Kampfspuren

Vor ein paar Tagen überkam es mich.

Weil das Thema Pride Month und Homophobie gerade - nicht zuletzt durch fragwürdige Gesetzgebungen in anderen Ländern und die teils regenbogeneingefärbte Fußball-EM - im Glanz der Aufmerksamkeit steht, und natürlich auch, weil ich mich als Teil der LGBTQ-Community sehe.

Auf Facebook schrieb ich eine Art Essay über die zunehmend grassierenden homophoben Strömungen und meine Gedanken dazu. So weit, so gewöhnlich. Als Begleitbild wählte ich ein Reuters-Bild einer brennenden Regenbogen-Fahne mit Händen, die sie hielten.

 

Ich veröffentlichte und erhielt Zuspruch aus meiner Freundesliste, aber es dauerte nicht allzu lang, da schickte mir Facebook eine Meldung. Mein Beitrag sei gesperrt worden, weil er "gegen die Gemeinschaftsstandards" verstoße. Grund: Hassrede.

Aha.

Man muss dazu wissen, dass die Auslegung der sogenannten "Gemeinschaftsstandards" eine sehr undurchsichtige ist und noch dazu stark US-amerikanisch gefärbt (was kein Wunder ist, da Facebook ein US-Unternehmen ist).

Das bedeutet, dass man mit Gewalt- und teilweise Rassismus-Darstellungen eher locker umzugehen pflegt, aber sobald irgendwo eine blanke Brustwarze zu sehen ist, saust der Zensurhammer nieder. Sogar, wenn Letztere fehlen... Dazu nachher gleich mehr.

 

In meinem Fall ging es jedoch um die Untermalung meines Beitrags mit einem Foto, das Homophobie ganz gut abbildet. Natürlich hat sich niemand die Mühe gemacht, meinen Text dazu in Zusammenhang zu bringen. Stattdessen wurde mir selbst homophobes Gedankengut unterstellt ("Hassrede"), weil der Facebook-Filter das böse Foto rausgefischt hat. In letzter Zeit kam der Konzern ja zunehmend unter Druck wegen der eben beschriebenen zu lockeren Auslegungen und so schraubte man offensichtlich nach.

 

Da es die Möglichkeit gab, legte ich mein Veto ein, und siehe da - keine zwanzig Minuten später kam eine Entschuldigung von Facebook. Man habe sich "geirrt" und mein Beitrag sei nun wieder zu sehen.

Na geht doch!

 

Ich fühlte mich daran erinnert, wie ich während meiner Krankheitszeit im Internet über eine Seite gestolpert war, die sofort meine Aufmerksamkeit erregte: The SCAR Project.

Fotografen lichten (meist junge) Brustkrebs-Überlebende auf ästhetische Weise ab, um ein ganz besonderes Tabu rund um diese Erkrankung zu brechen: jenes der (Mastektomie-)Narben.

Meist hört und liest man über die - wesentlich häufigeren - Fälle, bei denen brusterhaltend operiert werden kann. Mal sieht man dazugehörige Narben mehr, mal weniger.

In "The SCAR Project" zeigen sich voll mastektomierte Frauen genauso wie ehemals Erkrankte mit erhaltener oder wiederaufgebauter Brust.

Es geht nicht um Voyeurismus und gar nicht mal primär um Brustkrebs - die Initiator*innen des Projekts betonen, dass es ihnen um eine wesentlich tiefere Message geht: die der Menschlichkeit - und darum, die Narben zu beleuchten, die "uns alle einen".

 

Ich fühle mich - obwohl einen Ozean entfernt - wie ein Teil davon... wie durch ein unsichtbares Band verbunden.

Meine Narben waren seit jeher ein Teil von mir. Niemals habe ich mit ihnen gehadert.

Ich weiß, dass das ein großes Geschenk ist, denn mir ist auch bewusst, dass viele, viele Frauen an den sichtbaren Folgen ihrer Erkrankung leiden.

Aus den bereits mehrmals erwähnten Gründen waren meine Narben nie etwas, das meiner Weiblichkeit in die Quere kam und in dieser Hinsicht von Grund auf einiges änderte.

Für mich sind meine Narben stattdessen Kampfspuren, die ich zwar nicht mit Stolz, aber doch mit Gelassenheit trage. Sie zeugen von dem, was einmal war und was daraus hervorgegangen ist:

ICH. Stärker.

Ja, ich weiß: Manche lesen das nicht gerne - Krebs = "Kampf". So martialisch will sich nicht jede*r mit dem Thema auseinandersetzen. Trotz aller begleitender Positivität waren Blümchen und Wattebausch und Freunderlwirtschaft mit dem Tumor aber nicht meins. Da habe ich dann doch lieber das Schwert gezogen. Mit einem Grinsen... aber eben doch das Schwert gezogen.

Ich habe es ja vermutlich auch mal erwähnt: Etwa in der Mitte der Chemo habe ich mal Zwiesprache mit "meinem" Karzinom gehalten und ihm freundlich aber bestimmt geraten, sich zu verpissen.

Geschah nicht ohne Träne im Knopfloch (denn Wonder Woman bin ich auch nicht gewesen... ich mach euch hier nix vor), aber doch konsequent.

 

Ein paar Fotos von "The SCAR Project" habe ich damals auf Facebook geteilt.

Ich weiß nicht mehr, ob Facebook die entfernt hat, denn gegen Narben haben sie auch etwas. Kann man der Gesellschaft offenbar nicht zumuten. [ Ein Hitler-Meme, das "Alle vergasen!" fordert, dagegen anscheinend schon. ]

Was ich allerdings noch weiß ist, dass die Facebook-Seite des Projekts selbst große Probleme hatte, weil immer wieder eine Totalsperre erfolgte. Auch wenn man nicht nur Brüste und Narben zeigte, sondern auch Kerle und Narben, denn erkrankte Männer, Kriegsveteranen etc. waren und sind ebenfalls Teil dieses großartigen Projekts.

 

Wie gerne wäre ich selbst Teil davon gewesen!

Ich ließ es mal darauf ankommen und teilte eine per Filter veränderte, etwas verwaschene Aufnahme von meinem Oberkörper... öffentlich auf Facebook. Mit meinen Armen, die meinen Körper bedeckten, aber auch meine Narben, die freilagen.

Das war mein Statement, mein Revoluzzertum, mein Protest gegen Facebook... das war meine Faust, mein Mittelfinger, meine rausgestreckte Zunge.

Los, sperrt mich doch! Aber vorher ... seht hin! Das gibt es - ob es euch passt oder nicht!

 

Facebook hat mich nicht gesperrt. Das Foto ist heute noch da.

Fast war ich enttäuscht.

Dafür wäre ich gerne zum Zensur-Märtyrer geworden. ;-)

 

The SCAR Project

davidjayphotography - Facebook

 

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