mit dem Alltag zu kämpfen, leiden an Schmerzen, Ängsten, Hoffnungslosigkeit.

Von "Funktionieren" ist man weit entfernt, alles ist auf "Sparflamme", um Kräfte zu sparen und neue zu schöpfen.

Das darf und kann und muss so sein.

Niemand sollte einem etwas anderes einreden - und schon gar kein schlechtes Gewissen erzeugen (Stichwort: Leistungsgesellschaft).

 

Ich vergesse nie die ältere Frau in einer Selbsthilfegruppe im Krankenhaus, kurz nach meiner Akuttherapiezeit.

Sie weinte bitterliche Tränen, weil ihre Tochter und ihr Schwiegersohn "böse" auf sie waren.

"Böse", weil sie ihren Pflichten als kleinkindbetreuende "Super-Omi" noch immer nicht nachkommen konnte.

Weil sie sich - nach abgeschlossener, kräftezehrender Therapie - immer noch zu schwach und müde fühlte.

Weil sie im Leben danach noch immer nicht angekommen war.

 

Wir mussten der armen Frau mit Mühe beibringen, dass es nicht IHRE Schuld war...

 

Ich frage mich - ohne Tochter und Schwiegersohn zu kennen - wie man so rücksichtslos und empathielos sein kann.

Vielleicht wegen so mancher unrechtmäßig präsentierter öffentlicher Wahrnehmung?

 

Krebs ist weder ein Schnupfen noch eine Bagatelle, die man dann ausschlachtet, wenn es sich gewinnbringend nutzen lässt, und ansonsten im hintersten Winkel des Bewusstseins verschwinden lässt.

 

Krebs ist aber auch nicht potentiell IMMER tödlich und nur mit Grauen, Leiden und Siechtum verbunden.

 

Lassen wir uns von Sensationsgier, Stereotypen und überzogenen Erwartungen nicht beeinflussen und sehen wir Krebs als das, was es ist:

eine schwere Erkrankung, die vieles im Leben der Betroffenen verändert - sowohl zum Schlechten, aber auch zum Guten - die zwar immer noch häufig tödlich verläuft, aber auch immer besser behandelbar ist.

 

Dank Forschern, Ärzten, Pflegepersonal.

Dank Psycho(onko)logen, zum Beispiel bei der Österreichischen Krebshilfe.

Dank Angehörigen und Freunden.

 

Dank jedem, der sich nicht instrumentalisieren und beeinflussen lässt.

 


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Bettina Plöckinger (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

Wahrnehmung und Bewertung – vom „Funktionieren“ und „NICHT-Funktionieren“

 

Woran denken Sie zuerst beim Begriff funktionieren?

Häufig denken wir sofort an „Arbeit“ und „Leistung“.

 

Womit könnte das zusammenhängen?

Die Wortbedeutung gibt Aufschluss: Das Wort „funktionieren“ kommt ursprünglich aus dem Lateinischen fungi/fungere“ (verrichten, verwalten, ausüben) und wurde im 20. Jahrhundert überwiegend verwendet, um die Funktion von Gegenständen und Geräten zu beschreiben. Die Wortbedeutung lautete ursprünglich „vorschriftsmäßiges arbeiten“; einige Synonyme für den Begriff „funktionieren“ sind z.B. arbeiten, klappen, laufen, gehen, fruchten, gelingen, glücken, ….  Wurde der Begriff (später) auf Personen angewandt, verstand man darunter meist „ein Amt ausführen“, d.h. der Begriff zielt primär auf die Funktionalität eines Menschen im Lebensbereich „Arbeit/Beruf“ ab.

 

o   Ein (Berufs-)Leben mit Krebs – ich muss/ soll doch funktionieren/ arbeiten!!!!

 

o   Ein (Berufs-)Leben mit Krebs – WIE muss/ soll ich funktionieren/ arbeiten???

 

o   Muss - soll - darf – kann - will ich (schon, wieder oder noch) arbeiten?

 

o   Wie musssoll -  darf – ich mich im (Berufs)-Leben verhalten?

 

o   Wie kann und will ich mich im (Berufs)-Leben verhalten?

 

Wie Marlies in ihrem Beitrag gut beschreibt, sind betroffene KrebspatientInnen mit und nach ihrer Erkrankung mit diesem Thema stark konfrontiert.

Konfrontiert mit vielen Meinungen von Außenstehenden oder anderen Betroffenen und natürlich auch aufgrund des medialen Umgangs mit dem Thema Krebserkrankung und dessen Darstellung. Die Frage: „Wo soll ich mich selbst einordnen?“ taucht auf.

 

Ganz allgemein ist anzumerken, dass die berufliche Funktionsfähigkeit für viele Menschen ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben ist. Berufstätigkeit bedeutet finanzielle Absicherung, verleiht dem Leben Struktur und Sinn und gibt eine wichtige Grundlage für soziale und gesellschaftliche Identität.

Aber, seinen EIGENEN Weg mit und nach einer Krebserkrankung in das (Berufs-) Leben, die (berufliche) Funktionsfähigkeit (wieder) zu finden, ist dabei alles andere als einfach – bei so vielen vermeintlichen (Vor-)bildern!???.

Wie also damit selber umgehen?

 

Ein sozial- und medienkritischer Umgang kann hilfreich & entlastend sein:

 

Neue Medien prägen unsere Lebenswelt immer früher und stärker, denn der  technische Fortschritt und die daraus erwachsende Vielfalt der Medien verändern unseren Alltag. Wir sind im „digitalen Zeitalter“ angekommen. Wir finden Infos zu allen denkbaren Themen, auch über Krebserkrankungen, deren Behandlung und Bewältigung. Über Medien beziehen wir heutzutage unseren Großteil der Informationen, einfach und schnell, von gut recherchiert bis „fake news“.

 

Auch der Austausch zwischen betroffenen Krebserkrankten über deren Umgang und Lebenswelten findet mittlerweile immer weniger nur von Angesicht zu  Angesicht statt, sondern sehr häufig über moderne Medien. Wir kommunizieren über E-Mails, Chats, soziale Netzwerke und Internetforen – seit der Corona-Pandemie noch deutlich häufiger als früher. Medien bieten uns Wissen,  Zerstreuung und Unterhaltung, sind für uns Arbeitsinstrumente oder Spielzeug. Medienkampagnen über Krebs können im besten Fall öffentliches Bewusstsein schaffen, um gegen gesellschaftliche Tabus entgegenzuwirken oder Aufklärungsarbeit zu leisten.

 

Der mediale Umgang mit Krebserkrankungen ist jedoch so vielfältig, hilfreich oder verunsichernd, wie der „herkömmliche Erfahrungsaustausch“ ebenfalls sein kann.

Doch, ob Fluch oder Segen, … eines sollte uns immer bewusst sein:

 

Das, was wir erleben und erfahren, ob im sozialen Miteinander (z.B. über persönliche Gespräche mit Zimmernachbarn im Krankenhaus oder mit PatientInnen in Ambulanz- Wartezimmern, der Austausch in der Selbsthilfegruppe, … usw.) oder eben über Medien, hat ganz im Allgemeinen großen Einfluss auf unser Denken und unsere Gefühle, prägt unsere Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse, … und schlussendlich unser Verhalten.

 

ABER, wir sind diesen „(Ab-)Bildern“ NICHT „ausgeliefert“ und müssen Sie schon gar nicht zu unseren „Vorbildern“ machen.

 

„Nicht was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus.“

 

(Marie von Ebner –Eschenbach)

 

 

Wie auch immer ein Ereignis dargestellt wird, also wie „(Nicht-) Funktionieren“ medial oder im Austausch miteinander dargestellt wird, … ob „(nicht)  funktionieren“ (schon/noch/wieder/nicht) arbeiten, in Vollzeit, in (Wiedereingliederungs- oder Teilzeit, in einer Rehabilitationsmaßnahme sein, in Umschulung, arbeitslos, arbeitssuchend, in I-Pension oder im Krankenstand sein, … usw. bedeutet, … es sind NICHT die Ereignisse an sich, sondern es ist  immer unsere eigene Wahrnehmung und Bewertung der Ereignisse, die für unsere eigene Reaktion und den damit verbundenen Verhaltensweisen, Gefühlen und Gedanken, verantwortlich ist.

 

„Die Menschen werden nicht durch die Ereignisse selbst, sondern durch ihre Sicht der Ereignisse beunruhigt.“

(Epiktet)

 

Ob uns die mediale Berichterstattung von oder über Betroffene mit Krebserkrankungen und deren Umgang damit, also unter anderem die Frage, ob und wie man mit einer Krebserkrankung (privat/ beruflich) „funktionieren“ müsse, … stresst, „kalt lässt“, ärgert, traurig macht oder vielleicht entlastet, freut, anspornt, Vorbild ist und motiviert, … hängt primär von uns selber ab – je nach unserer Bewertung.

 

„Für mich habe ich die Überzeugung, dass Stress nicht an der Gesellschaft liegt, sondern daran, mit welcher Einstellung der Einzelne lebt und wie er sein Denken gebraucht,

um eine positive innere Einstellung zu entwickeln.

Wenn es da fehlt, kommt es zu Stress.

 

(Der Dalai Lama anlässlich der Verleihung des hessischen Friedenspreises in Wiesbaden).

 

 

 

Hilfreiches für den Alltag:

 

·         Das Wissen über diese Wirkmechanismen (wahrnehmen > bewerten > reagieren) kann allen betroffenen KrebspatientInnen helfen, besser bei sich und den eigenen Bedürfnissen zu bleiben.

 

·         Es sollte für SIE, für Ihre Lebensqualität und Ihren persönlichen Lebenshintergrund stimmig sein und nur Sie selber können einordnen, was für Sie gerade funktioniert/ gelingt/fruchtet oder glückt.

 

·         Seien Sie ehrlich zu sich selber in Bezug auf Ihre Einschätzung Ihrer Arbeits- und Leistungsfähigkeit.

 

·         Hinterfragen Sie Ihre eigenen Werte und Glaubenssätze („was man müsste/sollte“) kritisch. Seien sie mutig und verändern Sie diese bei Bedarf.

 

·         Wir lernen von und miteinander. So können Ihnen Berichte der Medienwelt oder ein Erfahrungsaustausch miteinander durch die Darstellung anderer Lebensgeschichten  mit konkreten Denk- und Verhaltensweisen ein Rollenmodell sein, in dem sie sich vielleicht gut wiederfinden und identifizieren. Müssen sie aber nicht!

 

·         Grenzen Sie sich ganz bewusst ab. Es kann sehr entlastend und hilfreich sein, sich ganz bewusst unabhängig(er) von diversen (sozialen/ medialen) Darstellungen über ein „funktionierendes“ Leben mit und nach Krebs zu machen.  Es braucht den eigenen Weg und es braucht Zeit diesen in Ihrem Tempo zu finden. Es braucht eine sozial- und medienkritische Brille. So kommt man vom „so muss-soll-darf man funktionieren- Modus“ zum eigenen, individuellen, selbstbestimmten so will-kann-mag ICH nicht „nur“ funktionieren, sondern so will-kann-mag ICH mich bewusst verhalten und leben.

 

In diesem Sinne: Die Botschaft einer Nachricht bestimmt maßgeblich der Empfänger!

 

Sie selber bestimmen die Botschaft einer Nachricht!

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0