Wisch und weg

Achtung, Achtung... es folgt eine moralische Betroffenheitsgeschichte.

 

Manchmal fallen einem die Themen für Blogbeiträge förmlich vor die Füße - oder sagen wir: Durch die eine oder andere Beobachtung drängen sie sich förmlich auf.

 

So auch heute früh auf einem Bahnsteig, irgendwo in Österreich.

Auftritt einer jungen Mutter. Mit dem Kinderwagen-Griff in der einen Hand und dem Smartphone in der anderen Hand ließ sie sich auf einer Bank nieder... es dauerte ja noch eine Weile, bis der nächste Zug abfahren sollte.

Es bot sich ein Bild, das sich jedem Menschen, der aufmerksam durch die Welt geht, immer wieder bietet: In der mobilen Instagram- und Whatsapp-Welt völlig verloren, richtete sie kein einziges Wort an ihren etwa einjährigen Sohn, der vor ihr im Buggy saß. Geschweige denn, dass sie ihn auch nur eines Blickes würdigte. Der Kleine hingegen fing nach einiger Zeit an, leise zu quengeln - kein Wunder, ihm war offensichtlich langweilig, denn im Gegensatz zu Mami hatte er nur seine eigenen Finger zum Rumspielen.

 

Moment.... stopp.

Wer will das noch lesen und wem sind Szenen wie diese noch wirklich neu? Wer hat noch wirklich Lust, hier shit-zu-stürmen und auf Teile-dieses-Bild-wenn-du-der-gleichen-Meinung-bist?

Ist es auf der anderen Seite nicht unsere Verantwortung, darauf hinzuweisen, dass wir unsere Seelen an die Mobilfunkindustrie verkaufen?

 

Nun... falscher Blog für so etwas. Den Zeigefinger, den ICH erhebe, verwende ich höchstens zum Nasenbohren. Da lässt sich dann Tiefgründigeres hervorholen als die x-te schnappatmungsbegleitete Effekt-und Sensations-Thematik.

Auch wenn das Smartphone für viele von uns in jeder Lebenslage ein Reibungspunkt bleibt.

 

Und habe ich es nicht auch schon verflucht? Oder hat nicht auch jemand anderer geflucht, weil ich das Ding selber nicht aus der Hand legen wollte? (Gell, B.B.? 😉)

Zum Beispiel, als ich mit meinen frisch servierten Diagnosen im Krankenbett lag, nicht weglaufen konnte (siehe letzter Beitrag) und als mitunter einzigen Kontakt zur Außenwelt mein (damals) Eijfon hatte?

Weil ich nämlich in dieser Situation mit ganz bestimmt NIEMANDEM darüber reden wollte.

"Ja, aber nächste Woche soll das Wetter wieder besser werden. Wie geht's Ludwig in der Firma? Warte, die Katze hat gerade auf den Teppich gekotzt. Übrigens hab' ich gestern eine weitere Krebsdiagnose bekommen."

Nein nein. So funktioniert das nicht. Für mich jedenfalls nicht.

 

Dennoch - es ließ sich nicht wegdenken, wegwünschen. Wie ein heißer Ziegelstein lag es immer wieder in meiner Hand. In den ersten Käseglocken-wie-Watte-Horror-Tagen holte ich es ohne großes Interesse manchmal aus der Schublade und las ohne großes Interesse von all den kleinen und großen Dingen, die in der Welt weiter passierten und von den spannenden und banalen Begebenheiten und Alltagsszenen in sozialen Netzwerken.

Man mochte es kaum für möglich halten, aber ich war vielleicht gerade am Sterben und die Welt drehte sich trotzdem munter weiter.

 

Ich mochte nicht mit meinem Drama herausrücken.

 

*Ping*

"Hi, na, wie geht's dir? Alles fit? Was treibst du so?"

*tipp-tipp-tipp*

"Na ja, nicht besonders, aber danke der Nachfrage."

"Echt? Was ist denn los?"

"Es geht mir einfach gerade nicht gut."

"Oh, ich hoffe, es ist nichts Schlimmes."

"Eigentlich schon, aber sei mir nicht böse, ich will im Moment nicht darüber reden oder schreiben."

"Oh je, falls es was mit den Nerven ist, damit kenn ich mich aus. Gib einfach Bescheid, wenn du reden willst. Hoffe, es geht dir bald besser."

 

Der Klassiker also.

Ich hasse Smalltalk. Ich hasse auch Whatsi-Smalltalk. Diese hervorgequetschten Floskeln, bei denen die andere Person eigentlich nur das allübliche "Danke, mir geht' s gut und dir?" hören bzw. lesen will - weil man das eben so sagt/schreibt.

 

Es ist nicht leicht, wenn man nicht unbedingt mit der Tür ins Haus fallen will, aber auf der anderen Seite an unbeirrbarer Ehrlichkeit festhält. Und an Privatsphäre, nicht zu vergessen. Die ja in der unmittelbaren Umgebung - also im Krankenhaus - sowieso nicht gegeben ist.

 

Was macht man also mit dem Handy in der Hand, wenn man sich eigentlich nur nach einem freundlichen Wort und einer Umarmung sehnt?

Besuche waren in dieser Zeit - zumindest für mich - ein Ding der Unmöglichkeit. Meine damalige Freundin mal ausgeklammert.

Ich wollte nicht einmal, dass meine 100 km entfernt lebende Familie an mein Krankenbett eilte, und das sage ich nicht, weil ich etwa eine kapriziöse, mich gerne leiden sehen wollende Diva war.

Nein, mir hätte es schlicht und einfach das Herz zerrissen, wenn ich meinen Eltern und meiner Schwester, die sich sorgten und selber litten, in die Augen hätte schauen und sehen müssen, wie sie all das bewegte, was da mit mir passierte. Ich hätte vielleicht erst da so richtig erkannt, dass das alles REAL war.

 

Nein, Telefonieren ging vorerst ... mit wenigen, ausgewählten Menschen.

Mit der Zeit wurde es einfacher, in diesen ersten 14 Tagen während meines, euch nun schon in etlichen Belangen wohlbekannten ersten stationären Klinikaufenthaltes.

Zwar ergab sich wieder das Problem, dass einige Ohren (mehr oder weniger unfreiwillig) mithörten, weil ich mich aufgrund des filetierten Unterschenkels ja nicht einfach verkrümeln konnte, aber - Schwamm drüber! - bei den Visiten hörte ja auch praktisch jeder im Zimmer Anwesende jedes Detail mit.

 

In ruhigeren Momenten war mir klar, dass ich - wider besseren Wissens - mit dem Handy auch das Unvermeidliche tun würde: Googeln.

Wobei... ich ging dabei selektiv vor. Als eine, die immer bestens informiert sein will, las ich die unterschiedlichen Arten von Brustkrebs (wie z.B triple negativ oder positiv, HER2/neu+, invasiv duktal oder lobulär, G1, G2, G3 usw. usf.) natürlich nach.

Ich wurde nie DIE Mammakarzinom-Expertin schlechthin, und das war auch gar nicht mein Anspruch. Ich wollte einfach nur vorbereitet sein... Bescheid wissen... Ahnung haben von dem, was die Ärzte da reden. Es half mir, nicht nur Fragezeichen über dem Kopf schweben zu haben und auch mal gezielt nachfragen zu können.

(Wie oft habe ich in diesen Jahren gehört: "Arbeiten Sie im medizinischen Bereich?" - weil ich mit Fremdwörtern um mich schmiss.)

 

Jetzt ist natürlich klar, dass nicht alles haltbar und seriös ist, was man da in den Weiten des Internets zu lesen bekommt. Erst mit den Jahren habe ich es verstanden, die Informationen zu selektieren, differenziert zu betrachten und auch kritisch zu sehen.

Was ich ganz eindeutig ausgeklammert habe bei meinen WWW-Ausflügen: Statistiken und Prognosen aller Art. Es mag ja Leute geben, die mit dem Taschenrechner dasitzen, alle Fakten sammeln und hinterher in Schweiß auszubrechen, weil die herausgekommene Sterbewahrscheinlichkeit nicht so ganz den Erwartungen oder Hoffnungen entspricht.

Pfui... nicht mein Thema.

 

Und dann war da noch die eine Freundin, die gleichzeitig Arbeitskollegin war. Die selbsternannte beste Freundin (ich meine das nicht so zynisch, wie es vielleicht klingt):

In all den Monaten meiner Erkrankungen und der dazugehörigen Therapien hörte ich von ihr ... kaum etwas. Was mich schon verletzte, wie mir mit der Zeit klar wurde.

Ich erspare mir an dieser Stelle mal ein Essay über die Problematiken im Kontakt mit schwerkranken Menschen (hups... damit war ja in dem Fall ICH gemeint), denn es dürfte eines klar sein: Es ist nicht einfach, möglichst unbefangen und "so wie immer" mit einer an Krebs erkrankten Person umzugehen. Eigene Ängste kochen hoch, man will niemanden durch "ungeschicktes" Nachfragen verletzen - es liegt also in den meisten Fälle nicht an Desinteresse oder tatsächlichem Rückzug.

(Ich schrieb darüber bereits in einem meiner ersten Beiträge.)

Folglich geht es mir auch nicht darum, jetzt Kritik über dieser einer Freundin auszuschütten.

Ich will nur kurz erwähnen, wie ich mit diesem vermeintlichen "Ablehnungsschmerz" umging:

Anstatt mir endlose, selbstzerfleischende Gedanken zu machen und mich wie ein minderwertiger Mensch 2. Klasse zu fühlen, griff ich einfach zum - na klar - Handy.

 

"Hallo Marlies! ... Ich wollte dich eh mal anrufen. Wie geht es dir?"

"Hallo XY! Danke, es wird immer besser. Du... warum ich anrufe: ...."

 

Und dann sagte ich ihr einfach, direkt und ohne Anklage, dass es mich verletzt hat, dass sie sich so gut wie nie gemeldet hatte. Ich beschrieb ihr meine Gefühle, brachte aber auch zum Ausdruck, dass ich natürlich auch nicht wissen konnte, was ihre Gedanken und eigenen Empfindungen dahinter warten. Sondern einfach: Ich hab' mich so und so gefühlt... hätte es mir anders gewünscht... und dass ich ihr das jetzt sagen würde, weil es mir wichtig war.

 

Kurze Pause.

 

"Ja, du hast recht. Was du sagst, stimmt. Ich war unsicher, weil ich nicht wusste, was ich dich wie fragen soll. Es tut mir Leid."

 

Ihre ebenso klare, ehrliche Antwort als Reaktion auf meine ähnlich geartete Frage, stimmte mich natürlich versöhnlich (da ich kein nachtragender Mensch bin) und außerdem - ich darf es erwähnen - war ich stolz, weil ich den Mund aufgemacht und mich erklärt hatte. Ohne Vorwurf, mit der Möglichkeit, dass die andere Person sich ebenso erklären darf.

Denn es ist meist anders, als man es vermutet - und Ablehnung ist es in den seltensten Fällen.

 

So, Herrschaften, geht Krebs-Kommunikation.

 

('Tschuldigung... ohne Zynismus geht es offenbar doch nicht. 😜)

 

Jedenfalls ist es egal, ob nun persönlich oder per Handy, Whatsapp, Zoom oder sonst was:

Raus damit, wenn es dir auf der Seele brennt.

 

Verschweigen will ich dennoch nicht, dass es trotz allem einige wenige Personen gab, die für immer "die Biege" gemacht haben und sich mit dem kanzerösen Thema einfach nicht befassen wollten (?).

 

Und du da jetzt, lieber bloglesender Mensch, der vielleicht sogar mit dem Handy dasitzt und - wie natürlich jede Woche - in mobiler Version meinem "funken" folgt:

Geh' sorgsam um mit deinem "Wisch und weg" (nicht nur auf's Handy bezogen 😉) - reinige regelmäßig dein System, leg' manchmal alles Belastende aus der Hand, geh' aber vorher auf Flugmodus.. schnauf' durch und gib' dir so richtig fett, unverblümt, in no artificial flavors

und völlig rebooted...

 

.... das LEBEN!

 

 

 

 

 

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