Verkatert nach der Cocktailparty

29.11.2012

Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Prämenstruell? Post-Vollmondanfällig? Chemo-Loch? Oder einfach nur die Angst vor der Kontrollsono (obwohl ich eigentlich allen Grund habe, in der Hinsicht zuversichtlich zu sein)?
Andererseits... ich "darf" auch mal etwas durchhängen. Seit knapp über 2 Monaten (seit ich vom BK weiß), gehe ich hauptsächlich mit positiver Einstellung und Kraft durchs Leben. Das geht halt nicht jeden Tag...

 

So lautet ein Beitrag in einem Brustkrebsforum, das ich bereits einmal erwähnt habe - ein Beitrag, den ich geschrieben habe.

Da kippte ich gerade in ein kleines "Psycho-Loch". Von den geplanten 6 Chemo-Gaben hatte ich gerade erst 2 hinter mir, und - ja, verdammt! - man kann halt nicht an jedem einzelnen Tag eine Chemoheldin sein. ;-)

 

Hin und wieder, während der immer noch manchmal vorkommenden "Ich-wusste-gar-nicht-dass-du-Krebs-hattest"-Gespräche, kommt die verständliche Frage:

 

Was hattest du denn für Nebenwirkungen?

 

Heute - 8 Jahre danach - muss ich bereits etwas nachdenken, weil ich mich nicht mehr von jetzt auf gleich an jede Einzelheit erinnere.

Gut im Gedächtnis geblieben ist mir, dass ich mir bei meinem ersten Gespräch mit meiner künftigen Onkologin auf einem kleinen Zettel alle Nebenwirkungen notierte, die bei meiner Chemo zu erwarten waren.

Leider habe ich den Zettel nicht mehr, aber ich weiß noch, dass "Haarverlust" die Liste anführte, und dass ich darauf gespannt war (aufmerksame LeserInnen wissen ja, dass eine Glatze von Anfang an nicht schlimm für mich war), gefolgt von Polyneuropathie (Nervenschädigungen in Händen oder Füßen), Fatigue (Erschöpfung), Schleimhautprobleme, Blutbildveränderungen usw.

Da stand noch jede Menge mehr, aber das habe ich schlicht und einfach vergessen.

 

Jedenfalls begann meine Nebenwirkungs-Laufbahn 2 Tage nach Chemo Nummer 1 mit: Zehenschmerzen. Ansonsten war nicht viel zu merken. Auf Übelkeit war ich ursprünglich gefasst gewesen und hatte mir sogar vorsorglich einen eigenen "Kotzkübel" gekauft... den ich aber nie brauchte.

Schlecht war mir tatsächlich bis auf 2x nie, und selbst das waren nur Anflüge von Übelkeit. Zum Glück, denn das hatte ich wirklich gefürchtet.

 

Einige Tage nach der ersten "Cocktailparty" schlugen die Zytostatika, die in meinem Fall doch ein ziemlicher Hammer waren, dann doch ordentlich zu:

Ich war mit meiner damaligen Lebensgefährtin im Elektrogroßmarkt, weil ich mir für die langen Tage zu Hause eine neue Spielkonsole kaufen wollte. Ich merkte beim Herumschlendern im Kaufhaus schon, dass sich da was anbahnte, und beim Anstellen an der Kasse war es dann soweit. "Halt mal", sagte ich meiner Freundin, drückte ihr die Xbox in die Hände und beugte mich vorüber, weil ich das Gefühl hatte, mir rammt jemand einen Meißel zwischen die Schulterblätter. Fühlte sich nach Lungenschmerzen an, war aber vermutlich in erster Linie muskulär.

Ich erinnere mich noch an eine zweite Begebenheit, als ich im Auto saß (mit meinen Eltern, glaube ich... Wochen später), und der imaginäre Meißel spießte mich minutenlang von hinten auf, so dass ich nicht wusste, ob ich lieber aufrecht sitzen oder liegen wollte. Ich glaube, ich habe nichts gesagt, weil ich nicht wollte, dass sich meine Eltern Sorgen machen.)

 

Aber noch war alles Fun and Games (na ja, nicht ganz, aber ihr wisst schon...), bis es zum "Bergfest" (also zur Chemo-Halbzeit) mit den Kräften allmählich nach unten ging.

 

12.12.2012

Während die ersten beiden Zyklen (ich bekomme Taxotere/Herceptin alle 3 Wochen) eigentlich recht gut verträglich waren, kriege ich diesmal die volle Breitseite ab. Quälende Knochenschmerzen, Hautirritationen, Durchfälle und - was für mich am wenigsten gut aushaltbar ist - eine bleierne Erschöpfung, hoher Ruhepuls, Kraft- und Antriebslosigkeit. Ein paar Tage lang musste ich mich zu jedem Schritt außerhalb des Bettes zwingen, alleine der Gang zur Toilette kostete mich Überwindung. Der Weg in unsere Wohnung führt über 3 Etagen ohne Aufzug - derzeit ohne Pause, großes Gekeuche und Herzrasen kaum schaffbar.

 

Das schrieb ich wieder ins Forum, und eine Teilnehmerin empfahl mir einen Herzultraschall, weil Bestandteile meiner Chemo kardiotoxisch wirken können. Ach ja, das habe ich bei meiner Aufzählung der Nebenwirkungen oben glatt vergessen... so eine Kleinigkeit *hüstel* ;-D

Zum Glück stellte sich mein Herz nie als geschädigt heraus - die Sonographien waren immer tippitoppi in Ordnung. Nein, mich schlauchte die ganze Sache nur langsam, aber sicher.

 

Im Forum las ich weiter, fühlte ich mich dort doch gut verstanden. Kein Wunder, wir machten alle Ähnliches durch. Und irgendwann will man Lebenspartner und Familie ja auch nicht pausenlos die immer gleichen Themen aufzwingen. ("Hallo Schatz! Ich hatte heute wieder wässrige Durchfälle, wie war's in der Arbeit?")

 

Ein sehr seltsames Nebenwirkungs-Phänomen hatte ich so nicht erwartet, obwohl mir Hautprobleme angekündigt worden waren. Ich bekam Sonnenbrand, von innen heraus irgendwie. Fühlte sich jedenfalls so an... und sah auch so aus. Seltsamerweise immer an derselben Stelle.

 

 

02.01.2013

Nachdem ich nun nach meiner 4. Chemo (vorher 3x Taxo+Herceptin, nun 1x FEC) bis auf Übelkeit am ersten Tag von nennenswerten NW verschont geblieben war, plagen mich seit heute nacht übelste Knieschmerzen. Es ist, als hätte mir jemand Stahlstifte in die Kniescheiben und abwärts in die Beine getrieben, dazu kommen Steifigkeit und das Gefühl, dass mich meine Beine gar nicht recht tragen wollen (bin zeitweise wackelig beim Gehen). Schlafen war echt nur schwer möglich und wenn, dann hab ich die Schmerzen mit in die Träume genommen.

 

Komisch, wie man mit der Zeit immer mehr vergisst, wie sich das anfühlte. Die beschriebenen Knie- und Beinschmerzen "nahm" ich mit ins Improtheater, das wir an einem Abend besuchten. Die Comedians nahmen immer wieder Leute aus dem Publikum dran, die irgendwelche Dinge auf der Bühne tun sollten, und auch ich zeigte auf. Dabei hätte ich - genau genommen - ziemliche Probleme gehabt, die paar Schritte halbwegs schmerzfrei hinter mich zu bringen. Glücklicherweise blieb es mir (und allen anderen) erspart.

 

Ich will nichts überdramatisieren, aber auch nichts verharmlosen. Es war nicht lustig. Es hätte mich wesentlich schwerer treffen können, aber es hat mir auch so gereicht. :-)

Wenn mich jemand fragt, was am schlimmsten war, dann würde ich wohl sagen: Die bleierne Erschöpfung. Vor allem gegen Ende der Zyklen war ich oft so erledigt, dass ich mich minutenlang im Bett darauf "vorbereiten" musste, mich dann doch aufzuraffen und einfach nur auf's Klo zu gehen.

Zäh war auch, dass zum Schluss alles scheinbar nur noch nach Chemie schmeckte. Diesen "Geschmack" - und die Erinnerung an die letzten knallroten drei Chemogaben habe ich heute noch gewissermaßen im Mund.

 

Der Kelch der Polyneuropathie ist zum Glück an mir vorübergegangen. Während andere PatientInnen, die ich kenne, mit schmerzenden Fingern und Zehen zu tun hatten und sogar immer noch haben, blieb ich Gott sei Dank davon verschont. Dafür bin ich wirklich dankbar - könnte ich doch meinen heutigen Beruf vermutlich nicht ausüben.

 

Noch ein Wort zum Schluss zu den Gründen, warum ich euch das eigentlich alles erzähle, abgesehen von der oben gestellten häufigen Frage, was meine Nebenwirkungen denn nun gewesen sind.

Schließlich will ich PatientInnen, die den Weg noch vor sich haben, damit ja keine Angst machen.

Trotzdem ist es nun mal so, dass eine Chemotherapie niemanden "kalt lässt", sprich: sie wird sich immer auch in negativer Hinsicht auswirken, da nicht nur die "bösen", sondern auch die "guten" Zellen eine auf die Schnauze bekommen.

 

Ich habe die Nebenwirkungen immer gern in Kauf genommen.

Ja, da steht tatsächlich "gern" - ihr habt euch nicht verlesen.

Ich habe mir einfach immer gesagt: Wenn's mir dreckig geht, geht's dem Krebs auch dreckig.

Ich habe mich damals für diesen Weg entschieden, Freundin Taxotere, FEC, Herceptin & Co. in mein Leben "einzuladen" und meinen Körper bereit dafür zu machen, weil ich wollte, dass die Chemo wirkt.

Ich habe mich regelrecht geöffnet dafür. Körper, Geist und Seele waren zu 100% damit einverstanden.

Ich weiß, das schafft nicht jeder, und das kann ich verstehen.

 

Wie erwähnt: Heute kann ich mich manchmal gar nicht mehr richtig erinnern und muss teilweise in alten Forenbeiträgen nachsehen, um die Erinnerung wieder aufzufrischen. Die offene Schleimhaut im Mund, die Bindehautentzündungen... ah ja, da war doch mal was, und dann noch dies... und das...

aber alles ging irgendwann vorbei.

 

Genau genommen habe ich noch heute mit den Folgen meiner Krebserkrankung zu tun, denn insgesamt 10 Jahre lang mache ich eine Antihormontherapie (die 2023 endet), und auch das heißt wieder: Nebenwirkungen.

Aber das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0