HERZliche Grüße

Kardiotoxisch.

Kardiotoxisch.

Ein Wort, dessen erste Buchstaben melodisch-weich über Lippen und Zunge hüpfen, bevor die zweite Hälfte hart und zischend in den schönen Klang hineingrätscht.

 

Toxisch.

 

Negativ konnotiert, und wie sollte es auch anders sein? Etwas, das kardiotoxisch wirkt, hat einen direkten Einfluss auf unseren wichtigsten Lebensmotor: das Herz.

 

Durch eine unglückliche Verknüpfung pubertär-lebensschmerzlicher Umstände sowie einer etwas unglücklich verlaufenden Erfahrung mit einer eigentlich seeeehr milden Droge glaubte ich im Alter von 17 Jahren, von jetzt auf gleich den Herztod zu erleiden.

Das ist natürlich nicht passiert, sonst würde ich jetzt kaum davon berichten, aber die Beklemmungs- und Schmerzzustände im Brustkorb fühlten sich einige Zeit lang sehr real an.

... Bis ich mich eines Nachts in der Notaufnahme des Krankenhauses wiederfand. Mit Schmerzen, so intensiv, dass ich mir am liebsten mit bloßen Händen das Fleisch vom Brustbein gekratzt hätte.

Der EKG-Befund zeigte - ihr erratet es - nicht das Geringste.

 

Für längere Zeit hatten die Gepflogenheiten und Launen meines Herzens eine Art Macht über mich. Neben Panikattacken, die mich regelmäßig heimsuchten als es noch gar kein Wort dafür gab (außer "Angstneurose"... was wenig erbaulich klingt), hatte ich pure Angst davor, dass mein Herz wahlweise davonjagt oder einfach stehenbleibt. Mein Pulsschlag war mir ein Mysterium und etwas, das ich vergeblich zu kontrollieren versuchte.

 

Das blieb nicht so.

Ich wurde älter, ich wurde reifer, ich wurde therapie-erfahren... und bald schluckte ich nicht mehr alles hinunter, was mit ein Grund für Herzangst und Panikattacken gewesen sein dürfte.

 

Jahre später entdeckte ich - es blieb leider nur eine Phase - den Laufsport für mich, und als ich bei meiner ersten 5 km-Laufveranstaltung als Vorletzte und mit Puls 199 glückselig über die Ziellinie japste, dachte ich keine Sekunde an Herzinfarkte und plötzliche Kardiokatastrophen.

Das Ding war gegessen.

 

Selbst als mich - Jahre später - meine künftige Onkologin darüber aufklärte, dass mein Chemotherapeutikum und die Begleittherapie unter Umständen eine kardiotoxische Wirkung haben könnten, hätte ich keinen Moment darüber nachgedacht, darauf zu verzichten.

Sollten die Zytostatika auch meine Herzzellen schädigen, würde man etwas dagegen tun können - Punkt. Es würde wahrscheinlich reversibel sein - mit Betonung auf "wahrscheinlich".

Wenn überhaupt.

 

Nein, mein Fokus war mir wichtiger. Wenn ein paar Herzzellen hops gingen, was machte das schon? Viel wichtiger war doch, dass nebenbei auch noch eine Horde von dreckigen Krebszellen über den Jordan wandern würden! DAS hatte ich im Kopf.

 

Für alles andere gab es in den Folgemonaten regelmäßige Herzchecks.

Natürlich vergaß ich die "Eventualitäten" nicht, und wenn ich mir mehr und mehr damit schwer tat, die 3 Stockwerke bis zur Wohnung (Lift nicht vorhanden) zu erschnaufen, dann wusste ich, dass zumindest die Möglichkeit bestand, dass es nicht nur an der allgemeinem Chemo-Erschöpfung liegen mochte.

 

Als ich im Krankenhaus den Zettel meines Routine-Ruhe-EKGs zur Kardiologin brachte, hielt ich ihn ihr unter die Nase und sagte: "Jetzt ist es soweit. Welche Medikamente krieg' ich?"

Sie stutzte, sah sich das EKG mit der Begleitzeile "Abnormales EKG" an und klärte mich dann darüber auf, dass die Maschine das automatisch so ausspucken würde, sobald sich ein nervöses Bündel mit rasendem Herzen unter die Elektroden legt.

"Das heißt, mein Herz ist nicht geschädigt?"

Sie schüttelte den Kopf, und ich war erleichtert.

Nicht, weil die Herzneurotikerin in mir ein Revival erlebte, sondern weil mich ein angeschlagenes Herz daran gehindert hätte, mir weiter hemmungslos, ungefiltert und volle Breitseite den Chemo-"Wonnen" hinzugeben.

Aber so: freie Bahn und keine Verzögerung.

[Ich darf abschließend erwähnen, dass mein Herz tapfer und schadlos alles hervorragend überstanden hat.]

 

Es ist und bleibt dennoch immer ein sensibles Organ, und das nicht nur, weil es einfach das wichtigste ist.

In meinem Kopf und in meiner Erinnerung nimmt es weiterhin einen ... nun ja, von Respekt begleiteten Stellenwert ein.

Das kommt nicht von ungefähr - nicht nur wegen mir.

 

Solche Episoden wie mit dem dänischen Fußballstar, der während eines EM-Spiels einen Herzstillstand erlitten hat, erinnern mich daran.

Vor ihm gab es schon andere Fußballstars und Sportler generell, denen dies passierte - nicht immer mit gutem Ausgang.

 

Es gab da auch das eine Familienmitglied, das vor vielen Jahren plötzlich umgefallen ist und leider nicht mehr erwachte.

Es gibt noch weitere Familienmitglieder mit einer "Herzgeschichte", und auch jetzt betrifft es jemand sehr Nahestehenden.

Das macht Angst und erinnert dann doch wieder daran, wie abhängig wir von der reibungslosen Funktionsfähigkeit sind. Genau genommen ist sie ALLES. OHNE existiert NICHTS.

 

Das weiß man auch ohne Chemo, und da wie dort versucht man zu vertrauen, dass alles gut ist oder zumindest wieder wird. Denn wenn "etwas" ist, gibt es immer jemanden, der da ist und hilft und weiß, was zu tun ist.

Egal, ob es sich um eine engagierte, vertrauenswürdige Kardiologin handelt.

Oder eine tatkräftige, motivierende Onkologin.

Oder jede einzelne Ärztin und jeden einzelnen Arzt, der etwas für uns privilegierte Patient*innen tut, zu jeder Zeit und ohne Wenn und Aber.

Die kompetenten Rettungssanitäter auf dem Fußballfeld in Dänemark gehören dazu.

Die Internistin, die mir vor vielen Jahren ein starkes Beruhigungsmittel gab, um meine Akutbeschwerden zu lindern (es half) und mir sagte, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt.

 

Egal, wie schlimm die Dinge manchmal aussehen mögen. Sehr oft sind sie das nicht tatsächlich, und wenn doch, dann nicht für immer.

 

Vertraut euren Herzen.

 

 

❤️

 

 

 

 

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