Der Sommer-Yeti vom Hennesteck

Von niederösterreichischen Sagen und Märchen - und der Wahrheit dahinter

 

Urlaub!

Zack-zack, ab in den Erholungsmodus nach wochen- oder sogar monatelanger Plackerei in der Ausbildung.

Knopfdruck!

Entspannen!

 

- - -

Es begab sich, dass das kraftstrotzende Mädel Marlies den Hennesteck bestieg (ohne ins Schwitzen zu geraten).

Der Himmel war blau, die Luft so klar. Oben angekommen pumpte das Mädel Luft in ihren gebräunten Luxuskörper und nahm auch noch den Gipfel in Angriff.

Andere Wanderer starrten die stramm nach oben steigende Heldin der Sage neidisch an, und als diese - oben angekommen - triumphierend die Faust in den Himmel reckte, weinte Gott ein paar Freudetränen.

Marlies strich mit allen zehn Fingern durch ihre Föhnfrisur, sprach "Heissa!" und stärkte sich mit einem gesunden Avocado-Trauben-Blattsalat, den sie frisch und kühl aus ihrem Rucksack zog.

Mit untergeschlagenen (natürlich ebenfalls gebräunten) Beinen saß sie im geübten Lotussitz auf einem schattigen Platz, ungestört von feindlichen Insekten.

Tief atmete Marlies die Luft in ihren brettharten Sixpack-Bauch, erfreute sich an der Erholung und Entspannung, die sie jäh und erwartungsgemäß ereilte, und sie sah, dass es gut war.

Gott hielt seine schützende Hand über sein perfektes Schäfchen.

Der Himmel sang.

In ihm hingen Geigen und Eislutscher.

- - -

 

Also...

... so hätte es sein können.

Doch wir sind hier ja nicht in einem Bastei-Groschenroman, und die Heldinnen-Geschichten, die mich betreffen, wurden bereits anderweitig geschrieben und gestalten sich nicht so - nun ja - berechenbar.

 

Mit dem Urlaub - das stimmt.

Dass ich nach Niederösterreich fuhr - das auch.

Die Wahrheit ist aber auch, dass ich an den ersten beiden freien Tagen wie ein angeschossenes Reh auf der Matratze lag und die 197 Aktivitäten, die ich mir vorgenommen hatte, unmöglich ausüben konnte.

Das war nämlich nix mit "kraftstrotzend" - die anstrengenden Monate des Arbeitens und Lernens forderten ihren Tribut.

(Eine Runde Mitleid, bitte.)

 

Ich ärgerte mich ein bisschen - hatte ich mir das doch anders vorgestellt.

Als ich mich dann doch mal zum Einkaufen aufraffte und ratlos vor den übervollen Regalen eines Drogeriemarktes stand, wurde mir noch etwas klar:

Ich weiß nicht mehr so richtig, wie ich mir etwas Gutes tue.

All die Fläschchen und Tuben mit Wohlfühl-Cremchen und Genuss-und-Freude-Duschgels (ich liebe Duschgels! Ich habe 13 angebrochene Flaschen daheim... mindestens!) - ich ließ sie unverrichteter Dinge stehen.

Das Genießen wurde auf später verschoben.

 

Auf den Tag danach zum Beispiel, denn da wollte ich mir endlich selbst in den Hintern treten und den Lilienfelder Muckenkogel mit seiner atemberaubenden Aussicht besteigen. Nein... nicht besteigen. Besuchen. Mit dem Sessellift.

Doch leider erwartete mich ein stehender Nicht-Betrieb mit heruntergelassenen Kassahäuschen-Rollläden. Zwei Tage geschlossen "wegen Stromabschaltung" (was ist das für ein Grund?).

 

Aber so schnell gab ich nicht auf!

Da war immer noch ein Funken Helden-Mädel in mir!

Ich fuhr unbeirrt weiter, an Türnitz vorbei, nahm die 6 Kehren vor Annaberg und parkte wenig später vor dem örtlichen Sessellift-Betrieb.

Hier begann die Challenge.

Die Schilder, die den Sessellift-Weg auf den Hennesteck säumten, erzählten mir von "Ruhe und Entspannung in 16 Minuten".

Aber die Wahrheit war, dass ich mich mit spastisch-verkrampften Fingern am Haltegriff festklammerte, während ich der Bergstation nicht gerade entgegeneilte.

Ich vermied es zwar, direkt hinunterzusehen, doch versuchte mein Hirn es dennoch mit Selbstberuhigung, indem es mir zu verklickern versuchte, dass ein Aufprall-nach-einem-Absturz von dieser und dieser Stelle nicht ganz so dramatisch enden würde... vielleicht.

Mein Mut schwankte also etwas - und mein Sitz auch jedesmal, wenn ich wieder über eine Rollenbatterie rumpelte.

 

Aber auch die längsten 16 Minuten gehen irgendwann vorbei, und dann war ich auch schon oben, mit meinem knallroten EM-T-Shirt und der schwarzen Baseball-Cap, und die Natur schrie mich an:

Genieß mich!

Halte inne!

Erhol dich (verdammt)!

 

Ich wollte mir gleich ein schattiges Plätzchen suchen, um - nein, nicht im Lotussitz - endlich mein Wurstsemmel-Frühstück zu essen und die Aussicht zu bewundern.

Doch bevor ich mich auf den Weg machte, cremte ich mich als brave ehemalige Hautkrebs-Patientin pflichtbewusst mit meiner LSF 50+ Sonnencreme ein... und dann stakste ich herum und suchte nach DEM ultimativ-genialen Platz...

... den ich nicht fand.

Alles in der Sonne, zu nah am Wanderweg, da drüben waren Kühe, und überhaupt war es hier zu abschüssig, und dort standen andere Wanderer und quasselten.

Also weitergehen und weitersuchen.

Also schön war das schon - da gab es nix zu meckern.

Der kristallklare Speichersee schmiegte sich in die Landschaft und das Ötscher-Panorama hatte auch einiges zu bieten.

Ich nahm das durchaus wahr, als ich mit meinen leider nicht so ganz optimalen Wanderschuhen durch die Gegend stolperte. Der Magen knurrte immer durchdringender und die Temperaturen kratzten auch auf über 1300 m Höhe an der 30 Grad-Marke (kam mir jedenfalls so vor).

 

Aber da wartete noch das Gipfelkreuz (vom Hennesteck - nicht vom Ötscher), ein Stück vom Speichersee entfernt, und die Hinweisschilder versprachen, es werde auch nicht lange dauern.

Ich erklomm mit meinem übergewichtigen untrainierten Körper also den steilen Anstieg.

Jedenfalls bis zur Hälfte.
Jedenfalls bis mich ein wenig Übelkeit zum Stehenbleiben zwang.

Tja, das war keine glorreiche Idee gewesen, du Super-Heldinnen-Mädel - in der Hitze, vermutlich dehydriert und mit leerem Magen.

Ich ließ entgegenkommende Wanderer an mir vorbeiziehen und schlich geschlagen wieder nach unten.

 

So!

Der Himmel ist blau!

Die Berge sind wow!

Es ist echt voll schön!

Aber ich habe trotzdem - HUNGER!

 

Die Suche nach dem perfekten Plätzchen gestaltete sich mühsam und trieb mich weiter umher, bis ich irgendwann beschloss, dass es auch ein nicht-ganz-so-perfekter-Platz (nämlich neben der Forststraße, aber immerhin mit halber Tal-Aussicht) tun würde, denn meine Magenschleimhaut wollte endlich beschäftigt werden.

 

Mir war heiß.

 

Ich verschickte ein paar "Seht her, was ich Tolles mache"-Whatsapp-Nachrichten und verschlang meine beiden nicht sehr vitaminhältigen und wenig nahrhaften Wurstsemmeln.

Dabei starrte ich ins Tal hinunter (ja, echt! Total schön!) und ließ mich von Insekten (die des Genießens, scheint's, mehr fähig waren als ich) beglücken.

 

Danach machte ich mich an den Abstieg. Auf der Forststraße... was sich erwartungsgemäß eher langweilig gestaltete.

Es dauerte, also holte ich noch etwas zu knabbern aus dem Rucksack - natürlich nur, damit dieser leichter wurde.

Auf halber Strecke kam mir eine tschechische oder slowenische (wer weiß das schon so genau?) Familie entgegen und blockierte die gesamte Breite der Forststraße, so dass ich mich etwas missmutig am äußersten Rand vorbeischieben musste.

Ich hoffte, meine Star Wars-Keks-Packung würde die slowakischen Kinder neidisch machen, aber die waren so braun gebrannt und erholungswillig, dass sie mich, die Kekse und meinen One-Pack (den unterm EM-Leiberl) gar nicht beachteten.

 

Ich bin immerhin in nicht mal zwei Jahren im Club Fifty, also ist es durchaus legitim, wenn man nach einer gewissen Zeit des Bergab-Gehens die Knie spürt.

Als ich einen total grünen Hang querte, versuchte ich das aber zu ignorieren und atmete stattdessen die kristallklare Sommerluft in meine staubigen Akustiker-Lungen ein.

 

Da ertönte ein röhrender Schrei.

Gedämpft zwar, aber doch deutlich wahrzunehmen.

Ich sah mich um. Keine Chance den Ursprung herauszufinden. Ein männlicher Witzbold? Ein Hirsch? Ein Wildschwein? Ein Sommer-Yeti? (Die letztere Vorstellung gefiel mir.)

Vielleicht auch Chewbacca (hatte ich gerade erst als Keks in meiner Speiseröhre versenkt).

Was es auch gewesen war - es inspirierte mich...

Vielleicht war es aber auch nur der Ausblick auf den Sessellift des Grauens, der mich so erschreckte...

 

Wie auch immer - irgendwann war auch das schönste Genießen und Erholen zu Ende, und die zweifelhafte Heldin der Geschichte kam mit schmerzenden Fußsohlen und Knien, verschwitzt und nicht gerade nach Enzian duftend, wieder unten an.

 

 

JA - es braucht eine ordentliche Portion Kondition, die es wieder zu erringen gilt.

JA - es bräuchte bessere Vorbereitung auf solche Mega-Events, die man in entsprechendes Schuhwerk und besserer (und früherer) Verpflegung stecken könnte.

NEIN - das Krebs-Kärtchen lässt sich nicht ausspielen! Dazwischen liegen mehrere Jahre und ein weit besserer körperlicher (und mitunter auch seelischer) Zustand.

 

Seien wir uns ehrlich: Von nix kommt nix!

Es wird Zeit, den Sommer-Yeti in mir zu wecken und mir selbst in mannigfaltiger Hinsicht wieder in den breiten Hintern zu treten.

Vielleicht klappt es dann auch wieder mit Gott und den Freudentränen, und der Bauch stört beim Lotussitz nicht (mehr).

 

Erschöpft und zufrieden (nein, zufrieden eigentlich nicht) hievte ich mich in der Talstation wieder ins Auto und ließ erst mal alle Fenster herunter, während mich die Pet Shop Boys wieder in Richtung Heimat synthie-ballerten.

Unterwegs erst mal ein Red Bull besorgen, um wieder zu Kräften zu kommen.

 

Und dann... beschlich mich doch ein wenig das gar nicht mal so unangenehme Gefühl von "Aber immerhin wolltest du es".

 

Manchmal muss man sich für den Augenblick mit dem begnügen, was möglich ist.

Wenn es nur für ein wenig Ziellosigkeit und eine halbe Strecke nach oben reicht - dann ist's halt so.

Wenn es nicht der perfekte Platz ist, den man nach einer ewig langen Suche findet, sondern nur ein Geht-so-Platz, dann muss der erst mal reichen.

Wenn Avocado-Schießmichtot-Blattsalat und gebräunte Sixpack-Lotussitze nicht verfügbar sind und die göttlichen Freudetränen zu einem anderen Zeitpunkt und an einem andern Ort geweint werden wollen - so what?

Idealzustand - gibt es nicht.

Perfektion - auch nicht.

Etwas planen und genauso kriegen - passiert nicht so oft.

 

Neil Tennant's eindringliche Stimme erklärte mir aus den Tiefen des Autoradios:

 

You know, there's a lot of opportunities
If there aren't you can make them
Make or break them

 

Na denn, dachte ich, und schlürfte den letzten Rest der koffeinhältigen Zuckerplörre aus der umweltfeindlichen Aluminium-Dose.

Heute halt eher so halb ge-breakt.

Aber morgen -

- morgen make ich's.

 

Das Genießen, und den Rest auch.

Sonst holt mich der Sommer-Yeti!

GROOOOOARRRR!

 

yeti Emoji for Slack

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Herbert, Dein Onkel :-) (Mittwoch, 07 Juli 2021 07:17)

    Woooow, dass ich das noch erleben durfte:
    Erste Sahne und Gratulation :-)

    PS: So ähnlich habe ich die Tour, nämlich ohne Liftfahren, mit Deinem Papa vor vieeeelen Jahren gemacht.
    Er kann sich vielleicht nicht mehr erinnern, aber es stimmt :-)

  • #2

    Sabine, deine ähmmmm .... Onkels Tochter � (Donnerstag, 08 Juli 2021 14:04)

    Liebe Marlies, du schreibst supertollwitzigspannendausdemlebengegriffenpipifeinergreifendnatürlich........Bergfexin Sabine winkt ���