"Ich will mich nicht kaputtmachen!"

... Das sagte der vorige Gesundheitsminister Rudi Anschober während der Pressekonferenz, in der er vor kurzem seinen Rücktritt bekanntgab.

Noch bedeutsamer als seine Worte war sein Blick in diesem Moment: offen, ehrlich, herausfordernd, fast ein wenig trotzig.

Mehrmals kämpfte Anschober mit den Tränen... und ich saß vor dem Fernseher und fühlte mit ihm mit. Obwohl ich natürlich niemals in der gleichen Situation war - "Rücktritte" hatte auch ich, und ich verstehe ALLES.

 

Politikerinnen und Politiker sind auch nur Menschen. Welch Überraschung! Egal welcher Parteicoleur sie angehören - viele von ihnen sind sehr öffentliche Personen geworden. Das bringen diese Ämter ja mit sich. Gelobt (selten) und kritisiert (oft) werden sie im Prinzip ständig, und seit das Leben durch Internet und soziale Netzwerke gläsern geworden ist, umso mehr.

Ich beneide keinen Politiker (ich lasse auch diesmal das Gendern wieder bleiben). Wie bei jedem Promi entgeht auch bei ihnen der Öffentlichkeit so gut wie nichts. Der eine schnippt seinen Kaugummi in die Wiese, die andere trägt einen unvorteilhaften Hosenrock. Egal, was es ist - wir erfahren es... und wir zerreißen uns die Mäuler über die seltsame Rhetorik dieser einen Nationalratsabgeordneten und über die Sneakers vom neuen Gesundheitsminister.

 

Politiker sind, wie gesagt, Menschen.

Menschen erkranken übrigens hin und wieder an Krebs.

Wie bei vielen anderen privaten Themen stürzen sich die Medien vor allem auch gern darauf.

Die Krankheit wird zum Allgemeingut, das jeder betatschen, bewerten und abkanzeln will. Hat der oder die Politiker geraucht, liegt es ganz bestimmt daran. Gleichzeitig wird darüber geschimpft, dass sich jene politische Person natürlich den besten Krebsspezialisten des Landes leisten kann, ganz bestimmt nicht wochenlang auf MRT-Termine und Behandlungen warten muss und wenn einmal halblaut "AU!" gerufen wird, steht der medizinische Experten auch um 3 Uhr früh bei Fuß. Natürlich!

"Die sieht ja gar nicht krank aus", beurteilt man, und die Privatsender-Kamera geht während der Pressekonferenz auf Nahaufnahme.

 

Die Berichterstattung in den Boulevard-Printmedien (und nicht nur dort) fällt eher kurz aus, weil eben nicht allzu viele Informationen verfügbar sind.

Drei Dinge scheinen dabei wichtig zu sein:

1. Um wen es sich handelt.

2. Möglichst die Krebsart benennen.

und 3. - DAS WICHTIGSTE:

Kann weitergearbeitet werden? Und falls nicht - wann kann weitergearbeitet werden?

 

Letzteres war vor einigen Jahren der Moment, als mir der Kragen platzte. Ich schrieb einen wütenden Leserbrief an eine Tageszeitung. Dieses ständige Hervorkehren und Betonen der "Arbeitsfähigkeit" der erkrankten Person hatte einen extrem bitteren Beigeschmack. Nicht nur, dass auf diese Weise die Auswirkungen einer Krebsbehandlung verharmlost und bagatellisiert wurden - es setzte auch noch erkrankte "Normalbürger" womöglich massiv unter der Druck.

Frau XY arbeitet also, kann ganz normal weitermachen... aber ich, ich bin müde, erschöpft, ausgelaugt.. ich kann nicht. ICH kann NICHT. Was ist falsch an mir? Ich sollte arbeiten können, möglichst bald, möglichst schnell.... aber ich bin so müde.

 

Mein Leserbrief wurde prompt abgedruckt, aber das verschaffte mir - selbst glatzenbewehrt und im "Chemosaft" stehend - keine Befriedigung. Ich erkannte nämlich, dass das Problem woanders saß.

Vor den Mikrofonen zum Beispiel, bei besagten Pressekonferenzen... in Gestalt eines angesehenen "Spitzenmediziners", der sich beeilt zu verkünden, dass Frau Sowieso ihr Amt "ganz ohne Probleme" weiter ausüben könne, sie arbeite "vom Bett aus" usw.

Na Gott sei Dank.

Das hinterließ bei mir zudem das schale Gefühl, dass Frauen in der Politik sich umso mehr wie harte Hunde geben müssen, um ernstgenommen zu werden - damit mag ich vielleicht recht haben, vielleicht aber auch nicht.

 

Den Stress, möglichst schnell wieder zurückkommen zu müssen - zu "business as usual" und zu voller Funktionsfähigkeit, den haben sicherlich viele bekannte erkrankte Politiker (egal ob es um Krebs, Corona oder Kreislaufschwächen geht).

Aber auch Otto und Ottilie Normalverbraucher können sich in vielen Fällen nicht alle Zeit der Welt lassen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schwebt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen, die Kinder müssen weiter versorgt werden, und wenn der Göttergatte nicht kochen kann, dann muss eben auch das weiter übernommen werden.

 

In einer Therapiegruppe im Krankenhaus saß ich einmal neben einer älteren Frau, die herzzerreißend weinte, weil ihre eigene Familie nicht die nötige Geduld für ihre Gesundung aufzubringen gewillt war. Sie sollte gefälligst wieder auf die Enkelkinder aufpassen, denn die vielbeschäftigte Tochter wollte weiter - wie gewohnt - ihrem Tagesrhythmus und ihrem Fulltimejob nachgehen. Nach dem Tagesrhythmus ihrer eigenen Mutter und wie es ihr dabei erging, fragte sie allerdings nicht....

 

Den ehemaligen Gesundheitsminister hat - obwohl er glücklicherweise nicht von Krebs betroffen ist - auch öffentlich niemand gefragt, wie es ihm geht. Zumeist wurde er nur beurteilt nach der Qualität seiner Arbeit, von der natürlich jede/r besser wusste, wie sie zu erledigen war. Als er in den Wochen vor dem Rücktritt zweimal kurzzeitig von der Bildfläche verschwunden war, war neben den Begründungs-Spekulationen auch wieder nur wichtig, WANN denn bitteschön er wieder weitermachen würde.

 

Irgendwann ist dann ein Rücktritt der einzig mögliche Fortschritt, und das bedeutet, dass es eine Entscheidung für sich selbst ist.

Egal, was Kollegen, Parteifreunderl und -Nichtfreunderl dazu sagen.

Egal, was die Blätter schreiben.

Egal, was die Facebook-Zenzi und der Twitter-Karl meinen.

 

Noch etwas:

Das hier ist keine politische Positionierung.

Wenn man krank ist, ist es egal, welche Partei man im Rücken hat.

Eines sollten wir jedoch nicht vergessen, und damit wiederhole ich ein drittes Mal einen eingangs geschriebenen Satz:

Auch Politiker sind Menschen.

 

Ich bin auch nicht immer einverstanden mit den Entscheidungen der "über uns in Amt und Würden Stehenden".

Ich finde auch nicht jede Person sympathisch und kann selbst auch zornig werden.

Was ich jedoch zu 100% ablehne, ist das Draufhauen auf Menschen und das in den Dreck ziehen selbiger. Ich habe nichts gegen gute Parodien und scharfzüngige Satire, doch mich bestürzt immer wieder die bitterernst gemeinte Verächtlichkeit und abstoßende Verurteilung von Menschen, von denen wir nur einen kleinen Teil zu kennen glauben... ihre Arbeit und ihre Entscheidungen.

Ich weiß sehr wohl, dass es davon abhängt, wie unser Leben - gerade in der Corona-Zeit - verläuft und dass die Verantwortung groß ist, und ja, natürlich gibt es Politiker, die sich das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient haben.

Sie haben aber auch nicht verdient, als "Buberl", "Idiot", "Funsn" oder "dummes Arschloch" bezeichnet zu werden. Das hat nämlich niemand.

 

Wir müssen im Leben nicht erst Einschneidendes wie eine Krebserkrankung erleben, um die Wichtigkeit und Wertigkeit des Lebens zu erkennen.

Ich bin auch nicht plötzlich zum gesundheitsmissionierenden Wunderwuzzi geworden.

Mir kommt aber vor, ich erkenne mehr "Feinheiten" im täglichen und medialen Umgang als früher, und dazu gehören die oben berichteten Überlegungen und die tägliche Entscheidung GEGEN das Kaputtmachen - sei es wenn es um das eigene oder andere Leben geht.

Das macht mich doch ziemlich zufrieden. :-)

 

 

 

 

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