I bin miad *


* gleichnamiger Song von Wolfgang Ambros

Ich geb' es zu: Ich habe darüber nachgedacht, den nächsten Blogartikel ausfallen zu lassen.

"Wegen Coronawahnsinn / Unpässlichkeiten / Lustlosigkeit heute geschlossen" sozusagen.

Sah temporär keinen Sinn darin, Wortwitze und Eloquenzkreationen aneinanderzureihen zur Unterhaltung von zumeist unsichtbaren Leuten. Blogbeiträge werden in die Internetdaten-Umlaufbahn geschossen, und - ja - in meinen dunkelsten Momenten denke ich: Wen interessiert's?

 

Wie jetzt - "dunkle Momente"?

Aber ja, sagt man, die dürfen sein... jeder Mensch hat damit zu tun, mal mehr mal weniger... heißt es. Und bitte - wer würde nicht derzeit depressiv werden bei Berichten über steigende Corona-Zahlen, Gewalt bei Demonstrationen, Gesellschaftsspaltungen, Tierquälereien, wirtschaftlich unsicheren Zeiten... und dann geht auch noch der Sommer zu Ende und der triste Herbst steht vor der Tür. Moment, ich hole mir ein Taschentuch.

 

Und da ich dazu neige, in solchen Momenten meine Zunge zu schärfen und ein bisschen Zynismus da und dort zu verteilen: Nein - halt - stopp, das mach' ich jetzt NICHT. Also nochmal zurückspulen an den Start mit der simplen, unmissverständlichen Feststellung:

 

Ich hänge durch, ich bin müde und manchmal legt sich mir eine Schwere auf die Brust, die mich sowohl in Aktion, Reaktion und Gedankenkraft regelrecht lähmt.

 

Ich bin müde von diesem Selbstoptimierungskampf, den ich seit Jahren betreibe.

Nicht falsch verstehen: Es ist gut, sich niemals aufzugeben und das Beste für sich selbst zu wollen. Angepasst und mitunter phlegmatisch wie ich früher war, habe ich mich oft genug von Mensch zu Mensch und Lebenssituation zu Lebenssituation treiben lassen.

Klassiker: Erst durch die Krankheit habe ich gelernt, für mich selbst einzustehen und mich selbst voranzubringen und mir selbst immer wieder auf die Schulter zu klopfen, weil ich

a) nie aufgebe, egal was passiert, und immer wieder aufstehe

und

b) hinter mir lasse, was mir nicht gut tut, und mich in Selbstfürsorglichkeit übe

So weit, so blabla.

 

Aber:

Ich bin müde von all den Dämonen, die ich dann und wann mit mir herumschleppe... müde von der Angst von dem Tod (wenngleich hier schon eine Transformation stattfindet), vor der Angst vor zuvielen Menschen und dann wieder zuwenig Menschen, und vor der Angst vor der Angst.

 

Nach dem Krebs kommt es oft zu CFS, dem chronischen Fatigue Syndrom, einer geistigen und körperlichen Erschöpfung, die auch noch Jahre danach bestehen kann.

Ehemals Kranke, die ihre (Akut-)Therapien längst hinter sich gebracht haben, fragen sich mitunter, was mit ihnen nicht stimmt, weil sie trotz ansonsten positiver Entwicklung hin und wieder, oft oder auch ständig, nicht in die Gänge kommen.

Das Bedürfnis nach Pausen, Rückzug und Erholung ist in vielen Fällen höher als früher - auch ist der Energielevel eventuell nicht mehr so hoch wie gewohnt.

 

Mir ist damals an mir keine unaushaltbare Erschöpfung aufgefallen. Obwohl ich eine starke Chemo bekommen habe, war das Schlafbedürfnis nicht übermäßig ausgeprägt, und es war nur nach den letzten beiden Zytostatika-Verabreichungen so, dass ich so schlapp war, dass ich Bett oder Sofa nur ungern verlassen mochte. Auch die Bestrahlungen haben mir einiges abverlangt, aber als all das hinter mir lag, ging die Energie-Kurve steil nach oben. 4 Monate nach der letzten Chemo und OP schwang ich regelmäßig die Walkingstöcke und ließ meine neuen Löckchen im Wind wehen.

Es war ein gutes Gefühl, den Krankheits-Dunstkreis zu verlassen und sich an neu gewonnener Gesundheit und Kraft zu erfreuen.

 

Kraft, die mir auch in den folgenden Jahren nicht ausging, als ich nahezu ständig damit beschäftigt war, mich in beruflicher Hinsicht zu entwickeln, die vielgepriesene Achtsamkeit mir selbst, meinem Körper und meinen Mitmenschen gegenüber zu pflegen... was mal mehr, mal weniger gut gelang.

Viele Irrungen, Wirrungen, Kraftakte, Triumphe und Tragödien begleiteten in der Folge meinen Weg, was mich jetzt zu nichts Besonderem macht: Wessen Leben verläuft denn - auch ohne Krebs - schon schnurgerade und ohne Schlaglöcher auf der Piste?

Ich habe getan, was ich konnte - aus Selbsterhaltungstrieb, aus Fürsorge mir selbst gegenüber und manchmal ganz einfach nur, weil das Leben halt weitergeht und ich mich bitteschön nicht so anstellen will. Außerdem: Wenn ich was gut kann, dann mich auf neue Situationen und Herausforderungen einzustellen.

 

Du bist enorm gewachsen, meinte eine Freundin kürzlich zu mir, und manchmal neige ich dazu, das zu übersehen.

Gerade in den letzten beiden Jahren habe ich gelernt, so stabil wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen, während etliche Sicherheiten in meinem Leben (Partnerschaft, Wohnung, Beruf) fast gleichzeitig weggebrochen sind, und ja, für mein Dafürhalten ist mir das gelungen. Für mein Wohlergehen und meine körperliche/geistige/seelische Gesundheit stehe ich ein, und was nicht passt, wird passend gemacht.

 

Doch genug der martialischen Worte, denn wie ich es schon erwähnte:

Ich bin müde.

Davon, dass soviel passiert ist... sovieles davon im Zick-Zack-Kurs, inklusive Höhenflüge und Abstürze... dass ich manches Mal einfach genug habe.

Ein Bedürfnis nach "Lasst mich in Ruhe" habe.

Und dann wieder ein Bedürfnis nach "Überseht mich doch bitte nicht".

Was übrigens auch gleichzeitig auftreten kann.

 

Die Marlies, die ist so eine starke Frau.

Die Marlies, die schreibt so witzig, eloquent und treffend ihren Blog.

Ich fühle mich dann geschmeichelt und denke, dass ich ja auch wirklich ein großes Glück gehabt habe, mit meinem ganzen Krankheitsverlauf und so...

... und jetzt habe ich noch meinen Traumberuf gefunden (der Weg dahin war hart erarbeitet)

... habe angefangen, vielleicht ein kleines bisschen mit jemandem zu flirten und eventuell bald zu daten (mal sehen....)

... und ich habe so vieles selbst in der Hand, was ich erreichen kann und möchte.

Das ist doch super. Nicht wahr?

Nicht wahr?

 

Doch die Membran, die zwischen Glück und Unglück liegt, ist manchmal eben hauchdünn, und dann gelingt es mir nicht, auf meiner Seite zu bleiben. Dann wird mir vor Augen geführt, wie zerbrechlich das ist, was man in den Händen zu halten glaubt. Soviel persönlicher Gewinn steht soviel persönlichem Verlust gegenüber, und dann fühle ich mich oft wie eine Flipperkugel, die hin- und hergeschleudert wird... unfähig, ihren Kurs selbst zu steuern. (Was nicht stimmt, aber - illusions are a girl's best friend.)

 

Manches Mal ist meine größte Stärke - meine Empathie und die Fähigkeit, Stimmungen, Gefühle und Schwingungen aufzusaugen wie ein Schwamm - wie ein Fluch, und ich kann mich nicht abgrenzen von den tonnenschweren Gefühlen eines jungen Mannes, der um seine verstorbene Mutter trauert.

Ich kann mich nicht abgrenzen von dem, was ich selbst erlebt und "erfühlt" habe nur wenige Tage davor, und diese Überforderung hält mich dann wie ein Bleigewicht unter Wasser.

 

Ich bin erschöpft, verwirrt und ein bisschen wütend wegen der Sprachlosigkeit, Ignoranz, Oberflächlichkeiten und immer wieder wegen Ungerechtigkeit ... in der Gesellschaft, in Leben von mir vertrauten Menschen, und ja - auch in meinem Leben.

Ich habe Angst, manchmal nur noch die Krebsbloggerin in den Köpfen der Menschen zu sein. Die mit der coolen Schreibe, und die echt schon viel mitgemacht hat. Aber eben: Puh... Krebs. Ich bin dann mal weg.

Und dann entstehen wieder Risse in meinem Lack - ich habe Angst vor anhaltender Gefühlsisolation, der "neuen Normalität", vor dem Unvermögen, Zuneigung zu zeigen, vor Ablehnung und Gleichgültigkeit.

Davor, nicht mehr gesehen zu werden. Davor, in Schubladen gesteckt zu werden... dahin, wo ich nicht hin will.

ICH, die ich ICH bin unter all dem Glanz, dem Optimierungswahn und grinsenden Facebook-Profilbildern.

 

Dann wundert es mich nicht, dass ich nach wochenlangem eisernen Training nebst Ernährungsumstellung auf einmal kaum noch die Energie habe, an diesem vergangenen Wochenende das Bett zu verlassen, mich diese gewisse Schwere zu erdrücken droht, ich Burger und Eiscreme futtere und mich selbst dafür verachte. (Wegen zwei Tagen Bad Habits... man kann sich das Leben wirklich schwer machen, aber gut...)

 

Doch wie immer werde ich spätestens am Montag wieder den Kampfanzug anziehen und weitermachen.

Intervallfasten, Workouten, das blöde Gefühl abschütteln, die Energie zusammenkratzen und mich wieder voranbringen.

 

Ich werde im weißen Arbeitshemd zur Bushaltestelle gehen, mich auf die Arbeitskollegen und meine Arbeit freuen, mir den kühlen Wind um die Nase wehen lassen, per Kopfhörer "Shout" von Tears For Fears hören, dabei Curt Smith und Roland Orzabal rechtgeben und denken:

 

Manchmal muss man's einfach mal rauslassen....

sich sammeln, ausbeuteln, wieder alles an sich zurück in Form bringen...

...und dann ist es irgendwie wieder ganz okay.

 

 

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