Ruhe vor dem Sturm

Manchmal ahnst du einfach, dass etwas nicht stimmt.

In meinem letzten Sommer des "alten" Lebens - 2012 - war ich mit meiner Partnerin in Kärnten auf Urlaub. In Reifnitz am Wörtersee verbrachten wir einige schöne Tage.

Ich weiß oft nicht mehr, was ich gestern gegessen habe oder wo ich meine Brille vor zehn Minuten hingelegt habe, aber an viele Details von damals kann ich mich noch sehr genau erinnern.

Wie an meine Grundstimmung damals.

Die war nämlich... bedrohlich.

 

Eigentlich ging's mir ganz gut. Ich arbeitete damals als gruppenführende Pädagogin, lebte seit 1,5 Jahren in einer Beziehung, in einer schönen Wohnung noch dazu... also alles soweit paletti.

Aber dennoch drückte mich eine seltsame Melancholie, die ich nicht zu deuten vermochte. Sie äußerte sich jedoch in einer Art innerer Getriebenheit. Ich rauchte zuviel, hatte etwas zuviel auf den Rippen (okay, das hab' ich immer noch, aber - pssscht - darum geht's jetzt nicht) und war innerlich nervös. Außerdem nicht besonders fit und dazu auch noch faul.

 

An das neue Muttermal an der rechten Wade dachte ich nicht allzu viel - nur wenn ich es zufällig sah, z.B. im Strandbad. Ich hatte schon einen Termin gehabt, um es wegmachen zu lassen (mein damaliger Hautarzt hatte es nicht für nötig befunden, aber wenn ich schon so drängte, na gut...), aber dann kam ja der (Bade-)Urlaub am Wörtersee dazwischen, und ich verschob den kleinen Eingriff noch einmal um einen Monat.

 

Es war schön in Kärnten. Wir ließen es uns wohl ergehen, aßen gut (vor allem ich), machten Ausflüge und gingen spazieren. Letzteres eher nicht so meine Spezialität. Ich machte lieber Pausen und rauchte meine Zigaretten.

Abends dann kroch ich müde von all den Faulitäten (Aktivitäten kann man ja nicht sagen) ins Bett und legte mich wie immer auf den Bauch. Hoppala, da drückt was in der Brust. Nochmal nachrücken, passt. Irgendeine Drüse oder sowas. Schon wieder vergessen.

(Kleine Notiz am Rande: Dieses gewohnte und verinnerlichte "Nachrücken" über wohl längere Zeit wurde mir erst viele Monate später in aller Deutlichkeit bewusst, als ich es nach der überstandenen Erkrankung mal mit dem Auf-dem-Bauch-schlafen versuchte und automatisch ein wenig hin- und herrutschte. Da fiel mir erst wieder ein, dass ich früher immer etwas gespürt - und gekonnt ignoriert - hatte. Zumindest hätte ich nie mit etwas Gefährlichem gerechnet, wenn ich auch nur einen näheren Gedanken daran verschwendet hätte. That's life...)

 

Als es nach ca. einer Woche mit dem Auto wieder nach Hause ging, packte mich allmählich eine seltsame Melancholie, die immer mehr von dem eingangs erwähnten Gefühl von "Bedrohlichkeit" unterwandert wurde.

Zwei Songs - damals gerade aktuell - hatten sich mir besonders eingebrannt... auch weil sie oft im Autoradio liefen. Einerseits war das "Guardian" von Alanis Morissette - gewissermaßen prophetisch, wenn man bedenkt, dass ich eine Art Schutzengel nur wenige Wochen später bitter nötig hatte.

Der andere Song stammte von der großartigen Lana del Rey: "Summertime Sadness"... und der spiegelte meine Stimmung - nomen est omen - perfekt wider. Ich erinnere mich noch gut, dass ich bei der Textzeile "Nothing scares me anymore" stets dachte, dass ich vor irgendetwas sehr wohl Angst hatte - aber wovor?

 

Meine Melancholie steigerte sich wortwörtlich, als wir beim Nachhausefahren den Weg über den Sölkpass nahmen, einen Gebirgspass in den Niederen Tauern (Steiermark). Ich hatte vor dem Bergauffahren ein wenig Bammel, obwohl ich nicht einmal selbst am Steuer saß und unser Auto das locker packte.

Ich wusste nicht wirklich, was mit mir los war... aber ich wusste es auch zu verbergen. Ich hätte es sowieso nicht erklären können.

 

Auf dem Pass angekommen machten wir erst einmal eine Pause, und ich fand einen weiteren musikalischen Ausdruck meiner Befindlichkeit in Form eines einzelnen Trompetenspielers, der im Schatten der Kapelle stand und eine traurige Melodie zum Besten gab.

(Ein "Live-Zeugnis" gibt es hier. 'Tschuldigung wegen der verwackelten Aufnahme. Ich wusste zu dem Zeitpunkt ja noch nicht, dass ich den Clip mal in einem weltberühmten Krebs-Blog, in dem es um mein Leben gehen sollte, präsentieren würde, sonst hätte ich mir echt mehr Mühe gegeben.)

 

Es war wunderschön da oben, auf dem Sölkpass. Bittersüß irgendwie. Summertime sadness halt. Ich mochte mich kaum trennen, und die Fotos, die ich schoss, zeigten die nicht gerade fröhliche innere Grundstimmung auch deutlich.

Aber irgendwann mussten wir wieder runter.

In die Realität zurück.

Ins Leben zurück.

Einem Leben, das nur wenig später völlig aus den Fugen geriet.

 

In der Zeit danach habe ich mich noch oft zurückgewünscht an den türkisblauen Wörthersee, zu dem melancholischen Trompetenspieler auf dem Sölkpass, zu dem "alten" Leben zurück.

 

Ja, manchmal ist die Warnung deutlich.

Sei es in Form eines seltsamen Muttermales, das nicht aus dem Bewusstsein weichen will.

Sei es in Form einer "drückenden" Stelle in der Brust beim Auf-dem-Bauch-schlafen.

Oder in Form einer Stimmung, die einen wie dunkel dräuende Wolken langsam, aber stetig niederdrückt.

Manchmal ist es auch ein Zeichen von Abschied.

Vom alten Leben der "alten" Marlies, mit ihren Zigaretten, ihrer Faulheit und ihren Unbedachtheiten.

 

Der Sölkpass markierte diese Stelle deutlich. Ich erklomm einen Berg und raste auf der anderen Seite wieder herunter.... auf etwas zu, das mich für immer verändern sollte.

Sollte ich irgendwann wieder einmal die Gelegenheit erhalten, dahin zurückzukehren (und ihr wisst ja: ich kehre gerne zurück), dann werde ich das in genau diesem Bewusstsein tun.

 

I'll be your keeper for life as your guardian

I'll be your warrior of care, your first warden

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Kommentare: 1
  • #1

    Jac (Samstag, 19 Dezember 2020 23:10)

    Masterpiece..
    Alles Liebe!