Tiger und das schwarze Loch

„Nachts sind alle Katzen grau“, lautet ein Sprichwort, das mir spontan eingefallen ist, als ich über ein Thema für einen neuen Beitrag nachdachte.

 

Es geht dabei eigentlich darum, dass das menschliche Auge bei Dämmerung auch kräftigere Farben (wie die Färbung einer Katze) aus anatomischen Gründen als „grau“ empfindet.

Vielleicht meine ich aber eher: „Nachts werden alle Gedanken grau“. Das ist natürlich sehr verallgemeinernd und klingt pauschal erst mal negativ.

 

Was meine ich überhaupt damit?

 

In schwierigen, belastenden Zeiten sind Körper, Geist und Psyche tagsüber mit Sinneseindrücken, Aktivitäten, Ablenkungen etc. beschäftigt. (Natürlich nicht nur in diesen schweren Phasen, aber hier nehmen wir vieles vielleicht wie durch ein Brennglas und damit „schärfer“ und „größer“ wahr.)

Für Gedanken und damit verbundene Gefühle bleibt dadurch oft nicht genug Zeit. Auch Verdrängung spielt dabei eine Rolle.

Wenn der Tag zur Neige geht, alles zur Ruhe kommt, sich Dunkelheit herabsenkt (ja, ja ich kann auch Poesie ;-)), ist dann Zeit und Raum für das Nachdenken... für Dinge, die uns beschäftigen, ängstigen, ärgern, Sorge bereiten, belasten.

 

Wir liegen im Bett, sind eigentlich erschöpft und möchten einschlafen, aber unser Kopf lässt es nicht zu. Was uns zuvor als „nicht so schlimm“ vorkam, was uns mutig und zuversichtlich fühlen ließ, weil wir vielleicht gerade ein gutes Gespräch mit einem lieben Menschen gehabt hatten oder im Sonnenlicht auf einer Parkpank saßen, wächst sich in dunklen Nachtstunden zu Empfindungen von Ausweglosigkeit, Verzweiflung, Angst, Wut usw. aus.

 

Die Realität erscheint schlimmer und dramatischer.

In schwierigen Zeiten erscheint sie NOCH schlimmer und NOCH dramatischer.

 

In den Wintermonaten kann das auch in den Morgenstunden anhalten, solange es beim Aufstehen, während der ersten Tagesroutinen und auf dem Weg zur Arbeit oder einer sonstigen Verpflichtung draußen noch dunkel ist.

Erst nach und nach lichtet sich alles, der Himmel wird heller und damit – meist – auch das Gemüt. Kraft, Zuversicht, Mut kehren zumindest in Teilen wieder zurück.

 

Ich konnte den Krebs tagsüber ganz gut wegschieben – sogar, während meiner stationären Krankenhausaufenthalte, wo es eigentlich kein „Entrinnen“ der Thematik gab.

Ich schlug die Zeit tot, indem ich mich zwangsweise von Sitcoms im Zimmer-TV berieseln ließ (und ich hasse Sitcoms), Zeitschriften über Musik und Geschichte von A-Z durchlas (inkl. Werbeanzeigen und Impressum) und die stumpfesten Handyspiele spielte.

Wenn ich nach den jeweiligen Erholungen von den OPs wieder „mobil“ war, machte ich ausgedehnte Spaziergänge bis in die hintersten Winkel der Klinik. Ich ließ nur Operationssäle, Personalräume, Untersuchungsräume, fremde Bettenstationen und – na ja – die Pathologie aus. Aber alles, was da sonst noch war – ich kenn's... ich war dort.

 

Es gab auch genügend Gelegenheiten, mit meinen Bettnachbarinnen zu plaudern, die Angestellten mit meinen Redeschwällen zu erfreuen und natürlich auch Besuche zu empfangen.

 

Zweifellos waren auch die Essenszeiten tägliche Highlights, denn wenn ich meine Nase in den Tunfischsalat oder in die Bratensoße tunken konnte, war nicht so viel gedanklicher Aufmerksamkeitsplatz für traubenförmige Raumforderungen, HER2/neu-Prognosen, Mitoseraten und Invasionsgrade.

 

Aber wenn es Nacht wurde, kamen die schwermütigen Gedanken, vor allem kurz nach den Diagnosen. Die innere Stimme, die mich tagsüber anzuschreien versuchte, brachte ich tagsüber rigoros zum Schweigen, wann immer sie sich bemerkbar machen wollte.

 

Warum tat ich das?

 

Aus Angst davor, durchzudrehen, wenn ich sie zuließ. Das war auch keine „vernunftbetonte“ Stimme... das war eine reine -Stimme. Sie hätte mir zu keinem Zeitpunkt geholfen.

 

Doch was war dann nachts?

 

Nachts kam nicht die Panik... da versuchte ich in erster Linie dieses gewaltige schwarze Loch zu erfassen, das sich unter mir aufgetan, anschließend verschoben und dann als „Zukunftsaussicht“ manifestiert hatte.

Die Zukunft, die große Unbekannte... das schwarze Loch.

 

In einem Jahr... werde ich da leben? In zwei Jahren? In fünf Jahren?

Wie würde es sein zu sterben?

Würde ich Schmerzen haben oder würde es eine friedliche Erlösung sein?

Wie sehr würden meine Hinterbliebenen leiden?

 

Wenn ich da so lag... in der Dunkelheit, im Krankenhausbett, und die Minuten nur langsam verronnen und ich es herbeisehnte, dass draußen auf dem Gang allmählich Schritte, Stimmen und Geschirrgeklapper den neuen Tag ankündigten, dann konnte ich all diese tonnenschweren Gedanken und Befürchtungen allmählich gehen lassen. Sie wurden ohnehin später von Nervosität vor der Visite oder der nächsten Untersuchung abgelöst.

 

Doch die „Nachtgedanken“ an sich... so düster sie auch immer waren, und auch wenn sie mich in der einen oder anderen Form noch heute heimsuchen – wie so viele von uns – ich weiß, dass sie kein unnötiges „Schwarzsehen“ sind.

Ich glaube, dass sie notwendig und sogar gesund sind. Sie sind dazu da, dass wir uns mit dem, was ist, auseinandersetzen können (vor allem, wenn es tagsüber nicht so gut geht), und damit beginnt auch die eigentliche Verarbeitung.

 

Darum war ich im Krankenhaus unmittelbar vor dem Einschlafen auch nicht der Typ für „Stellen Sie sich eine große Blumenwiese vor“.

Gewaltsam hervorgezerrte und in mich hineingeprügelte „positive Gedanken“ wären mir unauthentisch und anstrengend vorgekommen.

(Selbstverständlich kann ich hier nur für mich sprechen – für jeden Menschen gibt es unterschiedliche Zugänge, die helfen können.)

 

Also habe ich all das Düstere, die Schwärze, das Halszuschnüren zugelassen. Hauptsache, ich ließ es nicht überhand nehmen und verlor mich darin. (Und selbst wenn, dann war das halt mal so... irgendwann fand ich aus eigener Kraft wieder heraus.)

 

Und wenn ich auch heute manchmal noch die Belastungen des Alltags, die Schwermut und die eine oder andere Negativ-Spirale „beim ersten Sonnenstrahl“ langsam wie eine alte Haut abzustreifen versuche und mich auf den Tag zu konzentrieren beginne, dann streckt auch die graue Katze neben mir die Glieder, gähnt und springt vom Bett. Wenn ich dann genau hinschaue, dann kann ich vielleicht noch einen Blick darauf erhaschen, dass ihre Fellfarbe schon wieder zu einem kräftigen Orange oder zu „Tigerfarben“ gewechselt ist.

 

Jetzt – tagsüber im Licht - hat er wieder richtig Kraft und Lebensmut, der kleine Tiger... und es ist gut zu wissen:

Es ist, egal ob tagsüber oder nachts, immer noch dasselbe Tier.


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Monika Hartl (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

 

Nach einer Krebsdiagnose, während der Behandlungszeit und auch in der sogenannten Nach-SORGE-Zeit, tauchen immer wieder „graue und auch schwarze Gedanken“ bei den Betroffenen auf.

 

Trotz der oft positiven Einstellung, trotz der immer wieder spürbaren Kraft, trotz aller Zusprüche von Ärzt:innen, Verwandten und Freund:innen holen einen diese negativen Gedanken und damit verbundenen belastenden Gefühle immer wieder ein, besonders in der Ruhe, besonders in der Nacht.

 

Warum ist das so?

 

Tagsüber sind die meisten Patient:innen beschäftigt und abgelenkt, genauso wie Marlies das in ihrem Blog beschreibt.

 

Ist man dann alleine, hat „nichts“ zu tun, oder versucht eben nach dem Zubettgehen einzuschlafen, tauchen diese Gedanken auf, wie lästige Moskitos, die man nur schwer loswerden kann.
Was hilft?

 

- Es ist hilfreich, all diese Gedanken zu sortieren und eine Art „Sorgenstunde“ einzurichten. Das bedeutet, dass ich mich bewusst mit meinen Sorgen und Ängsten auseinandersetze, nach Lösungen suche und das Problem aktiv angehe. Das können Fragen sein, die ich dem Behandlungsteam stelle, das kann ein psychologisches Beratungsgespräch im Krankenhaus oder bei der Krebshilfe sein, ein klärendes Gespräch mit Familie und/oder Freunden, was immer ich eben brauche, um besser damit umgehen zu können.
- Außerhalb dieser „Sorgenstunde“ entscheide ich mich bewusst dagegen, diesen grauen Gedanken Aufmerksamkeit zu schenken.
Eine Metapher dazu: Sie sitzen an einer Bushaltestelle und es kommt der Bus „Graue Gedanken-Grübeln“. Sie sehen diesen Bus, nehmen in wahr, entscheiden sich aber selbstbestimmt dagegen, im Moment einzusteigen. Sie steigen in einen anderen Bus ein, wie z. B. „Bunte Gedanken“, oder „Erholsamer Schlaf“.

 

  • Vor dem Zubettgehen kann man sich auch nochmal bewusst und bildlich dafür entscheiden, die „Sorgengedanken“ nicht mit ins Bett zu nehmen, sondern abzulegen, so wie die Tageskleidung.
    Das bedeutet nicht, dass ich diese Gedanken nicht ernst nehme. Das bedeutet, dass ICH entscheide, wann ich mich damit auseinandersetze.

  • Hier noch eine kleine Übung wenn man nicht einschlafen, oder durchschlafen kann. Entscheiden Sie sich für einen Überbegriff, wie z. B. „Urlaub“, „Hobbies“, „Tiere“, „Fotografieren“, „Kino“,… - etwas was Ihnen Freude macht.
    Dann beginnen Sie alphabetisch geordnet Begriffe dazu zu finden, wie z.B. bei Urlaub
    A- Auszeit, abschalten,…
    B- barfuß gehen, baden, Badeanzug, Bücher,…
    C- chillen,…
    D-………

Dabei muss man sich konzentrieren – kann sozusagen nicht in den Grübelbus einsteigen – und denkt an Begriffe, die einem gut tun und das hat auch gute Gefühle zur Folge. Das klingt banal, ist aber sehr oft hilfreich und wert, es auszuprobieren.

 

So kann man es schaffen, den Tiger in einem freundlichen Licht erscheinen zu lassen.

 

Nur du kannst dich glücklich oder unglücklich machen. Es sind die Gedanken, die dein Leben bunt oder grau färben.“ (Quelle unbekannt)

 

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