Heavenly creatures

Also, die Sache ist die:

Ich kenne meine Dermatologin, und sie kennt mich. Sie weiß, wie Kontrollfreaks wie ich ticken, und ich weiß, dass ich bei ihr in besten Händen bin - nicht zuletzt, weil sie immer ein offenes Ohr für mich hat.

Es liegt in der Natur der Sache, dass gebrannte Kinder wie ich sich phasenweise schnell mal in was reinsteigern ("Oh, war dieses Muttermal immer schon so fransig/dunkelbraun/erhaben etc.?"), und so geschah es, dass sie mich in den letzten Jahren öfter mal zu Gesicht bekam. Mich und meine Muttermale oder sonstige fachspezifische Angelegenheiten.

 

Mit der Zeit wurden diese (manchmal ziemlich spontanen) Praxisbesuche zum Glück dann auch weniger häufig, aber egal wie oft oder wie selten - es lief meist gleich ab:

"Da!"

" ... Mhm... ja, das ist völlig harmlos."

"Okay, das wollte ich hören. Dankeschön!"

 

So weit, so langweilig.

.... Bis man dann wieder mal was entdeckt, was so nicht hingehört, man sich leicht beunruhigt fühlt, aber im Grunde weiß man ja schon, was man zu hören bekommt.

"Alles in Ordnung", "Da müssen Sie sich nicht beunruhigen", "... harmlos...", "... ganz normal..." usw. usf.

So muss das!

 

Aber heute durfte ich durchaus mal etwas Abwechslung erfahren.

 

"Das ist wahrscheinlich nichts... aber man sollte zur Sicherheit ein Röntgen und einen Ultraschall machen."

 

Frau Dr. S. sieht mich mit entschuldigendem Blick an, und ich sage schief grinsend, aber noch ganz tapfer: "Eigentlich habe ich mir ja direkte Entwarnung gewünscht."

 

Aber - wir sind ja nicht beim Wunschkonzert, und so mache ich mich auf zum Radiologie-Institut, wo ich dank Frau Dr. S.' engagierter Assistentin sofort einen Termin bekommen habe.

 

Auf dem Weg bröckeln meine Toughness und Coolness schrittchenweise weg, und als ich endlich im Wartebereich sitze und gleich aufgerufen werde, blinzle ich das Wasser in den Augen diskret weg.

 

Mein Gott... es wird schon nicht zum Sterben werden.

Aber darum geht es auch gar nicht. Dass mich plötzlich eine Woge der diagnostizierten Bösartigkeit erfassen könnte, daran will ich selbst nicht so richtig glauben.

Das Problem sind eher die Trigger.

Das Sitzen im Wartebereich, die enge Umkleidekabine, das Ausharren auf der Untersuchungsliege bis der befundende Arzt kommt, die dunkle Umgebung, das Röntgengerät, der Ultraschall-Bildschirm.

Hatte ich das nicht alles schon? Und sorgt das nicht sofort und auf der Stelle für Flashbacks?

 

Ja.

 

Es geht also mehr um die "Schale" und weniger um den "Kern".

Sicher - eine schlechte Nachricht würde meine geplante (berufliche) Zukunft stark beeinflussen oder gar in die Tonne treten, aber immerhin schaffe ich es mittlerweile ganz gut, solche davonfliegenden Panikgedanken im Zaum zu halten und möglichst im Jetzt zu bleiben.

Dennoch: Angst.

Angst.

Erinnerung... und Angst.

 

In der Umkleidekabine muss ich nicht lange warten, aber während ich die Schnürsenkel meiner Schuhe löse, merke ich, wie ich - mitsamt meines Mund-Nasen-Schutzes - irgendwie ziemlich hyperventiliere.

Das Röntgen ist dann so schnell vorbei, dass ich für einen eventuellen Nervenzusammenbruch nicht mal mehr proben kann.

Auf den Ultraschall muss ich dann länger warten, sehe PatientInnen kommen und gehen und bewundere diejenigen, die lässig dasitzen und sich auch noch in ein Buch vertiefen können.

Ich dagegen kratze mir gerade mit schwitzigen Fingern die Nagelhaut meines Daumens in Fetzen.

Nun ja.

 

Dann ist es endlich soweit. Ich nehme auf der Untersuchungsliege Platz und platziere meinen nackten Fuß auf einem Hocker, und ja ... na klar ... es kommt, wie es kommen muss: Das zurückgeblinzelte Augenwasser bricht sich Bahn, und das bedeutet:

 

Eure supercoole, toughe Star-Bloggerin bricht gerade in Tränen aus.

 

Die Radiologie-Assistentin sieht im Halbdunkel meinen Kopf sinken und meine Hand übers Gesicht wischen.

"Ist alles in Ordnung mit Ihnen?"

 

Na ja... nicht ganz.

Das folgende Schluchz-Gestotter (Peinlich! Peinlich!!) bringt dann die Erklärung zutage, die - zusammengefasst - folgendermaßen lauten könnte:

 

Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Ich kacke mich nur gerade bis auf's Kreuz an, weil ich in die DIAGNOSTIK-Mangel genommen werde (okay, eine kleine... aber dennoch: Mangel) und in diesem besch... dunklen, engen Ultraschall-Raum sitze und nicht gehen kann (also können schon... aber na ja, ihr wisst schon), und weil gleich jemand den Sono-Schallkopf auf meine harmlose, unschuldige Haut drücken und darunter nach etwas PATHOLOGISCHEM suchen wird. Und auch wenn dieses vermeintlich Pathologische wahrscheinlich eh nix Pathologisches sein wird - es ist wurscht: Die Situation ist's. Um die geht es.

 

Da merke ich dann: Es kann noch so sehr 8 Jahre her sein - daran werde ich mich vermutlich nie gewöhnen. Ich werde mal besser, mal schlechter damit umgehen (okay, heute: schlecht), aber ich werde es immer zum Kotzen finden und ANGST haben.

 

Die Radiologie-Assistentin ist supernett. Bei einem Becher Wasser erzähle ich ihr mit ein paar Sätzen, warum ich so allergisch auf diese Begebenheit reagiere, und sie nickt mitfühlend und bekräftigt, dass sie mich völlig verstehen kann. Und trotzdem habe ich auch ein klein wenig das Gefühl, dass ich meine "Story" das eine oder andere Mal auch benutze, um .... ja, was eigentlich?

 

Die Assistentin geht, die Ärztin kommt, und meinerseits folgt noch ein kurzer dramatischer Ausbruch (dezenter diesmal), auf den die Frau Doktor nicht sonderlich reagiert, und recht hat sie: Keine Gnade für Dramaqueens! (Nein, es soll kein falscher Eindruck entstehen - sie war sehr nett, und es bestand auch keinerlei Notwendigkeit, mit mir eine Runde mitzuheulen.)

 

"Also auf den Bildern ist nicht viel zu sehen, aber schallen wir mal drüber."

Okay, machen wir das. Augen zu und durch.

Und dann... kurz darauf:

"Das ist eine kleine verknöcherte Zyste, die können Sie gleich wieder vergessen."

 

BÄM! Funkenregen! Steinlawinen, die der Schwerkraft folgen! Glückshormone!

 

Gut... man hat sich so etwas schon gedacht oder es zumindest für echt ziemlich wahrscheinlich gehalten, aber wie sagte doch mein ehemaliger Hausarzt mal so taktvoll:

"Der Teufel schläft nicht."

 

Ich erfahre, dass solche Knötchen mitunter mithilfe einer beginnenden Arthrose-Beteiligung entstehen können - pfoah, werd' ich jetzt alt, oder wie? - und dass man laut Sonografie-Aussehen eine Metastase vom Melanom auch ausschließen könne (Himmel hilf... an die hatte ich - zum Glück - nicht mal gedacht...)

 

Die Tränen sind längst getrocknet, als ich mir in der plötzlich gar nicht mehr so engen, unguten Umkleidekabine die Schuhe wieder anziehe, und dann kommt das - für mich - eigentliche Highlight des Tages:

Die Tür zum Untersuchungsraum öffnet sich nochmal und die Radiologie-Assistentin von vorhin steckt den Kopf herein:

"Und? Wie ist es gelaufen?"

"Gut", antwortet die Dramaqueen und lächelt schon wieder ein abgebrühteres Lächeln. "Es ist nur ein Ganglion. Ganz harmlos."

"Super! Das freut mich wirklich!"

Ihr strahlendes Gesicht unterstreicht ihre Worte deutlich, und ich erkenne echtes Interesse...

... und das - Damen und Herren - ist das wahre Glück des heutigen Tages:

 

Nicht, dass ich dem (imaginären) Tod wieder mal äußerst knapp von der Diagnostik-Schippe gesprungen bin, sondern das ehrliche, freundliche Interesse des Assistenz-Engels.

Hail and glory!

👼

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