Pennerin

Es gibt Menschen, die können schlafen, wann und wo immer sie wollen.

Powernapping im unbequemen Bürostuhl? Kein Problem: Innerhalb von Sekunden eingeschlafen und nach 20 Minuten erfrischt aufgewacht.

Mein Lehrherr kann das.

Ich nicht.

 

Es gibt auch Menschen, die schalten abends ihren Kopf aus wie ein Smartphone, berühren mit ebendiesem (Kopf, nicht Smartphone) den Polster und - schlafen ein.

Meine Ex-Freundin kann das.

Ich nicht.

 

Ich kann dafür das:

Mich hinlegen, eine Bettenburg rund um mich errichten (Seitenschläferkissen, zusätzlich noch vorn am Kopf und hinten am Rücken einen Polster... bitte nicht psychoanalysieren, ich hätte Angst vor dem Ergebnis), dann dennoch 27x die Position wechseln, nochmal aufstehen, den Vorhang noch weiter zuziehen, nochmal auf's Klo.

Aber das wäre ja noch halbwegs okay, dann dauert das halt etwas, ja, meine Güte, gibt Schlimmeres.

 

Wie das hier... denn bei mir läuft das so:

 

Licht aus.

 

Hirn an.

 

Gibt's den 25%-Kaffee-Rabatt nun beim Spar oder beim Billa? Beim Schmalbandrauschen sollte ein Vertäubungspegel von mehr als 80 dB vermieden werden. Ich vermisse Sina. Hab' ich da eine Gelse gehört? An welchem See waren wir in meiner Kindheit immer Motorboot fahren? Motorboot, Motorboot, rudern tu' i nur zur Not. Ich mag die russisch-orthodoxen Chöre mehr als die westlichen gregorianischen Gesänge. Eigentlich hab' ich mich heute bei der Ohrabformung gar nicht so blöd angestellt. Mit der orangenen Abdruckmasse geht's auch besser als mit der lilanen. Purple raiiiin, purple rain. Es ist so schade um Prince. Bester Song forever: Sign ☮ The Times, völlig logisch. In der Weihnachtsbäckerei gibt es manche Leckerei. Ich bin zu fett, ich muss wieder Intervallfasten. Gleich morgen. Mich juckt das linke Schulterblatt. Soll ich mich nochmal umdrehen? Nochmal auf's Klo? Warum kann ich eigentlich nicht meditieren? OMMMMMM....

 

Zugegeben, das ist jetzt auf eine Art Gedankenkonzentrat runtergebrochen, aber im Grunde läuft das so.

Ich kann mich vorher in ein Art schlaftrunkenen Zustand lesen und dann schon fast zu geschafft sein, um überhaupt noch den Aus-Schalter der Nachttischlampe zu betätigen - sobald sich die Dunkelheit über das Zimmer senkt, beginnt mein... äh... inneres Licht wieder zu leuchten, und kurze Zeit später ist es, als hätte ich eine Line Koks gesnieft.

Wach!

Wahaaaach!

 

Bitte kommt mir nicht mit Kamillentee. Warmen Socken. Auch Panflötenmusik würde nichts helfen.

Ich schieb's auf meine Begleiter seit 7 Jahren: die Antihormontabletten. Neben dem erhofften Effekt - Rezidiv-Vermeidung - bringen sie mir halt lustige Wechseljahrs-Side Effects und darunter eben auch Einschlafprobleme.

Wenn dann jemand einen so wachen Geist bzw. ein überaktives Hirn hat wie ich, verschärft sich die Lage nochmal.

 

Wann kann ich denn nun richtig gut und richtig schnell schlafen?

 

Wenn ich besoffen bin.

Gut, das ist kein Zustand, der so richtig für den Alltag geeignet wäre.

Na, gut geschlafen?

Och, nach einer halben Flasche Johnny W. ging's eigentlich, danke.

 

Aber auch traumatische Umstände lassen mich schön schlafen.

Wie nach einer Krebsdiagnose, zum Beispiel?

Klingt unglaubwürdig, ist aber so.

 

Nach der zweiten Krebsdiagnose (und genau genommen eh schon nach der ersten) gelang es mir erstaunlich gut, das Bewusstsein auszuknipsen und wie ein Stein zu schlafen.

Schlaf war ein Instrument zur Flucht.

Flucht vor der Realität und all seinen Grauen.

Am schlimmsten war das Wachwerden - so wie es damals war, wenn die Nachtschwester um 6 Uhr früh herumfuhrwerkte und die Station allgemein langsam zum Leben erwachte.

Es waren die Momente, wo das böse Bewusstseins-Männchen im Kopf wach wird ("Du hast Krebs! Du hast Kreheeebs, und vielleicht stirbst du ja!") und erst mit der Zeit abgelöst wurde durch "Oh, heute gibt's Leberwurst zum Frühstück."

 

Das ist nun schon verhältnismäßig lange her, und das Trauma ist selbstverständlich kein erstrebenswerter Zustand, um hinterher eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Klarerweise wälze ich mich dann lieber schlaflos, aber gesund, von einer Seite auf die andere, referiere innerlich über die Perzentilanalyse, überlege, warum mich die Supermarkt-Kassierin heute so grantig angeschaut hat, gebe Iron Maiden's "Somewhere In Time" den Vorzug vor "Powerslave" (wobei ich die einzelnen Songs durchgehe), erschlage Gelsen, gehe noch 3x auf's Klo und lausche dem Wind in den Baumwipfeln ("I listen to the wind, to the wind of my soul...".... Wem's noch nicht aufgefallen ist: Ich habe tatsächlich ständig Musik im Kopf.)

 

Und wenn sich irgendwann mein Hirn erschöpft erst zusammenballt, dann entspannt und das Melatonin doch noch auf die Reise schickt, dann liege ich da inmitten meiner Polster-und-Decken-Festung, träume von meinem Meisterbrief nach bestandener Prüfung, 5 Minuten-Brot-Rezepten, geheimnisvollen Fremden, dem kleinen, warmen Körper eines Yorkshire-Terriers, der auf meinem Bauch schläft und zum Glück (klopf klopf klopf) zu 99% nie etwas Albtraumhaftes.

 

Und das ist doch auch schon was.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0