Der Fight mit der Gouvernante der Dankbarkeit*


*Das wär ja mal ein zackiger Groschenroman-Titel!

Die Arbeit einer Bloggerin:

Immer so 2 oder 3 Tage vor der Dienstagmorgen-Deadline setze ich mich vor den Laptop, und dann passiert die Magie, und ich habe wieder geliefert.

So erzähle ich das gern, und meist ist es auch genauso.

 

Zuerst steht das ungefähre Thema, das sich während des Schreibens dann aber auch noch richtig entfalten darf. Ca. 2 Stunden später wache ich wie aus einem Rausch auf, und bin fast immer mit dem Ergebnis zufrieden. Hin und wieder bin ich sogar selbst beeindruckt, wie sehr die Worte wieder fließen wollten, und dann kann ich entweder über meine klamaukigen One-(wo)man-shows selber lachen, oder mir stockt das Herz aufgrund der sehr direkten In-your-face-Formulierungen. Eiskalt folgt auf heiß, und manchmal wird man hin- und hergeworfen zwischen dem Thema Krebs entsprechender Ernsthaftigkeit und Schwere und einem humorvoll-lockeren Zugang, der all dem gleich wieder die Schärfe nimmt.

Nach über einem halben Jahr Bloggen weiß man, was man bekommt... oder auch nicht, denn die Überraschungen schlagen dann doch immer noch ein wie die Meteoriten, und dann findet's man zum Lachen oder selbiges bleibt im Halse stecken.

 

Doch genug der Selbsbeweihräucherung, denn glaubt es oder nicht: Ich neige immer noch zu Understatements.

Wenn mir jemand sagt - beispielsweise aufgrund eines bestimmten Blogbeitrags:

 

"Du hast ganz schön was durchgemacht."

 

Dann neige ich immer noch dazu, abzuwinken und zu sagen:

 

"Ach, nicht so schlimm - im Vergleich zu anderen."

 

Dabei weiß ich natürlich: Es war schlimm.

Es kommt mir nur nicht so vor, weil ich links und rechts blicke, in der Erinnerung und in der Gegenwart, und da all die Menschen sind, die gestorben sind oder sterben werden. Die schlimme Verläufe haben, traumatische Erfahrungen, die jeden Tag mit Schmerz, Angst und Kummer konfrontiert sind. Menschen, für die das Thema Krebs kein rührseliges, cineastisches Tragikomödienstück ist und man sich hinterher auf die Schulter klopfen lässt: "Du solltest ein Buch schreiben... echt."

 

Es gab die Momente - und sie sind noch immer nicht völlig versickert im Alltag einer Hobby-Bloggerin - da kommen Gedanken wie:

 

Warum... ich nicht?

Warum bin ich immer noch da?

 

Weiß ich überhaupt, wovon ich da rede? Wovon ich da schreibe?

Ja, ich kenne andere Blogs, andere Plattformen, die randvoll sind mit Menschen, die über die Jahre Gesichter bekommen haben, die regelrecht vertraut sind. Sie leben in Gedanken, in der Erinnerung, in der Gegenwart, in geschriebener oder gesprochener Form, sie lächeln von Fotos, strahlen regelrecht, erzählen davon, dass der heutige Tag gut ist...

.... weil die Metastasen nicht gewachsen sind und weil die 2 Jahre Lebenserwartung nun schon auf ganze 7 Jahre ausgedehnt wurden.

 

Und mir fällt dann in der Vorstellung fast das Kuchenstück aus dem Gesicht - das Kuchenstück, in dem soviel Zucker ist und das ich so gedankenlos esse, dabei leben Krebszellen vom Zucker, und dann nervt es mich, dass mich das nervt, und dass mich außerdem Dinge nerven, die nicht nervenswert sind.

In diesen Momenten hätte ich gerne, dass mich das böse Fräulein Rottenmeier im Onkoschwestern-Outfit mit der Nase voran gegen den Türstock rammt und mich ankreischt:

 

Sei doch dankbar! Sei - doch - dankbar! DU LEBST!

 

Dann bin ich einerseits wieder geerdet und frei im Geiste, aber andererseits bin ich auch völlig angekotzt von der Vorstellung, nun mein Leben lang vor meinen inneren Ich auf Knien rumzurutschen und mich ständig selber erinnern zu müssen, dass ich echt ein schlechtes Gewissen haben müsste, weil ich einen riesigen Mehrfach-Tumorklumpen im Körper hatte und mich bester Gesundheit erfreue, während andere einst ein Kügelchen ertasteten und von ebendem langsam umgebracht wurden und werden.

 

Sei!

Doch!

Dankbar!

 

Doch wenn ich ehrlich bin, habe ich gelernt, die Gratefulness-Gouvernante immer öfter zum Schweigen zu bringen. Wenn mir das gelungen ist, entschuldige ich mich nicht mehr ständig - vor mir selbst - für meine Noch-immer-Existenz.

Dann kann ich den Weg annehmen, der mir vorgezeichnet wurde, und auch den Schicksalssamen, der gestreut wurde (hallo A., you know who you are ;-))

Es ist mein Weg, und es gibt nur diesen. Die Abzweigungen, die ich genommen habe, um diesen Weg für mich angenehmer, authentischer, nützlicher und glücklicher zu machen, habe ich mir in den letzten Jahren hart erarbeitet, aber ich nehme sie immer leichter.

 

Es gibt kein Entschuldigen dafür, Ausdruck zu finden für all das, was ich, was ihr, was so viele erlebten und erleben.

Es gibt aber auch kein Entschuldigen dafür, nicht gestorben zu sein.

Ich setze mich vor die Tastatur und kleide meine Worte in schandmäuligen Humor, brett'lharte Direktheiten und all das, bitteschön, im Wechsel. Damit mir und euch schön schwindelig wird.

Das bin ich.

Ich kann nicht anders.

Wollt ihr es anders?

 

Sie sind wie kleine Edelsteine, meine Gedanken, die in meine tatsächliche Dankbarkeit gehüllt sind.

Dann bin ich wieder froh, dass ich nach langen Jahren endlich meinen Traumberuf gefunden habe und glücklich sein darf.

Dann bin ich dankbar, dass mir der Krebs neue Möglichkeiten aufgezeigt hat, die ich oft erst nach langer Zeit wahrgenommen habe.

Dann bin ich dankbar für all die Angst in all den Jahren, die mir so sehr die Kehle ab(ge)drückt (hat).

Ich bin dankbar für die Glatze, die ich spaßig fand und weil ich dadurch nun weiß, wie ich ohne Haare aussehe.

Dankbar dafür, dass mir die Krebstherapie nicht die vollständige Scheiße aus dem Leib gesogen hat, und ich ganz und gar (bis auf ein paar Körperlichkeiten) und stärker wieder zurückgekommen bin.

Ich bin dankbar für all die Menschen - einige tot, andere lebendig - die ich kennenlernen durfte.

Ich bin dankbar für die Spreu und den Weizen.

Für wunderbare ÄrztInnen, TherapeutInnen, LebensbegleiterInnen.

Ich bin auch dankbar für die Möglichkeit, zu schreiben und gelesen zu werden.

 

Der Anfang ist das Ende, heißt es in einer TV-Serie, die mich gerade in ihren Bann gezogen hat.

Aber, so heißt es: Das Ende ist auch der Anfang.

Und somit finde ich mich wohl - wie wir alle - in einem ewigen Kreislauf wieder. Dann lasse ich mich mal mitreißen, zische wie eine Flipperkugel in gewohnter Manier durch die Gegend, haue mir dann und wann den Kopf an, fluche, lache (über mich selbst und andere/s), leide, lebe, verzage, werde stark, stärker, dazwischen auch wieder schwächer, aber dann auch gleich wieder stark.

 

Keine Zeit, keine Lust, kein Grund zum Entschuldigen...

 

... nicht wahr?

 

a_shes on Twitter: "#4Hochzeiten gestatten: Fräulein Rottenmeier ...

 

 

 

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