Lichtwesen

Ich bin ein Lichtwesen.

Ich strahle.

Gerne über's ganze Gesicht, aber wenn ich muss, dann strahle ich auch zur Bekämpfung eventueller Tumorzellen.

Von innen heraus, damit's von außen besser wirkt, quasi.

 

Ich nutze den täglichen Gang ins Krankenhaus zur Strahlentherapie, um herumzuspazieren und sämtliche bekannten Klinik-Berührungspunkte abzuklappern... zumindest die zugänglichen.

Irgendwann wird es dann aber Zeit, und ich betrete den Lift zum hoffentlich letzten Mal und drücke den Knopf.

Abwärts.

Kellergeschoß.

Radioonkologie.

 

Nach der kurzen Anmeldung steuere ich den Wartebereich an. Wie immer flimmert eine gefakte Gerichtssendung über die Wandbildschirme, und ich fühle mich dennoch nicht wie beim Jüngsten Gericht, als ich Platz (immer denselben) nehme und kaum dazukomme, ein paar Seiten einer Zeitschrift durchzublättern, denn pünktliche Menschen werden auch pünktlich aufgerufen.

 

12 Uhr - high noon.

 

Ich murmle einen kurzen Gruß in Richtung Stützpunkt und schlurfe zu einer der Umkleidekabinen (immer dieselbe) und versperre die Tür hinter mir.

Wieder einmal fällt mir auf, dass die oben offene Kabine in einem bestimmten Winkel für eine obere Etage der gegenüberliegenden Gebäude-Glasfassade eigentlich einsehbar wäre. Zumindest ein wenig.

Mir ist es egal. Ich hänge mein Gewand auf, nehme mein zusammengefaltetes Handtuch und halte es mir vor die bereits leicht angebrutzelte Hühnerbrust.

Ich muss nicht lange warten, da werde ich auch schon aufgerufen.

Während ich den vertrauten Weg um die Kurve zum Bestrahlungsgerät nehme, merke ich wieder einmal, dass die ganzen Vorbereitungen länger dauern als die eigentliche Action.

"Like a bridge over troubled water", klagen Simon & Garfunkel leise über Lautsprecher, und ich frage mich, warum man nicht mal etwas anderes spielen kann.

Frank Sinatra anyone?

Warum nicht mal ABBA? (Macht alles gleich fröhlicher.)

Ich persönlich würde ja Disturbed bevorzugen. (Down with the sickness! - Ha!)

 

Gewohnheitsmäßig fordert mich die MTA auf, die einzelnen Schritte auszuführen: Das Handtuch ablegen, auf die Liege setzen, zurücklegen, die Handgelenke in den Schalen über dem Kopf zu platzieren.

 

Ist ja klar, denke ich. Fast bin ich es schon gewohnt, mich "wehrlos auszuliefern", indem ich wieder einmal gewissermaßen die Hände hochnehme. Wie schon beim Ultraschall, wie bei den Operationen (da aber seitlich).

Es ist angenehm dunkel, nur das Bestrahlungsfeld von meiner rechten Schlüsselbeingrube bis ein gutes Stück unter der Brustnarbe ist grün eingegrenzt und wirkt wie eine Zielscheibe.

Was sie ja auch ist.

 

Mein Brustkorb, der ist tätowiert. Zwei Tinten-Minipunkte, die ich auch Jahre später noch finden werde (Oh ja, das tu' ich! - Anm. des Zukunfts-Ichs), grenzen das unsichtbare Gewebe-Kriegsgebiet ein, und der gebündelte, unsichtbare, bestens berechnete Strahl wird eventuellen versteckten Zellen hoffentlich den Garaus machen.

Eher untypisch nach einer Mastektomie, aber bei mir geht man auf Nummer sicher.

 

Wie ein Steak auf dem Grill liege ich da und bereite mich wieder einmal auf das Stillhalten vor. Die MTA verzieht sich, gleich kommt ein Kommando über die Lautsprecher, und ich kann hinter die Nummer 36 bald einen fetten Haken machen. 36/36 - Mission accomplished.

 

Brutzel.

(Man hört's nicht, aber ich stelle es mir immer so vor.)

Ich kann ganz normal atmen, soll aber tiefe Atemzüge vermeiden. Ich will ja nicht, dass die Elektronen, Ionen und all das Zeug mit meiner Lunge kollidieren.

"Kann sein, dass Sie eine Lungenreizung davontragen", erklärt mir die Radioonkologin Wochen zuvor. "Das merken Sie dann an trockenem Husten, ca. 2 Monate später."

(Ich merk gar nix, sagt das Zukunfts-Ich.)

 

Ich schneide ein wenig Grimassen, was das Personal hoffentlich auf den Bildschirmen sehen kann, und gleichzeitig dreht sich das Bestrahlungsgerät surrend um mich, im immer gleichen Winkel und mit immer gleichem Richtungsablauf.

"Hello darkness, my old friend", singen Simon & Garfunkel.

Fresse, denke ich, grinse und mein Brustkorb zuckt ganz leicht. Uh-oh. Besser nicht.

 

Dann ist es auch schon vorbei.

"Das war's", sagt die MTA, lächelt, und ich lächle zurück und füge hinzu: "Mit Sicherheit."

Als ich mich in der Peepshow-Umkleidekabine einschließe, um mir in diesem Spiegel zum letzten Mal mein knusprig geröstetes Schlüsselbein anzusehen, bevor ich mir das T-Shirt überstreife, da fühle ich mich überhaupt nicht sentimental.

 

 

Zum Glück, denke ich.

Es reicht schon, künftig eine lebenslange Simon & Garfunkel-Abneigung mit mir herumzuschleppen.

(Die besteht heute noch. - O-Ton Zukunfts-Ich.)

 

Ich drehe mich nicht um, als ich - mit der Handtuchrolle unterm Arm - am Stützpunkt und an der Anmeldung vorbeigehe.

"Auf Wiederschauen", sagt irgendjemand.

 

"Auf Nimmerwiederschauen", widerspreche ich und habe vor rechtzubehalten.

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