Aufstehen!

Wie es oft so ist:

Ich habe es nicht kommen sehen.

Ich habe ihn nicht kommen sehen.

Den Fußball.

Aber da war's schon zu spät...

 

Nicht viele meiner geneigten LeserInnen wissen, dass ich vor ca. 20 Jahren eine spätberufene und kurze Kickerkarriere hatte.

In der 3. Mannschaft eines namhaften Frauenfußballvereins in meiner Stadt stand ich für etwa 1 Jahr als Torfrau zwischen den Pfosten.

In meinem ersten Trainingsspiel geschah es dann:

Der Ball wurde scharf in meine Richtung geschossen, und - vielleicht aufgrund von Körpern, die sich erst in letzter Sekunde zur Seite drehten - sah ich ihn nicht rechtzeitig.

Keine Zeit mehr, um hochzuspringen und ihn vor dem Brustkorb zu fangen oder die Arme hochzureißen und ihn wegzufausten.

Der Fußball knallte mit voller Wucht gegen meinen Kehlkopf.

 

Ich fiel um wie ein Stück Holz.

Über mir der Himmel und dann viele Gesichter... um meinen Hals die eigenen Finger. Der Schmerz war überwältigend und ließ mich nach Luft ringen, während sich die Stollen meiner Fußballschuhe in den Dreck gruben und die Sekunden quälend langsam verrannen, bis ich endlich wieder Sauerstoff in meine Lungen bekam.

Obwohl es noch weh tat, rappelte ich mich so schnell wie möglich wieder auf, um weiterzuspielen.

Intuitiv wusste ich: Würde ich jetzt zögern und die nächsten Ballkontakte hinausschieben, würde ich Angst bekommen, dass es wieder passiert... und das war wohl der "Tod" für jede Torfrau, für jeden Tormann.

 

"Auf, auf, auf!" schrie der Torwarttrainer in den Trainings. Wenn er mir den Ball in eine Torecke zu schießen versuchte und ich mich förmlich hinschmiss, blieben mir nur wenige Sekunden, um den geschundenen, schmerzenden Körper wieder hochzuzwingen... nur um ihn dann mittels Hechtsprung in die andere Torecke zu befördern.

Und wenn ich dann abends, zerschunden und frisch geduscht, meine Wunden leckte, wusste ich:

Beim nächsten Training werde ich das wieder tun.

Und dann wieder und wieder.

Auch wenn's weh tut.

 

Während meiner Krebserkrankungen Jahre später machte ich es - man entschuldige bitte den Vergleich - nicht anders.

Ich tat es wieder.

Ich musste.

Ich wollte.

Ich ließ mich stechen und aufschneiden, mir Blut abnehmen, zu den unangenehmsten Untersuchungen gehen .... mit wenig und mit viel Angst, Nervosität und heißen Mischmasch-Klumpen von allem im Magen.

Aber ich musste, und vor allem in den ersten Wochen nach den Diagnosen tat ich das alles mit einer stoischen "Gelassenheit" (die in Wahrheit keine war) und Akzeptanz.

Weil es nun mal notwendig war.

Weil ich keine Wahl hatte. (Nun... das stimmt nicht... ich hätte eine gehabt, doch ich entschied mich aus vollem Herzen für den geplanten Ablauf.)

 

Ich ging zu jeder Chemo, zu jeder Blutuntersuchung, zu jedem Ultraschall, zu jeder Operation - weil ich in der Maschinerie drinsteckte und es bald gewohnt war. It's as simple as that.

Je mehr Monate vergingen und ich von einer kranken Person allmählich in einen gesunden Menschen transformierte, desto mehr Zeit verging auch zwischen den Untersuchungen und Behandlungen.

 

Mittlerweile habe ich 2x im Jahr Brustkrebs-Nachsorge, davon 1x mit Ultraschall.

Die Muttermale werden 2x im Jahr gecheckt.

Außerdem 2x jährlich gynäkologische Untersuchung, begleitend zu meiner Antihormontherapie.

Das ist alles.

Ja... zweifellos, das ist eh gut, logisch.

Man soll bitte nicht denken, ich würde mich nach der intensiveren Maschinerie zurücksehnen. ;-)

 

Doch ich merke auch, je weniger ich in diesem "Hamsterrad der Kranken" drinstecke, desto mehr ziere ich mich innerlich.

Ultraschall.... buuuäääh. Mag nicht.

Und das mit den Muttermalen - kann ich das nicht verschieben? (Na ja, besser nicht.)

 

Die Wahrheit ist:

Wenn du deinen Kehlkopf von einem Fußball (zumindest gefühlt) halb zerschmettern lässt, tut das weh, aber du musst aufstehen und du musst weitermachen.

Wenn dir jeder Knochen weh tut von allem und jedem, und das immer wieder, dann machst du trotzdem weiter. Weil's dein Job ist, und weil du den nicht alleine machst.

 

Wenn du jedoch das Spiel nur noch vom Seitenrand beobachtest, duckst du dich vor dem einen oder anderen Ball, der einen Effet in deine Richtung bekommt, weg.

Mäh... lieber nicht. Nicht mehr mein Spiel.

Manchmal - nicht mehr oft - wirst du aber gezwungen, doch noch ein bisschen mitzuspielen, und du musst dich dazu überwinden und fühlst dich nach allen Seiten ungeschützt und nicht besonders wohl.

 

So ist das.

Und diese Allegorien muss man auch erst mal zusammenbringen: Fußball und Krebs.

Aber wisst ihr was? Es passt.

Vor allem, weil man weiß, dass einem das Leben eben nicht immer jeden Schuss parieren lässt wie Manuel Neuer höchstpersönlich. (Außerdem hat der kürzlich auch 6x einen reingegurkt bekommen. Hihi.)

Manchmal muss man die Hände hochreißen, den Ball wegfausten, in den Dreck fliegen und bekommt dann und wann ordentlich auf's Maul (oder den Kehlkopf).

Doch das Wichtigste ist da (Krebs) und dort (Fußball), dass man eins macht:

 

Wieder aufstehen.

Immer wieder.

Egal, nach wievielen Jahren noch.

Egal, ob man Angst hat oder nicht.

Egal, wie lange es dauert.

Egal, ob man manchmal lieber liegenbleiben würde.

 

AUFSTEHEN.

 

Herzliche Grüße,

euer verhindertes Doppelpack-Funkenmar(l)ie(s)chen

 

 

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