Nicht bestanden?

"Ich hab' noch kein Thema für den neuen Blog-Beitrag", sage ich zu meinem Ausbilder/Lehrherrn/Lord Commander.

Ich weiß, er liest spark! dann und wann... ganz heimlich und so. ;-)

"Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter", schlägt er vor und grinst - wie so oft - süffisant. Das sehe ich nicht wegen der Maske, aber ich kann's mir denken. Ich kenn' ihn ja mittlerweile.

Er kennt mich auch... daher weiß er genau, was mich beschäftigt.

Anspannung!

Nervosität!

(Zuviel) Respekt!

Und ja - auch Angst.

Vor meiner ersten wichtigen Zwischenprüfung in 2 Wochen.

 

"Das ist gut", sage ich zum Lord Commander. "Ich habe auch schon daran gedacht."

Das überrascht nun wirklich niemanden, am allerwenigsten ihn und mich.

Meine Ausbildung steht seit mittlerweile über einem Jahr in meinem zentralen Fokus, und während nach einigen nicht optimalen Berufsorientierungs-Abenteuern nun das "Letzte Chance"-Damoklesschwert über meinem Kopf baumelt (zumindest in meinen Gedanken), habe ich vermutlich weit weniger zu befürchten, als ich glaube.

 

"Du traust dir zuwenig zu", hat der Lord Commander erst kürzlich treffend festgestellt, und ich habe ihm nicht widersprochen.

Obwohl ich weiß, dass ich meinen Beruf gefunden habe - oder vielleicht gerade deswegen - hockt die Versagensangst-Spinne fett und hässlich in jeder Ecke jeden Zimmers.

 

"Ah, da mach' ich mir bei dir keine Sorgen."

Abgewunken hat er schon, der Lord Commander. Mehr als nur einmal, und das alles mit seiner ihm ureigenen Gelassenheit (die er mir bitteschön auch gern beibringen darf).

Auch diesmal blicke ich ihn zweifelnd an, nicke dann aber. Er hat ja recht. Wie immer.

Es ist so.

 

"Ich habe eigentlich schon ganz andere Dinge im Leben geschafft", sinniere ich laut.

"Na, das will ich meinen", bekomme ich lakonisch als Antwort.

 

Seltsam eigentlich, denke ich.

Möchte man aus meinen Krebserkrankungen eine Metapher zusammenpuzzeln, dann steht die "Prüfung des Lebens" klar und deutlich im Raum.

Genaugenommen wischt diese Erfahrung mit allen anderen bisherigen Tests/Prüfungen/Klausuren etc. den Boden auf.

 

Ich habe schließlich um mein Leben gekämpft... um meine Existenz und alles, was dazugehört.

Wobei das "Alles" gar nicht mehr so wichtig war und das bisher Erreichte und Errungene plötzlich in den hintersten Winkeln der Wurschtigkeit verschwand.

Wozu sich über Nichtigkeiten und Kleinigkeiten aufregen oder sie zu etwas ganz Wichtigem aufblasen, wenn es eigentlich darum geht, ob ich im kommenden Monat, Jahr, Jahrzehnt noch genauso einatme und ausatme?

Atmen = Leben

 

Ich stelle bei einigem Nachdenken fest, dass ich - als die Therapie-Maschinerie erst einmal losgestartet ist - vieles auf die leichtere, entspanntere Schulter nehmen konnte.

Vom Typ her bin ich eigentlich ganz anders. Mache mir zuviele Gedanken um zu vieles (teils Unnötiges).

Doch als ich krank war, hatte ich einen "Überlebensplan". Ich hatte Kraft, Entschlossenheit, ein Ziel vor Augen.

 

Das Ziel und die Entschlossenheit habe ich auch jetzt, doch die fette Spinne in der Zimmerecke glotzt mich an und grinst mir sabbernd auf den Kopf.

 

Warum ist das so?

 

Eigentlich liegt es auf der Hand.

Das damalige Mondgesichtchen-Glatzen-ICH dachte nur Schritt für Schritt und versuchte die Horrorszenarien so gut wie möglich auszublenden.

Während das jetzige Azubi-Moppel-ICH den Gedanken-und-Sorgen-Rubik's Cube-Zauberwürfel im Kopf in 37.840 Richtungen dreht.

Was ist, wenn es schief geht?

Was sagt das über mich aus?

Was denken die anderen dann über mich?

Werde ich dann die Hauptprüfung auch nicht schaffen?

Bin ich hier vielleicht überhaupt falsch?

 

Man stelle sich mal vor, das Glatzen-Ich hätte sich an ähnlichen Hirnwichsereien geweidet.

Was ist, wenn es schief geht?

Was ist, wenn das erst der Anfang ist?

Was ist, wenn ich elendiglich krepiere?

Was ist, wenn die Chemo nicht anschlägt?

Was ist, wenn ich morgen tot bin?

 

Ich will nicht verschweigen, dass ich manchmal auch - ein wenig - in diese Richtung abdriftete, aber für gewöhnlich bekam ich die Kurve schnell.

Ich möchte auch nicht leugnen, dass ich in Bezug auf Wiedererkrankungs-Ängste auch schon das eine oder andere Buch schreiben könnte.

 

Aber damals... DAMALS... war ich im Hier und Jetzt.

Maximal beim nächsten Tag, vielleicht noch der nächsten Woche.

Ich hangelte mich von Behandlung zu Behandlung und von Untersuchung zu Untersuchung.

 

Genauso wie ich mich auch jetzt von Wissenshäppchen zu Wissenshäppchen und von Handgriff zu Handgriff taste.

Ganz normal, wie es halt ist bei einer Ausbildung.

 

Der Unterschied ist die starke Fokussierung auf das, was sich gerade abspielt.

Nicht auf die Vergangenheit, denn die war eh vorbei.

Nicht auf die Zukunft, denn die war ungewiss.

Mit dieser Methode fuhr ich gut.

Mit dieser Methode fährt man generell gut - das ist kein Geheimnis.

 

Ich kenne mich und weiß, dass mein Zaudern und Zweifeln viel mit dem DRUCK zu tun hat, den ich einerseits tatsächlich erfahre und andererseits - und vor allem - mir selbst zumute.

Ich muss gut sein.

Ich muss perfekt sein.

Ich muss etwas beweisen.

Ich darf nicht scheitern.

Ich darf nicht fallen.

 

"Eigentlich ist es eh scheißegal", sage ich großspurig und sehe den Lord Commander mit festem Blick an.

"Es gibt Wichtigeres im Leben. Ich meine... es ist schon wichtig, die Prüfung zu bestehen, aber nicht das Wichtigste auf der Welt."

So. Jetzt hab' ich es gesagt. Zufrieden nicke ich mir mehr oder weniger selbst zu.

Der Lord Commander sagt nix dazu. Wie so oft. ;-)

Das macht nichts.

Ich bin eh schon damit beschäftigt, die fette Spinne in der Zimmerecke wieder anzustarren.

 

Würde ich jetzt nicht die Maske tragen - ich würde ihr glatt die Zunge rausstrecken.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Helmuth Schagerl (Dienstag, 08 Juni 2021 06:34)

    Marlies, du schaffst es!