Hirnrissig

„Ach so, ja... stimmt!“
„Ah, genau, das hatte ich vergessen.“
„Wie war das nochmal gleich?“
„Was wollte ich sagen?“


Ältere Semester werden jetzt wissend nicken und vielleicht ein wenig seufzen.
Ja, mit der Zeit werden die Synapsen etwas träge, und dann vergisst man dies und das, sieht der Aufmerksamkeitsspanne beim fröhlichen Schrumpfen zu und verknotet sich das Gehirn beim Versuch, sich Dinge zu merken.

...


… Kenn' ich.
Nein, in meinem Fall liegt es nicht am Alter, sondern am:
Chemohirn.


Ich bin nun nicht gerade die, die wissenschaftlich fundierte Erklärungen dafür liefern kann, was das
genau ist, zumal die genauen Ursachen dafür nicht restlos geklärt sind.


Dennoch:
Zu tun hat ein „Chemogehirn“ mit der subjektiven Wahrnehmung, geistig nicht mehr in gleichem
Maße zu „funktionieren“ wie früher – sprich: vor der Krebserkrankung.
Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie Probleme bei der Wortfindung können mal mehr,
mal weniger stark ausgeprägt sein. Dies betrifft den Zeitraum während der medikamentösen
Chemotherapie (daher ja auch der Name) und danach. Die besagten Symptome können bis zu
einem Jahr anhalten, sich aber auch noch Jahre nach der Therapie bemerkbar machen.


Ich glaube, dass ich noch „Ausläufer“ dieses Syndroms verspüre.


Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass ich auch kein junger Hüpfer mehr bin. :-)
Logischerweise ist meine Schaltzentrale im Oberstübchen nicht mehr so fresh und unverbraucht wie
eine unbeschriebene Festplatte. (Bei mir häufen sich eher die Abstürze...)


In vielen Fällen verschiedener Ereignisse – eine Krebserkrankung dient hier verständlicherweise als
Beispiel – kristallisieren sich etwaige Folgeerscheinungen erst später heraus.
Dazu gehört beispielsweise das Fatigue-Syndrom, das Erschöpfungszustände und verminderte
Leistungsfähigkeit verursachen kann und unter dem viele Krebspatienten während und (auch noch
lange) nach der Erkrankung leiden können.
Ich schätze mich glücklich, dass ich davon nicht betroffen war (wenn man mal von „normaler“
Erschöpfung in der Therapiezeit (Chemo und Bestrahlung) absieht.


Das „Chemobrain“ dagegen ist etwas weniger Greifbares und auch nicht so Bekanntes. Wenn man
längere Zeit nach einer Zytostatika-Therapie immer noch mit oben beschriebenen Beschwerden
(und um nichts anderes handelt es sich) zu tun hat, lässt sich schwer belegen, dass es sich um
Nachwirkungen der Krebsbehandlung handelt.


Beispiele:


Mein Haarwuchs ist nicht mehr derselbe wie früher. Ich habe leichte „Geheimratsecken“ und nicht
mehr so dichte Augenbrauen. (Daran können Chemo, Antihormontherapie oder Alter „schuld“
sein.)
Mein Darm ist empfindlicher. (Sehr wahrscheinlich ist das auf die in dieser Richtung heftig
nebenwirkende Chemotherapie zurückzuführen – andererseits war der Darm schon früher nie mein
stabilstes Organ.)
Meine Knie- und Fußgelenke schmerzen und stechen oft scheinbar ohne Grund. (Mit
Gelenkschmerzen hatte ich während der Therapie massiv zu tun, aber es könnte auch an
Bewegungsmangel oder am Alter liegen. Arthrose habe ich nachgewiesenermaßen nicht.)


Wenn es um die Gehirnleistung geht, wird die Unterscheidung und „Verdachtsstellung“ schon
komplizierter.
Was ist schon Vergesslichkeit, was ist einfach nur Stress, was ist Schusseligkeit, was ist zuviel
Multitasking im Oberstübchen... was ist einfach nur das Alter?
Ich sage es mir ja auch selber oft: Immerhin bin ich von der Fünfzig nicht mehr allzu weit entfernt.
Ich kann also gar kein Maturanten-Gehirn mehr haben. ;-)


Ich weiß, dass ich immer noch imstande bin, „Höchstleistungen“ zu vollbringen, wenn es darauf
ankommt.
In der langwierigen mehrjährigen Berufsfindung nach der Erkrankung habe ich gelernt zu fräsen, zu
drehen, eine CNC-Maschine zu bedienen, zu schweißen und technische Zeichnungen anzufertigen.
Weiters habe ich wissenschaftliche Arbeiten erstellt, programmiert, Webseiten erstellt und unter anderem Elektrotechnik und Betriebswirtschaftslehre in Theorie und Praxis kennengelernt, mich mit höherer Mathematik auseinandergesetzt und verschiedene Prüfungen abgelegt. Seit bald eineinhalb Jahren sind Audiometrie, Hörgerätetechnik und -anpassung, dementsprechende Physik, Mathematik und (wieder) Elektrotechnik wesentliche Themen in meinem Leben, um nur ein paar Beispiele zu
nennen.


Normalerweise hat man in einem ganzen Leben nicht mit so vielen verschiedenen, teils sehr
fordernden Dingen zu tun. - Ich habe sie alle in acht Jahren gemacht. Ich habe nicht alles
fertiggemacht, aber ich habe es gemacht, und ich habe mich immer wieder auf neue Situationen
und Herausforderungen einzustellen gelernt.
Eigentlich eine ganz schöne Leistung, wenn man es so betrachtet – vor allem für jemanden, der
(zumindest für damalige Verhältnisse) eine der stärksten Chemos überhaupt erhalten hat.
Ja, ich darf mich auch mal selbst loben … kommt eh zu selten vor. ;-)


Was ich jedoch auch feststelle, ist:
Ich tu' mir beim Merken schwerer. Meine Gedächtnisleistung hat definitiv gelitten.


Wenn mir mein Ausbilder (von mir ja liebevoll „Lord Commander“ genannt) eine Anweisung gibt,
habe ich mindestens die Hälfte schon wieder vergessen, bevor ich überhaupt aus seiner Tür draußen
bin.
Wenn ich Arbeitsvorgänge im Kopf behalten will, muss ich sie öfter durchführen, und die Abstände
dazwischen dürfen nicht zu lang sein.
Wenn es zuviele To-do-Schritte hintereinander sind, laufe ich schneller als früher Gefahr, etwas
durcheinanderzubringen und/oder zu vergessen.
Wenn es sich um logische Abfolgen bestimmter Dinge geht, setzt die Logik bei mir streckenweise
aus.
Theoriestoff zu pauken und im Gedächtnis zu behalten, ist für mich eine Challenge. Insofern ist die
bestandene Zwischenprüfung letzten Juni ein wichtiger Erfolg.


Ja, wird man wieder sagen und abwinken. Wieviel davon wird wohl am Alter liegen?
Sicher, sage ich – ausschließen kann man es nicht.


Aber ich bin dennoch überzeugt:
… diese Gedächtnis-“Umnebelung“, vor allem in Sachen Kurzzeit …
… diese Schwierigkeiten, Bausteinchen zu einem (für andere) logischen Gesamtbild
zusammenzufügen ...
… dieser Eindruck, dass mir Worte und Gedanken wie Pfeile ins Gehirn fahren und wie lose
„Fetzen“ selbiges in Sekundenschnelle wieder verlassen ...
... dieses Gefühl, mich eben noch mehr anstrengen zu müssen als andere …


… das alles (und mehr) ist ein „Abschiedsgeschenk“ von Taxotere, Epirubicin, 5-FU und Herceptin.
Das kenne ich so nicht, kannte ich so nicht und hatte ich auch noch nicht, bevor ich mich mit 39
Jahren (meinem „Chemo-Alter“) nicht auf „das Alter“ hinausreden konnte.


Auch das sind also kleine „Narben“, wenn man soll will – nicht so sichtbar wie meine großen
Narben, aber manchmal belastender als diese.


Aber unterm Strich: Will ich mich wirklich beklagen?
Man nimmt doch vieles in Kauf, wenn man dafür leben darf. Es ist nicht jedem vergönnt.
Umso mehr bin ich dankbar, noch da zu sein und mich mit all diesen „löchrigen“ Dingen überhaupt
auseinandersetzen zu dürfen.


Wenn es meinen Zwecken dient, kann ich mich ja weiter als ältliche Schachtel verkaufen. ;-)


BLITZLICHT - der wöchentliche Kommentar vom Beratungsteam der Krebshilfe OÖ

 

Text: Mag. Bettina Plöckinger (Psychoonkologin, Gesundheits- und klinische Psychologin)

 

"Ist das normal?"

"Ich glaube, ich werde jetzt auch noch vergesslich."

"Ich kann mir nichts merken und kann mich so schlecht konzentrieren."

"Früher hab ich Bücher fast verschlungen ... das geht jetzt gar nicht mehr!"

 

Von solchen und ähnlichen Zuständen berichten viele KrebspatientInnen, die sich gerade während oder nach einer Krebsbehandlung befinden. Sie sind oft verunsichert und verzweifelt, denn die geschilderten Probleme können Betroffene im Privat- und Berufsleben beeinträchtigen.

 

"Chemobrain" - Was ist das und wo kommt es her?

 

"'Chemobrain' bezeichnet eine von Krebspatienten nach einer Chemotherapie empfundene kognitive Beeinträchtigung." (Quelle: Wikipedia)

 

Nach heutigem Wissensstand geht man davon aus, dass die Ursachen des Chemobrains multifaktoriell sind.

Es wird vermutet, dass durch die ganzheitlich wirkende Chemotherapie vorübergehend auch im Gehirn eine verminderte Zellbildung stattfindet. Dadurch sind jene Gehirnzellen betroffen, die diese kognitiven Einschränkungen der Gedächtnis-, Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsfähigkeit verursachen.

Aber, auch KrebspatientInnen ohne Chemotherapiebehandlung können unter diesen Symptome leiden, denn zu weiteren physischen Faktoren zählen: die Krebserkrankung selbst, eine Verminderung der roten Blutkörperchen, hormonelle Veränderungen, Schmerzen und Nebenwirkungen von Medikamenten, Schlafstörungen oder Fatigue.

 

Weniger bekannt, jedoch wissenschaftlich belegt, ist auch der Einflussfaktor der psychischen Belastung von PatientInnen durch die Krebserkrankung und die Therapien. Gemeint ist das Stresserleben durch Sorgen, Depressionen und Ängste ... die so häufig erlebte emotionale Achterbahnfahrt kann also ebenfalls mitverantwortlich oder Auslöser sein.

 

Was kann helfen?

 

In der Beratung zu hören, dass auch andere PatientInnen davon betroffen sind und dies in der Regel ein vorübergehendes Phänomen ist, nimmt oft schon etwas Druck und ermöglicht die aktuellen Umstände so zu akzeptieren, wie sie derzeit sind.

 

Gleichzeitig ist es immer hilfreich auch lösungsorientiert zu bleiben und hilfreiche praktische Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

 

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Nutzen Sie entlastende Erinnerungshilfe wie Kalender oder Notizzettel und notieren Sie alles          Wichtige als Gedächtnisstütze

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Feste Tagesroutinen geben Orientierung und Struktur

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Planen Sie Ihre Termine und teilen Sie sich ihre Aufgaben und Pausen gut ein - ein gutes Zeitmanagement verhindert Stresssituationen

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Halten Sie sich geistig fit durch Gehirntraining verschiedenster Art - je nach persönlichen Vorlieben und Interessen (Gedächtnisübungen, Konzentrationsspiele, von Sudoku bis Kreuzworträtsel, Erlernen einer Sprache/eines Musikinstrumentes u.v.a.m)

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Werden Sie aktiv - auch die Teilnahme an gesellschaftlichen und intellektuell anregenden Aktivitäten kann helfen, sich mental fit zu halten

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Finden Sie emotionale Entlastung durch Austausch im familiären Umfeld, Freundeskreis oder mit anderen Betroffenen, z.B. bei Selbsthilfegruppen

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Reden Sie darüber. Nutzen Sie das psychoonkologische Beratungsangebot der Krebshilfe zur Aufarbeitung belastender Erlebnisse und Erfahrungen der Erkrankung und Behandlung

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Generell wird Menschen mit Konzentrations- oder Gedächtnisproblemen ein gesunder Lebensstil empfohlen. Dazu zählen regelmäßige sportliche Betätigung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und Erholung, sowie der Verzicht auf Alkohol und Nikotin.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    sabine (Dienstag, 19 Oktober 2021 06:49)

    ...dann muss es bei mir das Alter sein....hmmmmm

    Selber loben, ja, das hat was!

    Liebe Marlies, Hut ab! Liebe Grüße :-)